Rezension über:

Geoffrey Parker: Global Crisis. War, Climate Change and Catastrophe in the Seventeenth Century, New Haven / London: Yale University Press 2013, XXIX + 871 S., ISBN 978-0-300-15323-1, GBP 29,99
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Rezension von:
Anke Fischer-Kattner
Historisches Institut, Universität der Bundeswehr München
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Anke Fischer-Kattner: Rezension von: Geoffrey Parker: Global Crisis. War, Climate Change and Catastrophe in the Seventeenth Century, New Haven / London: Yale University Press 2013, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 11 [15.11.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/11/22823.html


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Geoffrey Parker: Global Crisis

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"All earth was but one thought - and that was death" (697) - Geoffrey Parker schließt sein Buch mit Versen von Byron, der die trübe Stimmung eines "Jahres ohne Sommer" in Endzeitvisionen ausmalt. Parker wirbt damit auch um Aufmerksamkeit für eine hochaktuelle Debatte. Zwar bezieht er zu den Ursachen des Klimawandels keine Stellung, doch er appelliert an die Menschheit, historische Erfahrungen mit einschneidenden global-klimatischen Veränderungen als Lehrstücke ernst zu nehmen. Klimageschichtliche Forschungen belegen, so Parker, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und politischen Unruhen des 17. Jahrhunderts mit dem Höhepunkt der vom Spätmittelalter bis ins 18. Jahrhundert reichenden "Kleinen Eiszeit" zusammenfallen: Harsche Wetterbedingungen zwischen den 1640er und 1690er Jahren trugen dazu bei, dass soziale und politische Probleme in gewaltsamen Protest 'umschlugen'. Parker nutzt M. Gladwells Metapher des "tipping point" (XXVI), um zu verdeutlichen, wie kleine Auslöser ein ganzes soziales Gefüge umstürzen lassen können. Dabei könne politisches Handeln als Hebel an den unterschiedlichsten Stellen ansetzen.

Methodische Grundlagen für eine politische Klimageschichte des 17. Jahrhunderts skizzierte Parker bereits 2005. [1] Er plädiert dafür, neben dem "menschlichen Archiv" mit "narrativen" und "numerischen Informationen", Bildern von Naturphänomenen, epigraphisch-archäologischen Zeugnissen und instrumentell erhobenen Daten auch das "natürliche Archiv" zu nutzen. Glaziologische Forschungen, Palynologie, Dendrochronologie und Analysen von Mineralablagerungen in Höhlen erlauben Rückschlüsse auf historische Klimaveränderungen und kurzfristigere extreme Wetterphänomene. Seine Überlegungen setzt Parker in der vorliegenden Studie um. Er gliedert seine Abhandlung in fünf Teile, in denen er Ursachen, Verlaufsformen und Reaktionen auf die Krise untersucht.

Teil I beschreibt die globale Abkühlung der "Kleinen Eiszeit" als Nährboden der Krise. Parker erläutert, wie verheerend sich schon minimale Änderungen der Durchschnittstemperatur (verursacht durch verringerte Sonnenaktivität und Vulkanemissionen) auf die Nahrungsmittelproduktion auswirken. Eine solche Versorgungskrise könne politisch entweder verschlimmert (z.B. durch Krieg, exzessive Besteuerung, unpopuläre Maßnahmen) oder gelindert werden. Besonders betroffen von der Krise des 17. Jahrhunderts waren drei Arten von 'Schlüsselzonen': In Städten war die Bevölkerung für Krankheiten und Versorgungsengpässe extrem anfällig. Auf "marginalem" Land, das schon unter normalen Bedingungen gerade genug zum Überleben der Bevölkerung abwarf, wurde Ackerbau zunehmend unmöglich. Aber auch dicht besiedelte "Makroregionen", in denen gute Böden normalerweise hohen Ertrag brachten, erwiesen sich als gefährdet: Wo vielfältig vernetzte Märkte hohe berufliche Spezialisierung begünstigten, gab es relativ wenige Selbstversorger, die dem Mangel nicht schutzlos ausgeliefert waren. Die fatale klimatisch-ökonomische Dynamik kostete global gesehen, so schätzt Parker, etwa ein Drittel der Weltbevölkerung das Leben.

In Teil II verschafft Parker seinen Lesern Einblick in unterschiedliche regionale Ausprägungen der allgemeinen Krise in Eurasien. Seine Darstellung führt von Ost nach West - von China über Russland und Polen-Litauen, das Osmanische Reich, über die deutschen Territorien mit ihren skandinavischen, niederländischen und eidgenössischen Nachbarn, die iberische Halbinsel und Frankreich bis zu den britischen Inseln. Parker trägt aus neueren Forschungen zu den angesprochenen Regionen ebenso wie aus eigener Quellenarbeit eine beeindruckende Fülle historiographischer Information zusammen. Grundsätzlich werden in jedem Kapitel Entwicklungen um den "tipping point" beschrieben, an dem die Krisenphänomene etablierte Machtgefüge aufzulösen begannen. Da die geographisch-politischen Einheiten getrennt behandelt werden, fällt es jedoch bisweilen schwer, Parallelen oder Verbindungen zwischen den Ereignissen zu erkennen.

Teil III widmet sich den Ausnahmen zur allgemeinen Krise. In diese Kategorie fallen für Parker einerseits Regionen, in denen nach ersten Krisensymptomen politische Gegenmaßnahmen getroffen wurden, andererseits Weltteile, für die Auswirkungen des Klimawandels (noch) nicht nachgewiesen sind. Zur ersten Kategorie zählen für Parker das Mogul- und das Safawidenreich, die spanischen Herrschaftsgebiete in Italien oder Japan unter den Tokugawa-Shogunen. Politisch geschickte Reaktionen auf Unruhen verhinderten jeweils, dass der kritische Punkt hin zum flächendeckenden Widerstand überschritten wurde. Für das subsaharische Afrika und Australien ließen hingegen noch zu wenig erschlossene Quellen bisher allenfalls schemenhaft fatale Auswirkungen der globalen Klimaänderungen erkennen. Für Amerika kann Parker auf die Frühgeschichte der europäischen Siedlungskolonien zugreifen. Auch hier intensivierten sich im 17. Jahrhundert extreme Wetterereignisse und kriegerische Konflikte - ob zwischen den Kolonialmächten oder zwischen Siedlern und indigener Bevölkerung. Während letztere verheerende Verluste erlitt, wuchs die Zahl der europäischen Siedler in Nord- und Südamerika trotz allem stark an. Die Ausbeutung von Indigenen und afrikanischen Sklaven wendete die Krise von den Kolonisten ab.

Wie Menschen der Frühen Neuzeit mit den bedrohlichen Krisenphänomenen umgingen, erkundet Parker in Teil IV seines Buches. Dabei nimmt er die Kulturgeschichte des Widerstands der 'einfachen Leute', häufig angeführt von Frauen, Klerikern oder 'Narren', zum Ausgangspunkt. Jedoch blieben solche Aufstände meist örtlich und zeitlich begrenzt. Überregional und längerfristig erfolgreicher Protest wurde eher von Aristokraten, "Intellektuellen" (d. h. Menschen mit höherer Bildung, die sowohl in Europa als auch in Asien Schwierigkeiten hatten, ein Auskommen zu finden) oder von Vertretern einer religiösen "Heterodoxie" (im Verhältnis zur jeweiligen Obrigkeit) geführt und theoretisch gerechtfertigt. Erst spät geht Parker auf Verbindungen zwischen verschiedenen Widerstandsbewegungen ein. Konkrete Mittlerpersonen und handgeschriebene oder gedruckte (Nachrichten-)Kommunikation vernetzten die Träger von Protest über Grenzen hinweg. Religiös oder politisch-diplomatisch motivierte Solidarität konnte lokale Revolten wirkmächtiger machen.

Dennoch endete die allgemeine Krise im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts, während die "Kleine Eiszeit" weiter andauerte. Parker fragt in Teil V nach Gründen dafür. Dem einzelnen Menschen stand häufig wohl nur die Weltflucht als Reaktionsmöglichkeit offen. Entscheidende Wirkung bei der Bewältigung der Krise entfalteten für Parker aber vor allem pragmatische Maßnahmen 'von oben', angeblich ein Übergang "vom Kriegsstaat zum Wohlfahrtsstaat" (612). Indem Wirtschaftszonen zunehmend integriert wurden, konnten die Erträge von Wiederaufbau, landwirtschaftlichen Innovationen und "industrious revolutions" (nach de Vries, 620f.) besser verteilt werden. Die Professionalisierung staatlicher Informationssammlung und administrativen Handelns ermöglichte kontrollierende Eingriffe z.B. gegen Seuchen und in die Nahrungsmitteldistribution. Doch letztlich stellten nicht allein innovative staatliche Maßnahmen, sondern häufig auch die strikte Einhegung von Neuerungen das Gleichgewicht wieder her. Stagnation barg aber wiederum Krisenpotential. Vor diesem Hintergrund wagt Parker noch einen Ausblick auf die "Great Divergence" zwischen Europa und Asien. Auf beiden Kontinenten suchten Gelehrte mit Erfolg nach neuen Antworten auf die drängenden Probleme der Krise. Den entscheidenden Unterschied sieht Parker darin, dass sich verschiedene Wissenschaftskulturen etablierten: Europas weltgeschichtlicher Vorteil für die folgenden beiden Jahrhunderte lag demnach in der institutionalisierten Vernetzung von Wissenschaftlern. Kollaborative Projekte förderten produktive Kritik und Ideenaustausch. Letztlich erweiterte dies europäische Handlungsspielräume in den folgenden Jahrhunderten.

Abschließend fasst Parker seine Ergebnisse in Form einer "Anatomie" der Krise (vgl. C. Brinton) zusammen. Die Verluste der Krisenjahrzehnte waren hoch, auch wenn einige wenige Gruppen, Dynastien oder Staaten von der Krise profitieren konnten. Parkers Fazit zeigt, dass die Verschlechterung der klimatischen Bedingungen erst im Zusammenspiel mit obrigkeitlichen Eingriffen wie Steuererhebungen, neuen religiösen Vorschriften oder ähnlichem fatale Folgen nach sich zog. Klimatische Veränderungen und Umweltkatastrophen sind also kein deterministischer, wenngleich ein wichtiger Faktor der Geschichte.

Parker bietet mit seiner Arbeit eine Ergänzung zu Werken, die für eine globalhistorische Perspektive auf die Frühe Neuzeit die Verbindungen des Fernhandels nachzeichnen. [2] Er setzt auf überzeugende Weise seine älteren Arbeitsfelder - die 'general crisis', die politischen Schwierigkeiten des spanischen Reiches, Militär- und Staatsbildungsgeschichte - in Beziehung zu innovativen Ansätzen der Umwelt- und Globalgeschichte. Parker stellt sich zudem die Aufgabe, selbst diejenigen seiner geographisch-politischen Fallbeispiele, die nicht seinen ursprünglichen Arbeitsgebieten entstammen, mit eigener Quellenarbeit zu unterlegen - auch wenn dies z. T. nur unter Rückgriff auf wenige edierte und übersetzte Texte möglich ist. Visuelles Material (28 Abbildungen in der Buchmitte) und Tabellen sowie Graphen für statistische Informationen bezieht Parker ebenfalls in seine Analyse ein.

Die beeindruckende thematische und geographische Vielfalt hat jedoch ihren Preis. Zum Teil wirken die geographisch-politischen Fallbeispiele, als würden handbuchartig Überblickskapitel nebeneinandergestellt. Verknüpfungen zu den Leitideen der Arbeit werden eher in Zwischenüberschriften als im Text selbst hergestellt. Das liegt auch daran, dass Parkers Gliederung die klimatischen Bedingungen als Gemeinsamkeit hervorhebt. Demgegenüber hätten die Verbindungslinien des menschlichen Handelns und des Informationsaustausches, die nur als Unterpunkte behandelt wurden, insgesamt stärker unterstrichen werden können. Dadurch hätte die globale Dimension der Untersuchung noch deutlichere Konturen erhalten. Doch setzt Parker mit diesem umfangreichen Buch eine wichtige Marke für die Globalgeschichte der Frühen Neuzeit. Denn nicht nur Kommunikation und Konsum, sondern eben auch Katastrophen und Konflikte verknüpften im 17. Jahrhundert Weltregionen.


Anmerkungen:

[1] Geoffrey Parker: Crisis and Catastrophe: The Global Crisis of the Seventeenth Century Reconsidered, in: American Historical Review 113/4 (2008), 1053-1079.

[2] Z. B. Timothy Brook: Vermeer's Hat: The Seventeenth Century and the Dawn of the Global World, New York 2008.

Anke Fischer-Kattner