Christoph Wilhelmi: Porträts der Renaissance. Hintergründe und Schicksale, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2011, 192 S., 83 Farb- und s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01432-4, EUR 19,95
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Seit einigen Jahren hat die Porträtforschung eine Renaissance erfahren, die sich in zahlreichen Tagungen, Publikationen und Ausstellungen niederschlägt. Dabei hat sich der Blick zunehmend von der reinen Analyse des autonomen, ästhetischen Kunstwerkes gelöst und verstärkt auf die Kontexte und Gebrauchsweisen der Porträtkunst gerichtet und zugleich die Bedeutung der Porträtierten stärker in den Vordergrund gerückt.
Wilhelmis Publikation erschien zeitgleich zu der Berliner Ausstellung "Gesichter der Renaissance - Meisterwerke italienischer Portrait-Kunst" [1] und wurde vom Verlag als "reizvolles kulturgeschichtliches Lesebuch" angekündigt, welches dem Leser in 24 Einzelstudien 25 bislang nicht identifizierte Porträts von Wissenschaftlern, Literaten, Adligen und Bürgern um 1500 nahebringt. Das Buch wurde mit Sorgfalt ediert. Jedes besprochene Werk ist ganzseitig in Farbe abgebildet und mit Vergleichsabbildungen flankiert. Den Schwerpunkt bilden elf Gemälde von Bartolomeo Veneto, des weiteren sind Werke von Cariani, Vittore Carpaccio, Il Cavazzola, Lucas Cranach dem Älteren, Hans Holbein dem Jüngeren und Savelli Sperandio besprochen.
Dies lässt auf eine interessante Lektüre hoffen. Es sei hier jedoch vorweg genommen, dass das Buch dem Anspruch auf eine überzeugende (Neu-)Identifizierung der ausgewählten Porträts nicht gerecht wird. Ein grundlegendes Problem stellt dabei die Zielsetzung dar. Wäre Wilhelmis Buch eben jenes "reizvolle Lesebuch" mit konsequent populärwissenschaftlicher Ausrichtung und Interpretationsvorschlägen, dann würde es dem Leser durchaus neue Anreize zur Auseinandersetzung mit Porträtkunst liefern. Wilhelmi erhebt mit seinem "Identifizierungsprojekt" jedoch nicht nur den Anspruch auf wissenschaftliche Fundiertheit, sondern auch auf endgültige Entschlüsselung (10). An diesem Anspruch scheitert dann auch seine Arbeit, denn er argumentiert weder methodisch sauber noch sprachlich stringent und konterkariert dadurch seine durchaus interessanten Ansätze und Beobachtungen. Dies fällt umso mehr ins Gewicht, da gänzlich auf einen Anmerkungsapparat verzichtet wurde. Auch die für den Leser etwas sperrige Mischung aus Detailwissen, Anekdoten und subjektiven Beschreibungen wie "ihr Ausdruck gleicht einer aufmerksam zuhörenden Schülerin" (156) ist unglücklich gewählt. Leider bleibt der Autor dem Leser die Erklärung schuldig, nach welchen Kriterien er die Auswahl der vorgestellten Porträts getroffen hat.
Wilhelmi setzt sich nicht konkret mit aktuellen forschungsrelevanten Fragestellungen auseinander. Er weist in seiner Einführung eher allgemein auf die Relevanz einer Annäherung an Porträts mittels Identifizierung der Dargestellten hin, um Porträts aus ihrer Anonymität zu lösen und ihre "authentische Identität" (7) wiederzubeleben. Porträtikonografie im biografischen Kontext des Dargestellten zu analysieren, ist unbestritten ein wichtiger Ansatz, da sich durch eine schlüssige Identifizierung nicht nur Anlass und Inhalte der Porträts, sondern auch ihre kulturhistorische Relevanz ableiten lässt. Zu Recht weist der Autor darauf hin, dass es bei der Porträtidentifizierung keine umfassend gültige Methode gibt, sondern jedes Werk einen individuellen Ansatz verlangt (9). Ebenso muss man ihm in seiner Einschätzung folgen, dass sich der Wert eines Gemäldes allzu oft durch ungesicherte Zuschreibungen und Identifizierungen steigern lässt (8). Umso kritischer sieht der Leser daher die mangelnde Umsetzung dieser Prämissen:
So will Wilhelmi in einer Porträtzeichnung von der Hand Hans Holbeins d.J. eine Darstellung der Anne de Lorraine (1522-68) erkennen. Für seine Beweisführung zieht er als Vergleichsbeispiel das Porträt einer Unbekannten im Metropolitan Museum of Art heran, das lange Zeit - vom Autor unerwähnt - als Bildnis der englischen Königin Mary Tudor galt. Wilhelmi stützt sich bei seinem Vergleich auf die angeblich frappierende physiognomische Ähnlichkeit zwischen der Holbein-Zeichnung und dem New Yorker Gemälde, lässt aber die ebenfalls nicht von der Hand zu weisende Ähnlichkeit der New Yorker Darstellung mit zweifelsfreien Porträts der Mary Tudor völlig außer Acht. Überhaupt bleibt schleierhaft, wie Wilhelmi auf das Bildnis im Metropolitan Museum als Vergleichsbeispiel kommt, da das Gemälde weder als Ausführung noch als Umsetzung der Holbein-Zeichnung angesehen werden kann. Hier hätte sich eher die Suche nach gesicherten Darstellungen der Anne de Lorraine angeboten. Noch abwegiger ist die Deutung der Bildnis-Kamee auf dem New Yorker Porträt als Darstellung des René de Chalon, des Ehegatten der Anne de Lorraine (160). Denn bei eingehender Betrachtung wird ersichtlich, dass die Kamee nicht das Porträt eines Mannes, sondern eine weibliche Figur wiedergibt.
Durchgängig kritisch zu bewerten ist der Umgang mit Vergleichsbeispielen, deren Auswahlkriterien dem Leser zumeist verborgen bleiben bzw. häufig nicht nachzuvollziehen sind. Wer sich grundlegend mit Porträtkunst beschäftigt, weiß, dass physiognomische Ähnlichkeit per se kein Positivkriterium für Identifizierung sein kann, ebenso wie physiognomische Unähnlichkeit kein Ausschlusskriterium ist. Dessen ist sich der Autor durchaus bewusst, dennoch basieren die meisten seiner Vergleiche auf der Grundlage scheinbarer physiognomischer Ähnlichkeit. So wird z.B. im Falle des ausführlich untersuchten Porträts des Charles III. de Bourbon (1490-1527) von Bartolomeo Veneto die vage Ähnlichkeit (langes Gesicht, Schielen) einer Zeichnung aus der Schule des Jean Clouet als Positivargument übernommen, die Disparität einer gesicherten Darstellung auf einer Medaille von Thomas de Leu jedoch als nicht vergleichbar eingestuft (21), oder im Falle des Friedrich von der Pfalz (1482-1556) eine Dreiviertelansicht mit einem Profil verglichen (89).
Eine weitere Problematik besteht in der fehlenden bzw. nicht hinreichend stringenten ikonografischen Analyse der einzelnen Werke. Wilhelmis selektive Vorgehensweise führt zu Verzerrungen oder Auslassungen. Im Porträt des Charles de Bourbon konstatiert er das Fehlen christlicher Zeichen und zieht daraus die Schlussfolgerung: "Charles de Bourbon verstand sich wohl als säkularisierte Person der Renaissance" (23). In seinen Ausführungen zum Bildnis Friedrichs von der Pfalz beschreibt er das Hemd des Dargestellten als oberitalienische Mode, den kostbaren Pelz bringt er mit vornehmer Abstammung in Verbindung (86). Dass die Pelzschaube aber auch eine Anspielung auf die nordalpine Herkunft des Dargestellten sein könnte, erwähnt er nicht. Das ist umso merkwürdiger, als dieses Argument mit Wilhelmis Interpretationsansatz in Einklang stehen würde. Ebenso weist er zwar auf die zentrale Bedeutung des Schwertes in diesem Porträt hin und leitet dessen mögliche Entstehungsgeschichte her, führt aber keine Parallelbeispiele an (88).
Man muss Wilhelmi zugestehen, dass er insbesondere im Hinblick auf biografische, historische und emblematische Details akribisch recherchiert hat. Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass es durchaus überzeugende Identifizierungen gibt, wie im Fall der Eleonora de'Fideli (1465-1518/19). Die Problematik der Arbeit liegt jedoch in der mangelnden Plausibilität der Beweisführungen, in der methodisch nicht exakten Verknüpfung der Recherchen mit einer für den Leser schlüssig nachvollziehbaren Argumentation. Hypothesen werden zu Tatsachen, und dies führt zu zahlreichen argumentativen Zirkelschlüssen. Es hätte Wilhelmis Schlussfolgerungen an vielen Stellen gut getan, sprachlich etwas mehr Zurückhaltung zu zeigen und öfters den Konjunktiv zu wählen anstatt faktische Aussagen zu treffen. Wissenschaft ist die größtmögliche Annäherung an Wissen und zugleich auch das Wissen um die eigenen Grenzen.
Anmerkung:
[1] Bode-Museum, 25.08.-20.11.2011, danach, 21.12.2011-18.03.2012, im Metropolitan Museum of Art, New York. Vgl. den Katalog von Keith Christiansen / Stefan Weppelmann (Hgg.): Gesichter der Renaissance - Meisterwerke italienischer Portrait-Kunst, München 2011.
Karin Schrader