Rezension über:

Marieke von Bernstorff: Agent und Maler als Akteure im Kunstbetrieb des frühen 17. Jahrhunderts: Giovan Battista Crescenzi und Bartolomeo Cavarozzi (= Römische Studien der Bibliotheca Hertziana; Bd. 28), München: Hirmer 2010, 218 S., ISBN 978-3777-42641-9, EUR 85,00
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Rezension von:
Valeska von Rosen
Institut für Kunstgeschichte, Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Valeska von Rosen: Rezension von: Marieke von Bernstorff: Agent und Maler als Akteure im Kunstbetrieb des frühen 17. Jahrhunderts: Giovan Battista Crescenzi und Bartolomeo Cavarozzi, München: Hirmer 2010, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 11 [15.11.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/11/23665.html


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Marieke von Bernstorff: Agent und Maler als Akteure im Kunstbetrieb des frühen 17. Jahrhunderts: Giovan Battista Crescenzi und Bartolomeo Cavarozzi

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Der Abschied von der Figur des Künstlergenies gelang der Kunstgeschichte nur in Raten. Zu attraktiv war das Denkmodell eines nur nach innerer Disposition schöpfenden Subjekts, zu eingängig die Vorstellung vom herausgehobenen, ja aus sich selbst leuchtenden Genius, der sein Umfeld zwangsläufig verschattet. Für das Rom um 1600 mit seinem enfant terrible Caravaggio, der sich 'präkantianisch' seine Regeln selbst gegeben zu haben schien, gilt dies allemal. Wenngleich mittlerweile zahlreiche Studien zu Künstlerstrategien und 'self-fashioning', zur Künstlersozialgeschichte und Marktbedingungen das Bild vom frühen 17. Jahrhundert zu korrigieren vermochten, erweisen sich doch in vielen Studien über Caravaggios Umfeld die alten Prämissen als ausgesprochen zählebig. So etwa das Muster einer linearen Verlaufsform stilistischer Entwicklungen und die Denkvorstellung von Innovation auf der einen und Epigonentum auf der anderen Seite.

Umso willkommener ist ein Buch, das für einen konkreten Gegenstand, einen Künstler aus Caravaggios Umfeld, geradezu exemplarisch vorführt, wie eine biografisch grundierte Studie klug und methodisch versiert verfasst werden kann. Statt einer Werkmonografie zu Bartolomeo Cavarozzi (1587-1625), die auf den problematischen Kategorien von "Einfluss", "Quellen" und dem Individualstilbegriff basiert, legt von Bernstorff eine Art Doppelmonografie vor und bindet jene Person gleichwertig ein, die Cavarozzis römische und spanische Karriere entscheidend mit geformt hat: den Marchese Giovan Battista Crescenzi (1577-1635). Rolle und Funktion Crescenzis und sein professionelles Profil verortet sie sowohl in der kunsttheoretischen Diskussion als auch in dem "Kunstsystem" des Seicento - worunter von Bernstorff nicht nur den Markt, sondern auch die Patronage-Strukturen, die Bedingungen für künstlerische Entstehungsprozesse und allgemein das Struktursystem, in dem Kunst entsteht bzw. rezipiert wurde, bezeichnet.

Wie der römische Patrizier Crescenzi selbst sein Image als theoretisch und praktisch versierter Mediator zwischen Künstler und Auftraggeber formte (z. B. durch Inszenierung seiner eigenen künstlerisch-dilettantischen Tätigkeit), wie Cavarozzi, geprägt durch die intensive Nähe der Familie Crescenzi zu den Oratorianern, das Ideal des pictor christianus für sich entdeckte und einsetzte und wie beide schließlich, nach einem Zerwürfnis Crescenzis mit dem Papst, am spanischen Königshof reüssierten, rekonstruiert von Bernstorff überaus anschaulich. Was in der Kunstgeschichte mitunter in Auftraggeberforschung auf der einen und Künstlerforschung auf der anderen Seite zerfällt, wird hier ineinander geflochten und somit gezeigt, dass beide einander benötigen - so wie auch die beiden Protagonisten der Studie vor allem als Duo erfolgreich waren. Bezeichnenderweise sucht sich Crescenzi, als Cavarozzi nach zweijähriger Tätigkeit am Madrider Hof nach Rom zurückkehrt, in Antonio de Pereda prompt einen neuen Protegé.

Die Passagen, in denen von Bernstorff die Hieronymus-Darstellungen Caravarozzis und Peredas im Palazzo Pitti, der US-amerikanischen Botschaft in Rom und im Prado nach dem Einsatz (verhüllter) Zitate von Dürers Kupferstichen zur Aktivierung der Betrachter vergleichend analysiert, gehören daher zu den attraktivsten des Buches. Denn hier gelingt es der Autorin, den Lesern an einem überaus prägnanten Beispiel plastisch vor Augen zu führen, welchen Anteil das gemeinsame Gespräch zwischen Künstlern und 'Mentoren' für die Prozesse der Bildfindung in der Frühen Neuzeit gehabt haben kann, worin aber auch der genuin künstlerische Anteil in der spezifischen Aktualisierung von Bildkonzepten bestand.

Dieses und viele weitere Beispiele zeigen, dass es sich bei dem Verhältnis zwischen Crescenzi und Cavarozzi um weitaus mehr als das klassische Verhältnis Künstler-Mäzen handelt. Dieses entwickelte sich vielmehr an den Bedingungen des sich ausbildenden freien Bildermarkts in Rom, auf das mit neuen Strategien einer Lancierung bestimmter Arbeitsweisen und Bildidealen reagiert werden musste.

An dieser Stelle kommt nun Caravaggio ins Spiel. Wie Cavarozzi dessen Innovationen in konzeptueller Hinsicht aufgreift, zugleich aber modifiziert und anderes vollständig negiert, zeigt von Bernstorff ausführlich, wobei ihr eine Reihe plausibler Zuschreibungen von Bildern an Cavarozzi gelingen, die in der Forschung auch für Caravaggio diskutiert wurden (so die Opferung Isaaks in der Piasecka Johnson Sammlung in Lawrenceville). So erweist sich Cavarozzi als kluger Stratege, der die Norm- und Geschmacksvorstellungen seines Publikums zu beachten weiß: Stilleben malt er im modo naturale Caravaggios, profane Musikbilder in Halbfigur wie Amintas Klage im Louvre ebenfalls, doch vermeidet er jene fast aggressiv-direkte Betrachter-Involvierung durch verhüllt-offenkundige Liebesbotschaften, mit denen Caravaggios Lautenspieler seinen Betrachter adressiert. Madonnenfiguren suggerieren uns ihre Modellabhängigkeit, halten aber ihr Dekolleté und Kind bedeckt, und in der Schilderung von Historien wie dem Emmaus-Mahl wahrt Cavarozzi stets das decorum - eben jene Kategorie, die Caravaggio so gern problematisierte. Diese Form eines moderaten "Caravaggismus", in denen Stoffe wieder kostbar glänzten und Heilige himmelwärts blickten, konnte nach Spanien exportiert werden und dort erfolgreich werden. So liest sich Marieke von Bernstorffs Buch als eine überaus fundierte Studie, die die Produktions- und Rezeptionsbedingungen im Rom des Primo Seicento im Spannungsfeld von Künstler, Sammler und der von ihr neu konturierten Figur des Mentors und Förderers rekonstruiert und zugleich - an einem signifikanten Fallbeispiel - umfassend mit denen Spaniens vergleicht.

Valeska von Rosen