Gertraud Marinelli-König: Die böhmischen Länder in den Wiener Zeitschriften und Almanachen des Vormärz (1805-1848). Bd. 1: Tschechische nationale Wiedergeburt - Kultur- und Landeskunde von Böhmen, Mähren und Schlesien - Kulturelle Beziehungen zu Wien (= Veröffentlichungen der Kommission für Literaturwissenschaft; 28), Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2011, XLVIII + 1027 S., ISBN 978-3-7001-6551-4, EUR 140,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Klaus Garber: Martin Opitz, Paul Fleming, Simon Dach. Drei Dichter des 17. Jahrhunderts in Bibliotheken Mittel- und Osteuropas, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2013
Guido Hitze: Carl Ulitzka (1873-1953) oder Oberschlesien zwischen den Kriegen. Carl Ulitzka albo Górny Śląsk pomiędzy dwoma Wojnami Światowymi, Düsseldorf: Droste 2002
Günther Wytrzens (1922-1991) hat 1982 das Projekt zur Erschließung der in den Wiener "nicht politischen" Unterhaltungsblättern und gelehrten Zeitschriften zwischen 1800 und 1848 enthaltenen Beiträge und Informationen mit Bezug auf die slawischen Völker initiiert. Nach den ebenfalls von ihr bearbeiteten Bänden "Polen und Ruthenen" (1992), "Die Südslaven" (1994), "Rußland" (1998) und "Oberungarn" (Slowakei) (2004) legt Gertraud Marinelli-König jetzt den mit der gewohnten Solidität bearbeiteten ersten Teilband zu den böhmischen Ländern vor. Die böhmischen Länder waren besonders eng mit Wien als Zentrum der Monarchie verbunden, was die Bearbeiterin zur "Ausgangslage" in der Einleitung instruktiv darlegt (XI-XXV). Die Menge des Materials erfordert die Aufteilung auf vier Teilbände und einen Registerband.
61 in Wien herausgegebene Zeitschriften unterschiedlichster Thematik von Theater- und Musikperiodika bis zur Unterhaltungspresse wurden für die Jahre 1801 bis 1848, also über den Vormärz im engeren Sinne hinaus, ausgewertet (XXXIII-XXXIX sowie die Tabelle nach L). Der jetzt vorliegende erste Teilband dokumentiert die Hinweise und Erwähnungen auf "Literatur und Schrifttum": Insbesondere tschechisch- und deutschsprachige Autoren aus den böhmischen Ländern im Bereich der Belletristik (einschließlich Übersetzungen und "böhmische Stoffe", 1-855), Literaturkritik und -geschichte, Zeitungen und Zeitschriften, Bibliografien, Lexika sowie Buchproduktion und -vertrieb sind die Themenkomplexe, denen die Fundstellen jeweils chronologisch zugeordnet werden. Selbst kurze Notizen werden erfasst, bibliografisch dokumentiert und zum Teil im Text oder als Zusammenfassung wiedergegeben; bibliografische Daten erwähnter oder behandelter Titel hat Marinelli-König ebenfalls ermittelt. Erwähnungen immer noch bekannter deutschsprachiger und tschechischer Autoren von František Ladislav Čelakovský, Karl Egon Ebert, Ludwig August Frankl, Wolfgang Adolf Gerle, Josef Jungmann, Siegfried Kapper, Antonín Jaroslav Puchmajer, Pavel Jozef Čafařík oder Adalbert Stifter werden ebenso dokumentiert wie solche heute unbekannter Autoren, unter den "Anonyma" werden die Erwähnungen der Königinhofer und der Grünberger Handschrift (682-693) besonderes Interesse finden.
Der kulturwissenschaftliche, literaturwissenschaftliche und komparatistische Ansatz der Auswertung hat sich bewährt (vergleiche den Hinweis zur "Methodik", XXVII-XXX). Im Ergebnis liegt eine einzigartige Quellensammlung zur deutschen und tschechischen Literatur und ihrer zeitgenössischen Rezeption, zur Geschichte des Buchwesens und zur Kulturgeschichte in einem breiten, die Volkskunde einbeziehenden Spektrum vor, die für sich schon - auch ohne den Registerband - ein Nachschlagewerk und zumindest für Kultur- und Literaturhistoriker eine anregende Lektüre darstellt.
Besonderen Wert gewinnt dieser Findbehelf dadurch, dass ein Teil der ausgewerteten Periodika digital über den virtuellen Zeitungslesesaal der Österreichischen Nationalbibliothek im Internet verfügbar ist. Dieser Band erscheint als erster der Reihe zugleich als Online-Edition. Man würde heute ein solches Repertorium sicherlich als Datenbank anlegen. Die Buchform ermöglicht andere Zugänge zum und Zugriffe auf das Material als eine Datenbank, so dass sich beide Formen im Idealfall wesentlich ergänzen. Wichtig und sinnvoll ist es in jedem Fall, das Buchprojekt als solches in einem absehbaren Zeitrahmen abzuschließen. Der Verfasser und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist dafür zu danken, dass sie dieses Langzeitprojekt weiterführen, das wesentliche neue Einsichten in das kulturelle Leben der böhmischen Länder und des deutschen Sprachraums in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus der Wiener Perspektive ermöglicht.
Wolfgang Kessler