Albrecht Burkardt / Gerd Schwerhoff (Hgg.): Tribunal der Barbaren? Deutschland und die Inquisition in der Frühen Neuzeit (= Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven; Bd. 25), Konstanz: UVK 2012, 450 S., ISBN 978-3-86764-371-9, EUR 64,00
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Gerd Schwerhoff: Die Inquisition. Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit, München: C.H.Beck 2004
Gerd Schwerhoff: Zungen wie Schwerter. Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften 1200-1650, Konstanz: UVK 2005
Susanne Rau / Gerd Schwerhoff (Hgg.): Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004
Der Titel frappiert durch die grammatikalische Koppelung von "Haupt- und Untertitel". Der Diskurs nach dem 2. Weltkrieg war und ist oft recht schnell bei der Hand mit der Gleichsetzung "Deutschland/Deutsche" und "Barbaren". Doch dass eine solche Verbindung in Bezug auf die frühneuzeitliche Inquisition gezogen wird, erstaunt. Schnell aber klärt sich das Befremden: Die Formulierung "Tribunal der Barbaren" erweist sich als Übersetzung eines Zitates von Friedrich dem Großen, der sich in seinem aufklärerischen Impetus in seinem Briefwechsel mit Voltaire auch empört zeigte über die Rechtspraxis der Inquisitionstribunale. Deshalb bezeichnete er das Tribunal als solches als "barbarisch", nicht etwa diejenigen, die es anwendeten ("et l'inquisition, barbare tribunal"). Dies dürfte ein zwar kleiner, aber feiner Unterschied sein. Auch wenn die Übersetzung nicht auf die Herausgeber, sondern auf einen der Autoren des Sammelbandes zurückgeht, so ist hiermit doch ein unnötig missverständlicher Akzent gesetzt.
Die beiden Herausgeber haben sich schon mit mehreren Veröffentlichungen auf dem Gebiet der frühneuzeitlichen Prozessrechts- und Strafrechtsgeschichte einen Namen gemacht. Während Gerd Schwerhoff sich vor allem Problemen der Devianz widmete, hat Albrecht Burkardt sich der Konzeption von Heiligkeit - inklusive den Heiligsprechungsprozessen - in der Frühmoderne zugewendet. Damit erweisen sie sich als profunde Kenner auf dem Gebiet der Forschung zur frühneuzeitlichen Inquisition. Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer Tagung von 2009 der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Die Leitung dieser Tagung wurde mitgetragen vom damaligen Akademiedirektor Dieter R. Bauer, der ebenfalls an der Publikation der Beiträge mitgewirkt hat. Insofern garantiert das Herausgeber-Team Qualität.
Tatsächlich widmet sich der Band einer Thematik, die bislang seitens der Geschichtswissenschaft eher unterbelichtet war: Während Studien zur Spanischen, Portugiesischen und vor allem Römischen Inquisition in den letzten Jahren vermehrt Aufmerksamkeit erregten, blieben die besonderen Inquisitionstribunale im Alten Reich weitgehend unberücksichtigt. Nach dem Auftreten des berüchtigten Hexeninquisitors Heinrich Kramer im 15. Jahrhundert klaffte eine Lücke in der Forschung, die umso auffälliger ist, als die Verbindung Römische Inquisition - Deutschland klar auf der Hand liegt: 1542 wurde die Römische Inquisition immerhin mit dem erklärten Ziel (wieder) gegründet, dem Protestantismus den Garaus zu machen. Und Deutschland wurde als das Heimatland Martin Luthers damals geradezu als die Brutstätte der in den Augen Roms verderblichen Häresie betrachtet.
So gesehen war seit der Öffnung der vatikanischen Inquisitionsarchive 1998 eine Chance ungenutzt geblieben. Dabei umfasst das Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede (ACDF) nicht nur die Dokumente der Römischen Inquisition, sondern ebenso wichtig sind die Dokumente, die aus den Aktivitäten der Index-Kongregation stammen bzw. aus der Arbeit des lokalen Glaubenstribunals von Siena hervorgegangen sind. Insgesamt besteht das Archivmaterial aus gut 4.500 Bänden, die den Zeitraum zwischen 1542 und 1903 abdecken. Im Laufe der letzten Jahre haben sich der Sisyphusarbeit ihrer Erschließung Forscher aus vielen europäischen Ländern gewidmet. Doch erst der vorliegende Band befasst sich aufgrund der nun zugänglichen Informationen auch explizit mit der Lage im Alten Reich.
Prägnant beschreiben die Herausgeber in ihrem Einleitungsartikel die gegenwärtige Forschungslage und verorten darin den spezifischen Blickwinkel des Bandes. Der inhaltliche Bogen der Artikel ist weit gespannt: von den strukturellen Differenzen der mittelalterlichen Inquisition im Hinblick auf Deutschland bis zum aufklärerischen Diskurs Friedrichs II. von Preußen. Es werden Detailstudien vorgestellt wie ebenso brisante Fragen aufgeworfen. Die Beiträge sind in die Rubriken "Mediale Repräsentation", "Kontrolle der Grenzgänger", "Einflusssphären", "Sanktionierung religiöser Devianz jenseits der Inquisition" und "Inquisitionsbilder und Inquisitionspraxis im 18. Jahrhundert" aufgeteilt, ein Orts- und Namensregister beschließt den Band.
Naturgemäß bilden die Beiträge den Schwerpunkt, die sich der neuen Quellenbasis des ACDF verdanken, in denen also die Haltung oder die Maximen des Sanctum Officium in Bezug zur Situation in Deutschland gesetzt werden bzw. das Verhältnis der Spanischen oder Portugiesischen Inquisition zu Deutschland betrachtet wird. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Vernetzungen mit konfessionellen Fragen gerichtet, in Form von Mischehen etwa oder bei der Verfolgung der Täufer und Pietisten oder auch in Bezug auf Kaufleute oder die Bücherzensur.
Die Beiträge sind durchgängig von einnehmender Klarheit und eröffnen neue Zugänge zur Thematik der Inquisition. Um nur einen zu nennen: die moderne Migrationsforschung kann eine wichtige Vertiefung erfahren anhand von Studien zu Kaufleuten und Studenten. Pisa als eine der führenden Universitäten Italiens war etwa für deutsche Studenten ein Anziehungspunkt, aber, wie in einem der Beiträge deutlich gemacht wird, zugleich der besonderen Kontrolle des Officium unterworfen - so gesehen sicher nicht ein empfehlenswerter Studienort für Protestanten oder des Protestantismus verdächtige Denker wie Justus Lipsius.
Bisweilen hätte eine genauere Kenntnis der vorhergehenden mittelalterlichen Inquisition für ein noch tiefergehendes Verständnis der Fälle sorgen können, sah sich doch das Sanctum Officium bewusst als Fortsetzung, nicht als Neugründung der päpstlichen Inquisition. Doch stellen die Beiträge - 16 in deutscher Sprache, einer in Englisch - einen wesentlichen Erkenntnisfortschritt zum Thema Inquisition dar. Sie lassen gerade die vielfältigen, disparaten Formen der oft zum Containerbegriff verkommenen Bezeichnung Inquisition erkennen.
Die Versuchung war groß für die Rezensentin, einzelne Beiträge intensiver zu würdigen. Doch hätte dies leicht das Maß einer Rezension gesprengt. So soll nur der Name eines Autors genannt werden, stellvertretend für den frischen Wind, der durch den Band in der Inquisitionsforschung aufkommt: Andres Gripper stellt in seinem Artikel die provokative Frage: "Nur ein Popanz der Aufklärung? Der aufklärerische Inquisitionsdiskurs im Werk Friedrichs II.". Hier zeigt er eindringlich, dass die seit der Öffnung des ACDF führend gewordene Beurteilung der Inquisition als "gemäßigt" und im Vergleich zu den weltlichen Gerichtstribunalen als "modern" doch der Differenzierung bedarf. Sonst könnte sie leicht in ein revisionistisches Votum umschlagen. Gripper nämlich weist darauf hin, dass neben den bekannten und gern als Beweis für die "schwarze Legende" gebrauchten Texten der Aufklärer noch im 18. Jahrhundert neben der literarischen "Fiktion" auch eine unbestreitbare Faktizität der Inquisition bestand, wenn etwa in Frankreich Menschen wegen Blasphemie noch zum Tode verurteilt wurden. Und auch wenn die Tribunale nicht eindeutig als "päpstliche Gerichte" agierten, so ist doch ihre Verankerung im Inquisitionsrecht der Kirche nicht abzustreiten. Der Gefahr einer "weißen Legende" kann mit solchen Ansatzpunkten wirksam begegnet werden.
Alles in allem ist der Sammelband eine sehr empfehlenswerte Lektüre für alle an dem Phänomen Inquisition Interessierten. Deutlich wird, wie das Thema den Graben der üblichen Periodeneinteilung der Geschichte übersteigt. Dementsprechend wird das Phänomen "Inquisition" als perioden-, aber auch als fach- und länderübergreifendes Themenfeld profiliert. Es waren keine besonderen "Barbaren", die sich der Inquisitionstribunale bedienten, weder in Deutschland noch anderswo, sondern das Verfahren als solches konnte im besserwissenden moralischen Urteil der Aufklärung nur noch als "barbarisch" wahrgenommen werden. Den disparaten, oft sogar diametral entgegengesetzten Beurteilungen der Inquisition gegenüber verhalten sich die Beiträge jedenfalls in exemplarischer Weise als erhellend, indem sie die historische Quellenlage klären und neue Zugänge ermöglichen.
Daniela Müller