Rezension über:

Jan C. Jansen: Erobern und Erinnern. Symbolpolitik, öffentlicher Raum und französischer Kolonialismus in Algerien 1830-1950 (= Studien zur Internationalen Geschichte; Bd. 31), München: Oldenbourg 2013, X + 543 S., 54 s/w-Abb., ISBN 978-3-486-72361-8, EUR 69,80
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Rezension von:
Ulrike Kirchberger
Fachgruppe Geschichte im Fachbereich 5, Universität Kassel
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Ulrike Kirchberger: Rezension von: Jan C. Jansen: Erobern und Erinnern. Symbolpolitik, öffentlicher Raum und französischer Kolonialismus in Algerien 1830-1950, München: Oldenbourg 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 2 [15.02.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/02/23956.html


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Jan C. Jansen: Erobern und Erinnern

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Memorialkulturen spielten im Zusammenhang kolonialer Expansion eine wichtige Rolle. Wie wir spätestens seit David Cannadines "Ornamentalism" wissen, sahen europäische Politiker im Aufstellen von Denkmälern ihrer Helden und Herrscher, im Durchführen von öffentlichen Gedenkfeierlichkeiten und in der Benennung von Straßen und Orten mit europäischen Namen wichtige Instrumente zur Festigung von Herrschaft in den Kolonien. Dass derartige symbolpolitische Maßnahmen nicht einfach in der Metropole geplant und in der Kolonie durchgeführt wurden, sondern vielmehr das Ergebnis komplizierter und vielschichtiger Aushandlungs- und Konfrontationsprozesse waren, zeigt Jan C. Jansen in seiner materialreichen und innovativen Konstanzer Dissertation zur französischen Symbol- und Erinnerungspolitik in Algerien.

Die Arbeit umspannt einen sehr weiten Zeitraum. Sie setzt mit dem Beginn der Kolonisation Algeriens in den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts ein und schließt mit dem Ende des Unabhängigkeitskrieges 1962. Der Hauptteil der Arbeit besteht aus drei chronologisch aufeinanderfolgenden, dabei aber elegant ineinander verzahnten Kapiteln. Das erste behandelt die Zeit vom Beginn der Kolonisation bis zum Ersten Weltkrieg. In diesen Jahrzehnten war die Symbol- und Gedenkpolitik Teil der militärischen Traditionspflege. Es wurden nur sehr wenige Denkmäler gebaut. Sie richteten sich dezidiert an das Militär und zielten nicht darauf ab, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Dies änderte sich in der Phase nach 1880, mit der sich das zweite Hauptkapitel beschäftigt. Während Algerien in der Ära der Militärverwaltung "fast denkmalfrei" geblieben war, setzte im Zuge der Wandlung zur Siedlerkolonie und einer damit einhergehenden Urbanisierung in den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts eine Welle von Denkmalsetzungen ein. Die militärisch geprägte Gedenkkultur der frühen Zeit wurde von einer von zivilen Akteuren der Kolonisation bestimmten Erinnerungspolitik abgelöst. Anhand der Kontroversen um die Ausgestaltung der Feiern zum Gedenken an die Französische Revolution wird aufgezeigt wie Politiker in Paris, Siedler verschiedener süd- und südwesteuropäischer Herkunft, die assimilierte algerische Bildungselite, islamische Reformgelehrte und die Mitglieder der anti-kolonialen Oppositionsbewegung ihre ganz unterschiedlichen Ziele mit den Feierlichkeiten zum 14. Juli in Verbindung brachten. Das dritte Hauptkapitel behandelt die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Es befasst sich mit verschiedenen Formen des Gedenkens an die jeweiligen Kriegserfahrungen von Kolonisten und Kolonisierten und untersucht abschließend den Einfluss der erstarkenden Nationalbewegung auf die Erinnerungs- und Symbolpolitik in Algerien.

Ein wenig lästig bei der Lektüre fallen gelegentliche Überfrachtungen mit Konzepten und Kategorien, die sich letztlich als wenig erkenntnisfördernd erweisen. Beispielsweise wird in Anlehnung an das Diktum von den Kolonien als "Laboratorien der Moderne" Algier als "kommemoratives Labor" bezeichnet, wobei der Begriff des "Labors" dann derart ausdifferenziert und umgedeutet wird, dass man sich fragt, warum er überhaupt eingeführt wurde. Problematisch gestaltet sich auch die Anwendung des in der Arbeit nicht genau definierten Begriffs der "Zivilisierungsmission". Er kommt zum einen als Epochenklammer zum Einsatz, um die Zeit nach 1880 von der davorliegenden Phase der Militärverwaltung abzugrenzen. Dies überzeugt insofern nicht, als man wohl davon ausgehen kann, dass auch die Vertreter des Militärs in der frühen Phase der Kolonisierung von der Überlegenheit der eigenen kulturellen Werte überzeugt waren und diese nach Afrika übertragen wollten, also auch von einer "Zivilisierungsmission" getrieben waren. Zum anderen vermittelt sich der Eindruck, Jansen verstehe den Begriff dahingehend, dass im Zuge einer "Zivilisierungsmission" zivile Kräfte ihre Interessen gegenüber Vertretern des Militärs durchsetzen wollten. Warum er dann allerdings "Pioniere, Lehrer und Ärzte" als "Soldaten der Zivilisierungsmission" bezeichnet, wird nicht ersichtlich. Eine Kapitelüberschrift, die die Frage aufwirft "Siedler, Priester, Lehrer, Bürgermeister - wer zivilisiert (wen)?" schafft ebenfalls wenig Klarheit. Ganz offensichtlich versuchten so viele unterschiedliche ethnische, soziale, politische und religiöse Interessengruppen über die Symbol- und Denkmalpolitik ihre vielfach gegensätzlichen Programme und Ideologien zur Geltung zu bringen, dass das Konzept von einem gemeinsamen Bedürfnis, europäische Werte in der Welt zu verbreiten, das sich mit dem ohnehin nicht besonders konturscharfen Begriff der "Zivilisierungsmission" wahrscheinlich verbindet, vom Verfasser vollends ad absurdum geführt wird.

Dieser Einwand soll jedoch nicht die Verdienste einer wichtigen neuen Arbeit in Frage stellen. Anhand der untersuchten Auseinandersetzungen um die Symbol- und Denkmalpolitik lassen sich die komplizierten Wechselbeziehungen zwischen Kolonie und Mutterland, zwischen den Siedlern verschiedener europäischer Herkunft, zwischen europäischen Siedlern und algerischer Bevölkerung und zwischen verschiedenen ideologischen Strömungen innerhalb der "indigenen" Algerier sehr gut veranschaulichen. Es wird überzeugend herausgearbeitet, wie all diese unterschiedlichen Gruppierungen über die Jahrzehnte hinweg auf verschiedenen Raumebenen und in verschiedenen Machtkonstellationen immer wieder neu zueinander in Beziehung traten, wenn es darum ging, Einfluss auf den Bau von Denkmälern, die Benennung von Straßen und Orten oder den Ablauf von Gedenkfeiern zu nehmen.

So wurden, um abschließend ein besonders spannendes Beispiel herauszugreifen, 1845 in Paris und Algier zwei Statuen des 1842 verstorbenen Duc d'Orleans fast gleichzeitig eingeweiht. Die Initiative zur Errichtung der Denkmäler ging zunächst nicht von Paris aus, sondern von den Kolonisten in Algier. Zu den Unterstützern des Denkmals in Algier gehörten neben einigen französischen Militärs vor allem Zivilisten, unter ihnen auch nicht-französische Siedler und einflussreiche Vertreter der jüdischen Gemeinde in Algier. Ferner spendeten mehrere muslimische Repräsentanten für die Errichtung des Denkmals. Ihnen erschien es vor dem Hintergrund inner-arabischer Machtkämpfe opportun, ihre Loyalität zum französischen Regime zu signalisieren. In der Metropole schloss man sich dem Vorstoß aus Algier an und versuchte, im Laufe der Planungen die Kontrolle über das Projekt zu bekommen. Welcher Künstler die beiden Denkmäler bauen und in welchem Stil sie gestaltet werden sollten, wurde nach einigem Diskutieren in Paris entschieden. Das Kräftemessen zwischen Metropole und Kolonie entlud sich nicht zuletzt in einem leidenschaftlichen Streit darüber, in welche Richtung die für Algier geplante Statue des Duc d'Orleans blicken sollte - Richtung Mutterland oder auf das zu kolonisierende Territorium. Dies ist nur eine Episode aus einer dichten Reihe von hochinteressanten Fallstudien, aus denen der Verfasser ein faszinierendes Panorama der Beziehungsgeflechte und Transferprozesse entwickelt, die die Geschichte der französisch-algerischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert prägten.

Ulrike Kirchberger