Rezension über:

Edgar Feuchtwanger: Disraeli. Eine politische Biographie, Berlin: Duncker & Humblot 2012, 235 S., ISBN 978-3-428-13156-3, EUR 28,00
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Rezension von:
Yorick Wirth
Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Yorick Wirth: Rezension von: Edgar Feuchtwanger: Disraeli. Eine politische Biographie, Berlin: Duncker & Humblot 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 9 [15.09.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/09/21386.html


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Edgar Feuchtwanger: Disraeli

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Unter dem Titel Disraeli. Eine politische Biographie erschien 2012 die deutschsprachige Übersetzung - die englische Originalausgabe wurde zwölf Jahre zuvor publiziert - der von Edgar Feuchtwanger verfassten Lebensbeschreibung des zweimaligen britischen Premierministers (Februar bis Dezember 1868 und 1874 bis 1880) Benjamin Disraeli (1804-1881). Feuchtwanger, deutsch-britischer Historiker und Autor verschiedener Veröffentlichungen zum viktorianischen Zeitalter, war unter anderem von 1981 bis 1982 Gastprofessor an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. [1]

Mit seiner Veröffentlichung verfolgt der Autor - wie im "Vorwort zur deutschen Ausgabe" (5 f.) dargelegt - zunächst das Ziel, seiner Leserschaft einen Zugang zu neueren Disraeli-Forschungen zu eröffnen und mit der gegenwärtigen Quellenlage vertraut zu machen. Eine "Zurückhaltung" (5) der Biographen - insbesondere hinsichtlich Disraelis Jugend, Liebschaften und Schulden -, um "die Erinnerung an eine der Ikonen der Konservativen und des britischen Empires [...] nicht [zu trüben]" (5), sei seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr notwendig. In heutigen Darstellungen trete ein "'echterer' Disraeli entgegen als in den frühen." (6) Edgar Feuchtwanger führt zudem an, seit der Publikation der "[letzten bedeutenden] Disraelibiographie" (6) von Robert Blake [2] im Jahre 1966 sei "viel neues Material, darunter [...] politische Tagebücher, ans Licht gekommen." (6) - Weiterhin ist es Feuchtwangers Anliegen, mit seinem Werk "in die Politik der viktorianischen Epoche" (5) einzuführen.

Die Biographie gliedert sich in eine "Einführung" (9-11) und elf in chronologischer Reihenfolge stehende Kapitel zu Disraelis Leben und Nachleben. (12-211) Eine äußerst nützliche Ergänzung zu den "Anmerkungen" (212-221) stellt die im Sinne einer Forschungs- und Literaturübersicht verfasste "Bibliographische Anmerkung" (222 f.) dar, mit welcher der Autor sein im Vorwort formuliertes Anliegen nach der Bekanntmachung der Leserschaft mit der neueren Forschungs- und Quellenlage erfüllt. Jener Abschnitt des Buches verzeichnet, so Feuchtwanger, nicht nur die in diesem Werk verwendeten - und über die in den Anmerkungen bereits gemachten Angaben hinausgehenden - wichtigen archivalischen Quellenbestände, sondern ermöglicht auch einen Überblick zu solchen Quelleneditionen, die zum Publikationszeitpunkt der Blake'schen Biographie noch nicht vorlagen. [3] Außerdem wird hier ein Aufriss neuerer Darstellungen und Aufsatzsammlungen eröffnet, der einen ungefähren Zeitraum abdeckt von den 1950er Jahren bis ins Jahr 2010. Thematisch erstreckt sich die aufgeführte Literatur von der britischen allgemeinen Geschichte des 19. Jahrhunderts, über wirtschafts- und sozialgeschichtliche Hintergründe, über Disraelis politische Gegner, Weggefährten und das Königshaus bis hin zu den politischen Strömungen des Konservativismus und Liberalismus und ihrer Parteien. Bevor Feuchtwangers Werk mit einem kombinierten "Personen- und Sachwortverzeichnis" (227-235) abschließt, wird Disraelis Lebenslauf in Form einer "Chronologie" (224-226) zusammengefasst.

In der Einführung seines Buches geht Feuchtwanger auf das zeitgenössische Bild Disraelis und dessen Selbstverständnis ein. Dieser sei in den Augen der Zeitgenossen "gleichermaßen Schriftsteller wie Staatsmann" (9) gewesen. Disraeli selbst, der in der viktorianischen Epoche wegen seiner jüdischen Herkunft und seines Bildungshintergrundes ein Außenseiter blieb, sei "davon überzeugt [gewesen], ein Genie zu sein". (9) Dennoch seien "[große] Teile seines literarischen Schaffens [...] Ausdruck seines Ringens um das eigene Selbstverständnis." (9) Disraeli konnte schließlich ein Parlamentsmandat erringen, zu einem Parteiführer der Tories und zum britischen Schatzkanzler aufsteigen, machte jedoch "aus sich ein Geheimnis [...] und [...] blieb [...] vielen ein Rätsel und eine obendrein eher finstere, unheimliche Gestalt." (10) Das Ansehen Disraelis beruhe hauptsächlich auf dem über ihn Geschriebenen, wobei dies den "viktorianischen Staatsmann in den Mittelpunkt [rückte]". (11) Heutige über Disraeli schreibende Autoren müssten ihm sowohl "als Mann des Geistes [...] gerecht werden wie [...] als [bedeutendem] Akteur auf der britischen Politbühne." (11) Auch wenn mittlerweile Disraelis Leistungen in ihren Grenzen sichtbar würden, so machten ihn weiterhin "seine außerordentlichen Qualitäten als Person [...], mit denen er die politische Führung bereicherte, zu einer faszinierenden Gestalt." (11)

Feuchtwanger zeichnet in den einzelnen Kapiteln den Lebensweg Benjamin Disraelis - vom Nachkommen italienisch-jüdischer Immigranten, über den Rechtsanwaltslehrling, Schriftsteller und Abgeordneten bis hin zum britischen Staatsmann - detailliert und zugleich kontextbezogen nach. Dabei bindet Feuchtwanger in seine Darstellung eine Fülle reichhaltigen Quellenmaterials (unter anderem aus Disraelis Romanen und Briefkorrespondenzen, Einträgen in verschiedenen Tagebüchern, Parlamentsniederschriften, Zeitungen) ein, dessen Fundstellen zumeist über den Anmerkungsapparat ersichtlich sind. Vereinzelt sind jedoch nicht alle direkten Zitate mit Anmerkungen versehen; in manchen Textpassagen muss der Quellennachweis etwas umständlich über die Anmerkung eines vorangehenden oder nachfolgenden Zitats ermittelt werden, was zu Irritationen hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit jener Zitate führen kann.

Dies schmälert jedoch nicht den Gesamteindruck des Buches: Feuchtwanger legt mit seiner Biographie ein flüssig zu lesendes, detailliertes und an mannigfaltigen Quellen orientiertes Werk vor, das neben der Lebensgeschichte Disraelis auch gesellschaftlich-politische Zusammenhänge eröffnet. Mit den in den Anmerkungen gemachten Verweisen und der Bibliographie liefert der Autor zudem eine übersichtliche Bestandsaufnahme aktueller Quellen und Darstellungen und verweist auf weiterführende Literatur zu Disraeli und der Politik zur Zeit des Viktorianismus.


Anmerkungen:

[1] Zu einschlägigen Publikationen Feuchtwangers siehe beispielsweise die Nachweise bei Edgar Feuchtwanger: Disraeli. Eine politische Biographie, Berlin 2012 (engl. Originalausgabe London 2000), 222 f., und Feuchtwangers Autorenportrait auf der Internetseite des Verlags Duncker & Humblot, Berlin. URL: http://www.duncker-humblot.de/index.php/autoren/edgar-feuchtwanger-a01 (28.05.2013). Zudem sei erwähnt Edgar Joseph Feuchtwanger: Disraeli, Democracy and the Tory Party. Conservative Leadership and Organization after the Second Reform Bill, Oxford / London / Glasgow et al. 1968.

[2] Robert Blake: Disraeli. London 1966 (dt. Übersetzung Frankfurt am Main 1980). Blakes mehrere hundert Seiten umfassende Biographie (Feuchtwanger: "bis heute [...] in den wesentlichen Punkten das Maß aller Dinge"; Zitat: Feuchtwanger: Disraeli Biographie, 209) wird im Oxford Dictionary of National Biography unter anderem charakterisiert mit den Worten "written with enviable elegance and shrewdness, replaced the old interpretations with an insistent pragmatism." (Zitat: Jonathan Parry: Art. "Benjamin Disraeli, earl of Beaconsfield (1804-1881)", in: Henry Colin Gray Matthew / Brian Harrison (eds.): Oxford Dictionary of National Biography. From the Earliest Times to the Year 2000. Vol. 16, Oxford / New York / Auckland et al. 2004, 270-297, hier 293).

[3] Vgl. dazu die Select Bibliography in der englischen Ausgabe bei Blake: Disraeli, 781-786.

Yorick Wirth