Rezension über:

Kilian Bartikowski: Der italienische Antisemitismus im Urteil des Nationalsozialismus 1933-1943 (= Dokumente, Texte, Materialien; 77), Berlin: Metropol 2013, 208 S., ISBN 978-3-86331-027-1, EUR 22,00
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Rezension von:
Hans Woller
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Hans Woller: Rezension von: Kilian Bartikowski: Der italienische Antisemitismus im Urteil des Nationalsozialismus 1933-1943, Berlin: Metropol 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 9 [15.09.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/09/23453.html


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Kilian Bartikowski: Der italienische Antisemitismus im Urteil des Nationalsozialismus 1933-1943

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Der Antisemitismus im Faschismus ist mittlerweile keine terra incognita mehr. Der Forschungsstand - vor 20 Jahren noch deplorabel - hat sich deutlich verbessert. Vor allem die Politik des Regimes, ihre Radikalisierung und Reichweite, ist in zahlreichen material- und aspektreichen Studien in den Mittelpunkt intensiver Betrachtung gerückt worden. Deutsche Forscher waren an diesem Aufholungsprozess nicht unbeteiligt, sie haben auch dafür gesorgt, dass die neuen Erkenntnisse der italienischen Geschichtswissenschaft zum Thema Rassismus und Antisemitismus hierzulande rezipiert worden sind.

Kilian Bartikowski, ein Schüler von Wolfgang Benz, ist seit Jahren aktiver Teil dieses Transfernetzwerkes, das er nun mit seiner Berliner Dissertation mit eigenem Stoff versorgt. Im Zentrum der Studie steht eine ebenso einfache wie wichtige Frage, die letztlich in den Kernbereich der deutsch-italienischen Beziehungen im Zeichen der "Achse" führt: Wie reagierten die Nationalsozialisten auf die Judenpolitik ihres faschistischen Partners? In den Blick genommen werden dabei nicht nur führende Protagonisten des NS-Regimes wie Hitler, Himmler und Göring, sondern auch Diplomaten, Wissenschaftler, Kulturschaffende sowie mittlere und kleinere Parteifunktionäre vor Ort, deren Urteile sich der täglichen Anschauung und Erfahrung verdankten.

Bei aller Unterschiedlichkeit der Urteile und Reaktionen - eines arbeitet Bartikowski klar heraus: Die Nationalsozialisten reagierten anfangs mehr als verstört auf die rassenpolitische Lässigkeit der Faschisten und atmeten förmlich auf, als sich das faschistische Regime 1938 zu einem härteren Kurs im Umgang mit Juden entschloss und umfassende Rassengesetze erließ, die in den folgenden Jahren weiter verschärft wurden, so dass den Juden in Italien bald kaum mehr eine Lebensperspektive blieb. Nach dieser Zäsur wurden die Beziehungen harmonischer, die deutschen Rassisten fanden nun zahlreiche Rezeptoren auf italienischer Seite, die ihrerseits gar nicht lange angespornt werden mussten; sie hatten ihre eigenen düsteren Vorstellungen von der Zukunft der Juden in Italien und taten im übrigen alles, um ja nicht als Nachahmer der deutschen Rassenpolitiker zu erscheinen.

Die zweite Zäsur setzt Bartikowski 1941, als sich die Wege der Judenpolitik, die sich 1938 partiell angenähert hatten, erneut und nun definitiv trennten. Das NS-Regime steuerte auf die "Endlösung" zu und reagierte mit immer schärferer Kritik auf die Faschisten, die "nur" auf die Vertreibung, nicht aber auf die Vernichtung der Juden setzten. Dass sich parallel dazu auch die antisemitische Politik Mussolinis weiter radikalisierte und dass die Lage der Juden in Italien folglich fast täglich prekärer wurde, fiel den Nationalsozialisten gar nicht mehr auf, wie Bartikowski mit Recht bemerkt.

Die Studie bietet ein ebenso anschauliches wie differenziertes Panorama deutscher Perzeptionen, sie bleibt dabei aber nicht stehen, sondern nimmt auch Netzwerke auf Expertenebene, bilaterale Kooperationsvisionen und - ansatzweise wenigstens - die konkrete Praxis der gemeinsamen Rassenpolitik in den Blick; das Kapitel über die altehrwürdige Hertziana als Forum rassenpolitischer Indoktrination kann dabei besonders großes Interesse beanspruchen.

Keine Frage, Kilian Bartikowski bereichert unser Wissen, beträchtlich sogar, auch wenn der Erkenntnisgenuss durch zahlreiche sprachliche Ungeschicklichkeiten mitunter schwer beeinträchtigt wird. Er lässt aber auch einige Chancen ungenutzt und schöpft so das Potential, das in seiner Studie steckt, nicht gänzlich aus. Das gilt vor allem in dreierlei Hinsicht - erstens mit Blick auf aktuelle Debatten, wobei die heftige Auseinandersetzung um "Das Amt" unbedingt Berücksichtigung hätte finden müssen, zweitens in puncto Quellenauswertung, die darunter leidet, dass die NS-Presse nur punktuell herangezogen wurde, und drittens beim Thema Mussolini, der - einmal mehr - als politischer Opportunist erscheint, obwohl die neuere Forschung längst zu anderen Ergebnissen gekommen ist und Mussolini als Rassisten und Antisemiten enttarnt hat, der keiner deutschen Nachhilfe bedurfte.

Hans Woller