Lisa Balabanlilar: Imperial Identity in Mughal India. Memory and Dynastic Politics in Early Modern South and Central Asia, London / New York: I.B.Tauris 2012, XIX + 216 S., ISBN 978-1-84885-726-1, GBP 54,50
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Lisa Balabanlilar, Assistant Professor of History an der Rice University in Houston, Texas, beschäftigt sich in dem hier zu rezensierenden Werk mit der Frage, wie die muslimische Elite der Mogulzeit in einem Land auf Dauer ihre Herrschaft legitimieren konnten, in dem die Nichtmuslime die Mehrheit bildeten? Liest man mogulzeitliche Geschichtswerke, so fällt auf, dass zu diesem Zweck Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sinn- und identitätsstiftend miteinander verknüpft werden. Die Chronisten schaffen durch ihre Berichte von muslimischen Erfahrungen über den zeitlichen Wandel hinweg eine geglaubte Illusion von Kontinuität, die es den Individuen erlaubt, auch inmitten der Irritationen ihres gemeinsamen Lebens zu überleben. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass in vielen Quellen betont wird, dass zur Zeit der Mogulherrschaft mongolische Gewohnheiten tradiert wurden und - ungleich wichtiger - dass die Moguln vom Weltenherrscher Timur (gest. 1405), dem "Herr der Glückskonjunktion" (sahib-i qiran), abstammen. Nicht nur aus religiösen Gründen, die natürlich immer als letzter Grund angeführt werden, sondern vor allem auch in seiner Nachfolge sei man - so die implizierte Botschaft - berechtigt, den Islam überall zu etablieren. Einer solchen genealogisch-ideologischen Rückversicherung bedurften die muslimischen Eroberer eben insbesondere in einem neuen, nichtislamischen Kontext, wollten sie sich auf Dauer dort niederlassen. Zwischen Timurs Tod und der Etablierung seines direkten Verwandten Babur (gest. 1530) verging zwar über ein Jahrhundert, doch spielt Zeit für eine sinnstiftende Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart keine Rolle. Das hervorgehobene timuridische Erbe bildete den Kern der Identität der Moguldynastie, zumal der Einfall Timurs nach Indien im Jahre 1398-9 durchaus im Bewusstsein der neuen muslimischen Machthaber auf dem Subkontinent präsent blieb. Bei Babur, dem ersten Mogulherrscher, war die timuridische Abstammung offenkundig und allen muslimischen Zeitgenossen bekannt. Babur selbst geht in seinen Memoiren nicht gezielt auf seine Vorfahren ein, doch äußert sich sein genealogischer Anspruch in seinem Siegel. Auf diesem Insignium der Macht ließ er die Namen seiner Vorgänger bis einschließlich Timur einschreiben. Unter jedem herrscherlichen Erlass war somit sofort die Legitimation der Herrschaft Baburs erkennbar. Der Grund für Humayuns (gest. 1556) Herrschaftambitionen bildeten von Geburt an timuridisch-zentralasiatische persönliche Bezüge. So wären seine 'wahren Begleiter', heißt es in einer Chronik, nicht seine Leute, sondern seine Bücher, insbesondere das "Zafar-nama" Šaraf ad-Din Ali Yazdis (gest. 1554) gewesen. Auch Akbar (reg. 1556-1605) - der erste auf dem Subkontinent geborene Mogulherrscher - benutzte ein Siegel, auf dem die Namen seiner Ahnen bis einschließlich Timur zu sehen waren. Darüber hinaus verwandte er - zumindest in offiziellen Inschriften - den Titel sahib-i qiran. Und Abu l-Fazl Allami (gest. 1602) nennt den Herrscher in seinem "Akbar-nama" "den Glorienschein der gurganischen Dynastie" und "das Licht des Stammes Timurs". Dieses elementare identitätsstiftende Verhältnis drückt sich auch in einer Reihe von Bildern aus, die die Mogulherrscher in Auftrag gegeben haben. So sehen wir auf einer am Ende des 16. Jahrhunderts für das "Akbar-nama" entstandene Miniaturmalerei eine Paralleldarstellung der Feierlichkeiten zu Timurs wie zu Akbars Geburt. Unter Jahangir (reg. 1605-1627) nimmt der Bezug zum timuridischen Erbe dann zwar etwas ab, doch verdeutlichen die auch in seinem Denken verankerte Ausrichtung auf die urheimatlichen Gefilde etwa die Gespräche, die der Mogulherrscher mit dem aus Zentralasien stammenden Gelehrten al-Asamm as-Samarqandi 'Mutribi' (gest. nach 1626) führte. So zitiert Jahangir nicht nur die Verse timuridischer Poeten, sondern erkundigt sich besorgt nach dem Zustand der Grabstätte Timurs. Darüber hinaus war auch er ein eifriger Leser von Šaraf ad-Din Ali Yazdis bereits erwähnten "Zafar-nama". Eine 1467-8 angefertigte Kopie trägt das Siegel und die handschriftlichen Anmerkungen des Herrschers. Schließlich redete der Safaviden-Sah Abbas (reg. 1587-1629) seinen indischen Kollegen in einem offiziellen Schreiben an als "Er, der auf dem gurganischen Thron sitzt und der Erbe der Krone Timurs ist." Ungleich stärker als ein Vater berief sich Šah Jahan (reg. 1628-1658) auf seine dynastische Verbindung zu Timur. So nahm er bei seiner Krönung offiziell den Titel "Zweiter Herr der Glückskonjunktion" an, und seine Hofchronisten nennen ihn gemeinhin "den Stolz der gurganischen Dynastie". Zu vermerken ist in diesem Zusammenhang auch der Erfolg, den die "Memoiren" Timurs bei Hofe hatten, von denen auf höchsten Befehl persische Übersetzungen angefertigt wurden. Die enge symbolische und identitätsstiftende Beziehung zwischen Šah Jahan und Timur drückt sich ebenfalls in der Miniaturmalerei und in der Architektur aus. Stellvertretend soll hier nur auf die Verbindungen zwischen Timurs Mausoleum in Samarqand, Ulug Begs letzter Ruhestätte in Gazna, Humayuns Grab in Delhi und dem Taj Mahall in Agra hingewiesen werden.
Dies alles bildet den Rahmen für das aus einer 2007 unter der Betreuung von Stephen Frederick Dale abgeschlossenen Dissertation zum Thema "Lords of the Auspicious Conjunction: Tirco-Mongol Imperial Identity on the Subcontinent" hervorgegangene Buch. In einem Prolog ("Timurid Political Charisma and the Ideology of Rule", 7-17) präsentiert uns die Verf. den historischen Kontext. Sie konzentriert sich dabei auf die Etablierung Timurs als überregionaler Machthaber und auf die Herausbildung einer spezifisch timuridischen Hofkultur. Der folgende Abschnitt ist dem sogenannten "Begründer" der Moguldynastie, Babur, gewidmet. ("Babur and the Timurid Exile", 18-37). Es geht hauptsächlich um die Frage von Exil und Erinnerung. Der zusammen mit einer größeren Anzahl von Gefolgsleuten aus seinem Ursprungsraum vertriebene Timuride hatte sich mental wie physisch mit der Ersatzheimat auseinanderzusetzen, wobei man das Trauma des erlittenen Verlustes nicht unterschätzen darf. Dem Aufruf des neuen Machthabers an die persisch-timuridischen Eliten, zu ihm nach Nordindien zu kommen, sind im Laufe der Zeit doch recht viele Personen gefolgt. Damit gab es dauerhafte physische und kognitive Verbindungen zwischen Zentralasien und Südindien, die eine gemeinsame Identität über ihre geteilte Genealogie zu entwickeln. Diesen Punkt elaboriert die Autorin in einem sich anschließenden Kapitel ("Dynastic Memory and the Genealogical Cult", 37-70). An den Mogulhöfen institutionalisierte sich der sinnstiftende Rückbezug zu einer glorreichen Vergangenheit. Damit verknüpft waren Erinnerungen an die heldenhaften Vorfahren, an die Bedeutung der verlorengegangenen heimatlichen Scholle und an die Aufrechterhaltung gemeinsamer timuridischer Werte und Normen. Die damit verbundenen Narrative wurden in Hofchroniken zur zentralen legitimatorischen Ideologie einer imperial verstandenen Kultur ausformuliert. Die in zunehmender Weise sakralisierten Bande zu den vorväterlichen Tugenden, Haltungen und Anschauungen kamen symbolhaft, wie oben bereits erwähnt, ebenfalls in zahlreichen Artefakten zum Ausdruck. Höchst spannend zu lesen sind die sich nun anfügenden Ausführungen zu einer Reihe von bei Hofe tradierten kollektiven Verhaltensmustern. ("The Peripatetic Court and the Timurid-Mughal Landscape", 71-99) Insbesondere geht es um höfische Rituale wie Trinkgelage und Jagden sowie um das Phänomen des halb-nomadischen "Reisekönigtums". Für alle drei Bereiche kann Lisa Balbanlilar überzeugend nachweisen, dass - bewusst oder unbewusst - bei diesen Handlungen stets eine identitätsstiftende Vergegenwärtigung überlieferter Sitten, Gebräuche und Herrschaftsgewohnheiten mitschwang. Dies gilt auch für die als typische turko-mongolische Praxis weitergeführte freie Erbfolge. ("Legitimacy, Restless Princess and the Imperial Succession", 100-139) Obgleich nämlich damit zum Teil verheerende militärische Auseinandersetzungen verbunden waren, hielt man an der Tradition fest, dass sich unter mehreren möglichen familiären Kandidaten der beste Nachfolger im Rahmen eines Kräftemessens ausmendelte. Dies basierte auf einer zentralasiatisch-timuridischen Vorstellung von Herrschaftslegitimation. Das individuelle Recht auf Machtausübung bedeutete aber vor allem, dass es einen mehr oder minder permanenten Diskurs zwischen den u.U. zahlreichen Prätendenten gab, d.h. zwischen Vätern und ihren männlichen Nachkommen sowie unter den miteinander rivalisierenden Söhnen und deren Vettern. Nur das Anrecht der Dynastie auf den Thron blieb bei diesen Auseinandersetzungen unangetastet. Und dennoch kam es über die Generationen hinweg zur Inklusion lokaler Herrschaftsvisionen und -praktiken. Nur so konnten letztlich die nicht-muslimische Bevölkerung und ihre Eliten dauerhaft eingebunden werden. Dieser wichtige Punkt hätte sicher mehr Aufmerksamkeit verdient, doch die Autorin bricht an dieser Stelle ab, um in einer Schlussbetrachtung ("Conclusion: Imagining Kingship", 140-155) noch einige zusammenfassende Gedanken zur mongulzeitlichen Herrschaftsideologie wiederzugeben.
Insgesamt hat Lisa Balabanlilar ein sehr interessantes und lesenswertes Buch vorgelegt, das unsere Kenntnisse über die Identitätsmuster der Mogulherrscher und ihrer muslimischen Entourage beträchtlich erweitert.
Stephan Conermann