Rezension über:

Salvatore De Vincenzo: Tra Cartagine e Roma. I centri urbani dell'eparchia punica di Sicilia tra VI e I sec. a.C. (= Topoi - Berlin Studies of the Ancient World; Vol. 8), Berlin: De Gruyter 2013, XI + 439 S., ISBN 978-3-11-029019-6, EUR 79,95
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Rezension von:
Linda-Marie Günther
Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Linda-Marie Günther: Rezension von: Salvatore De Vincenzo: Tra Cartagine e Roma. I centri urbani dell'eparchia punica di Sicilia tra VI e I sec. a.C., Berlin: De Gruyter 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 6 [15.06.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/06/23152.html


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Salvatore De Vincenzo: Tra Cartagine e Roma

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Das umfangreiche und mit 217 zum Teil farbigen Abbildungen vergleichsweise großzügig ausgestattete Buch ist die stark erweiterte Dissertation des Autors, mit der er 2007 in Tübingen im Fach Klassische Archäologie promoviert wurde. De Vincenzo sucht am Beispiel der materiellen Hinterlassenschaft der Phönizier und Karthager in Westsizilien die Zweigleisigkeit der 'punischen' und 'klassischen' Archäologie zu überwinden. Ob dies gelungen ist, müssen die Archäologen beurteilen. Hier ist zu fragen, was die Studie über die westsizilischen Städte dem Historiker bietet, ist doch mit dem Begriff der punischen Eparchie der politisch-historische Rahmen deutlich angesprochen. Dem historischen Aspekt, der auch in der Zusammenfassung - italienisch (377-385), deutsch (387-394), englisch (395-401) - betont wird (vgl. 387-389), sind im Text die zwei ersten Kapitel gewidmet: Analisi e sviluppo dell'eparchia punica di Sicilia (5-30), La provincia romana fino all'ordinamento di Augusto (31-50). Die weiteren Kapitel behandeln die Urbanistik jener Städte (51-129), ihre Verteidigungsanlagen (131-160), die öffentlichen Bauten (161-208), die Sakralbauten und Kulte (209-299), die Privathäuser (301-359) und schließlich die Nekropolen (361-376). De Vincenzo fasst dabei jeweils die Städte entsprechend ihrer historischen Typen in Kleingruppen zusammen: die phönizischen (Motye, Panormos), elymischen (Segesta, Eryx, Entella, Monte Iato), griechischen (Selinunt, Herakleia Minoa, Akragas, Gela) und die von Karthago seit 407 neugegründeten (Thermai, Solunt, Lilybaion, Drepanon).

Obgleich das westsizilische Herrschaftsgebietes Karthagos 241 an Rom fiel, schlägt De Vincenzo den zeitlichen Bogen bis zum 1. Jahrhundert v.Chr., denn es ist vielfach ungeklärt, welche materiellen Reste der punischen bzw. der nachfolgenden römischen Epoche angehören, zudem bleibt zu diskutieren, inwiefern römische Überbauung Früheres bewahrte oder radikal veränderte. Daher werden jüngere Befunde ebenso einbezogen wie als ereignisgeschichtlicher Hintergrund die Zeit nach dem Ersten Punischen Krieg. Wenn auch anzuerkennen ist, dass der Autor seinem Publikum diese Informationen in gedrängter Form selbst bieten möchte, verliert er doch oft bei seinen archäologischen Erläuterungen die Relevanz diverser historischer Detailinformationen aus dem Blick.

Das Versprechen einer kritische Analyse der literarischen Quellen in den ersten Kapiteln (vgl. 387), erscheint aus der Perspektive eines Fachhistorikers allzu vollmundig, wenngleich verständlich ist, dass sich der Archäologe De Vincenzo auf die einschlägigen althistorischen Publikationen stützt und sie samt der inhärenten Diskussion zu skizzieren sucht. Aber es gelingt ihm nicht immer, die jeweiligen Positionen klar genug wiederzugeben respektive ältere von neueren Meinungen abzusetzen; er verkennt zudem deren Stellung im fachwissenschaftlichen Diskurs. So nimmt die karthagische Vereinnahmung der phönizischen (und später elymischen sowie griechischen) Städte Westsiziliens den größten Raum ein. Dabei hält der Autor an der Ansicht eines karthagischen Expansionismus vom späten 6. Jahrhundert bis zur Schlacht bei Himera fest (vgl. 6-14, 388) und verbindet sie mit einem barbarischen Bestreben sich ganz Sizilien zu unterwerfen.

Einerseits wird die Existenz eines von Karthago kontrollierten Eparchia schon um 500 v.Chr. aufgrund eines Zeugnisses bei Polybios behauptet (vgl. 387 f.), andererseits die formazione dell'eparchia punica in Sicilia in der Zeit seit 410 erörtert (14-19). Hier fehlt es sowohl an begrifflicher Schärfe als auch an quellenkritischen Überlegungen, etwa dass der sog. Erste Karthagisch-römische Vertrag im Werk des hellenistischen Historiographen nicht als Beleg für einen damaligen karthagischen Herrschafts- oder Kontrollbereich in Westsizilien zu werten ist.

Wenngleich De Vincenzo auf Detaildiskussionen entsprechend seiner Arbeitsweise überall dort eingeht, wo er entsprechende Forschungsliteratur gefunden hat, gelingt es ihm nicht, daraus eine erkenntnisleitende Fragestellung zu generieren. Vielmehr benutzt er die historischen 'Daten' nach Bedarf zur Erklärung der Spatenfunde: Beispielsweise bringt er - ohne jegliche Absicherung durch eine antike Schriftquelle - die ins späte 5. Jahrhundert datierte Bauphase der Stadtmauer von Panormos / Palermo in Zusammenhang mit einer damaligen Vorbereitung Karthagos auf seinen Angriff sikeliotischer Städte (134).

Im Kapitel zur Urbanistik will De Vincenzos klären, inwiefern das städtische Straßensystem dezidiert punisch war, und legt großen Wert darauf, dass orthogonale Anlagen wohl erst unter der römischen Herrschaft entstanden sind. Nach seinen Beobachtungen greift das übliche Argument nicht, dass sich die Längen und Breiten von Straßen und insulae auf punische Grundmaße zurückführen ließen (vgl. 57 f, 101, 112 f). Für die elymischen Städte schlussfolgert er aus dem dortigen Fehlen erkennbarer urbanistischer Eingriffe der Punier, dass Karthago dort wahrscheinlich eine kommerzielle und militärische Kontrolle ausübte, nicht aber Leute aus Nordafrika ansiedelte (125). An dieser Stelle wäre eine Skizze des Wesens der karthagischen Herrschaft sinnvoll gewesen; im 1. Kapitel referiert der Autor indessen sogar die Ansicht, eine echte Verwaltungsstruktur sei erst 366 eingeführt worden (23, vgl. 388). Auch die von der 'punischen' Althistorie inzwischen überholte Ansicht, es habe in Sizilien einen so konstanten wie scharfen barbarisch-hellenischen Gegensatz gegeben, findet sich bei De Vincenzo wieder: Er hält die im letzten Drittel des 4. Jahrhundert aufkommenden steinernen Theaterbauten für Zeugnisse der wiedergewonnenen Freiheit und der selbstbewussten Zugehörigkeit zum Griechentum (164); indessen ist bekanntlich selbst in Hellas die monumentale Theaterarchitektur in Stein erst nach der Mitte des 4. Jahrhunderts v.Chr. entstanden.

Kurz gesagt: Der allgemein an den centri urbani dell'eparchia punica interessierte Historiker kann die Studie als Informationsquelle zumal für aktuelle Literatur nutzen; der bereits mit der Materie vertraute findet aber kaum weiterführende Gedanken. Die Rezensentin sollte sich als Nichtarchäologin kein Urteil über die weiteren Kapitel des Buches anmaßen, doch scheint es ihr, als würde auch dort die tour d'horizont dominieren und für eingehende eigenständige Detailanalysen gar kein Platz zu sein. Eine Dissertation ist freilich keine Enzyklopädie - eine solche wollte De Vincenzo nichtsdestotrotz aber wohl vorlegen mit seinem weitausgreifenden Überblick über Ereignisgeschichte und Archäologie des punischen Sizilien bis in die augusteische Zeit; das Buch ist daher als Einstieg in die interdisziplinäre Problematik der sog. punischen Archäologie zweifellos recht nützlich.

Linda-Marie Günther