Irven M. Resnick (ed.): A Companion to Albert the Great. Theology, Philosophy, and the Sciences (= Brill's Companions to the Christian Tradition; Vol. 38), Leiden / Boston: Brill 2013, XV +833 S., ISBN 978-90-04-23407-9, EUR 195,00
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Irven M. Resnick / Kenneth F. Kitchell: Albertus Magnus and the World of Nature, London: Reaktion Books 2022
Als 38. Band der Reihe "Brill's Companions to the Christian Tradition" ist nun der Band zu Albert dem Großen erschienen, der somit in chronologischer Analogie zeitlich vor den sicherlich geplanten Bänden zu Thomas von Aquin, seinem Schüler, oder Duns Scotus veröffentlicht wurde. Ansonsten muss man anmerken, dass die bisher erschienenen 50 Bände der Reihe keine irgendwie sinnvolle Ordnung erkennen lassen. Sieht man die Liste der bisher sehr rasch erschienenen Bände - immerhin 50 Bände in sieben Jahren - durch, gewinnt man eher den Eindruck einer recht wahl- und planlosen Zusammenstellung. Unter dem Begriff der christlichen Tradition lässt sich so ziemlich alles vereinigen. Mögen auch die Beweggründe der Reihenzusammenstellung nicht ganz klar sein, so kann man dies nicht auf den vorliegenden Band zu Albertus Magnus übertragen.
Der Band ist in drei Teile unterteilt, denen ein kurzer biografischer Abriss vorangestellt wurde. Hierin betont der Herausgeber Irven M. Resnick: "Albert's prominence stems in part from his contributions to Christian theology, some of which are treated in this volume. But his legacy also depends upon his contributions as a natural scientist and philosopher" (1). Dementsprechend ist der erste Teil Alberts Theologie gewidmet. Der Artikel zur systematischen Theologie Alberts vom "chief editor" der Editio Coloniensis, Henryk Anzulewicz, ist sowohl für diesen Teil wie auch für den ganzen Band eine instruktive Eröffnung. In drei weiteren Beiträgen werden die Natur der Theologie, wie sie zumeist in den Eröffnungsquästionen der Sentenzenkommentare verhandelt wird, die Mariologie und die mystische Epistemologie besprochen. Damit ist der Theologieteil bereits abgeschlossen.
Der zweite Teil widmet sich, wie im Untertitel des Bandes verheißen, der Philosophie und Alberts Beiträgen in verschiedenen Wissenschaften. Hier werden Physik, Botanik, Medizin, Mathematik, Astronomie sowie Astrologie und Magie behandelt. Die Aufarbeitung des Forschungsstandes zu dem Speculum astronomiae durch Jeremiah Hackett ist dabei besonders erwähnenswert, bietet sie doch eine gute Übersicht und Orientierungshilfe dieser komplizierten Sachlage. Auch die Anthropologie und das moralische Denken Alberts finden hier Beachtung, bevor der philosophischen Königsdisziplin, der Metaphysik, ein eigener umfangreicher Unterabschnitt am Ende dieses Teils gewidmet ist.
Der dritte Teil bietet den Epilog des Bandes und besteht aus einem einzigen Beitrag "Albert's Contributions to or Influence on Vernacular Literatures" von Dagmar Gottschall. Und so verdienstvoll dieser Beitrag ist, macht er doch ein großes Desiderat des gesamten Bandes augenfällig: Weder Einfluss noch Rezeptionsgeschichte von Alberts Philosophie oder einzelner Werke finden irgendeine Beachtung. Nach dem Index taucht der Begriff und die "Schule" des Albertismus kein einziges Mal auf. Von Maarten Hoenen, der in vielen Aufsätzen die Schulbildung des späteren Mittelalters und dabei speziell den Albertismus untersucht hat, findet sich in der Bibliografie nur ein Beitrag zu Alberts Trinitätstheologie. Ebenso finden die einschlägigen Arbeiten zum Albertismus von Gilles Meersseman und Zenon Kaluza keinerlei Erwähnung. Allein in dem Beitrag "Anthropology: Albert the Great on the Cogitative Power" von Benedict M. Ashley finden einige Autoren der Zweiten Scholastik Erwähnung, das mehrbändige Dilucidum philosophiae syntagma e divae Thomae Aquinatis [...], beati Alberti Magni [...] effatis ac dogmatibus concinnatum des Dominikaners Nicolaus Arnu aus der Mitte des 17. Jahrhunderts findet jedoch weder hier noch sonst wo Berücksichtigung. Man könnte vermuten, dass dieses Problem dem zu eng verstandenen Autorenparadigma des Bandes geschuldet ist, jedoch muss man gerade heutzutage, wenn man überhaupt noch diesem Autorenparadigma verhaftet bleibt, dies wenigstens weit fassen.
Leider lassen jedoch eine ganze Reihe Beiträge, wenn nicht das Konzept des Bandes selbst, jede diskursanalytische Einordnung vermissen. Eine Rückbindung von Alberts Positionen in die zeitgenössischen Diskussionen und in die Wirklichkeit des 13. Jahrhunderts findet so gut wie nicht statt. Der von Ruedi Imbach und Christoph Flüeler bereits 1985 herausgegebene Band "Albert der Große und die deutsche Dominikanerschule. Philosophische Perspektiven" erfährt wie die gesamte deutsche Dominikanerschule keinerlei Einbindung. Dasselbe gilt für die Forschungen von Kurt Flasch, Ruedi Imbach, Burkhard Mojsisch oder Olaf Pluta, um nur einige zu nennen.
Zwar wird mehrfach in dem Band darauf hingewiesen, dass es Albert bei seinen Aristoteles-Paraphrasen darum ging, dessen Werke darzulegen, nicht seine eigene Meinung. "It has been objected that in writing such "paraphrases", as they are called, Albert was not giving his own opinion but was merely seeking to report the position of Aristotle. The import of this objection is that we look in vain to find Albert's true philosophical position in the Aristotelian paraphrases." (168) Diese Position, ebenso wie Alberts berühmtes Diktum "nihil ad me de Dei miraculis, cum ego de naturalibus disseram", erfährt jedoch nirgends eine systematische Aufarbeitung. Auch Alberts Beziehungen und seine Bedeutung für den sogenannten heterodoxen Aristotelismus, zur Verurteilung von 1277 und zu der in den obigen Aussagen angedeuteten möglichen Doppelten Wahrheit werden eher stiefmütterlich behandelt. Pietro Pomponazzi rechtfertigt seine Aristotelesauslegung zu Anfang des 16. Jahrhunderts hinsichtlich der Frage nach der Unsterblichkeit der Seele mit nicht allzu fernliegenden Formulierungen. Ein Werk wie die Summa naturalium oder Philosophia pauperum, die zwar heute Albert von Orlamünde zugeschrieben wird, jedoch jahrhundertelang als authentisches Werk Alberts des Großen galt und sich zu großen Teilen aus dessen Philosophie speist, wird mit komplettem Schweigen übergangen, obgleich ein solches Werk doch im 15. Jahrhundert als Schulbuch diente und häufig selbst kommentiert wurde.
Man kann also allenfalls sagen, dass der Band zu manchen genuinen Werken Alberts des Großen eine gute Heranführung bietet, jedoch nur in den seltensten Fällen über den Rand des Tellers, auf dem diese Werke liegen, hinausblickt.
Henrik Wels