Larissa Tracy / Jeff Massey (eds.): Heads Will Roll. Decapitation in the Medieval and Early Modern Imagination (= Medieval and Renaissance Authors and Texts; Vol. 7), Leiden / Boston: Brill 2012, XVIII + 371 S., 15 Farbtafeln, ISBN 978-90-04-21155-1, EUR 155,00
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Das rezente Interesse an Körperteilen in der englischsprachigen Forschung findet seine Entsprechung in aktuellen Publikationen, zu denen dieser Sammelband zur Rolle abgeschlagener Köpfe in der mittelalterlichen Literatur und Praxis gehört. Dabei stellt - wie der theoretische Aufsatz von Nicola Masciandaro und die Einführung der Herausgeber betonen - der Kopf einen integralen Teil des Körpers dar, der nur schwer getrennt vom Körper und der Individualität der Person gedacht werden kann; gerade dies macht ihn aber auch zum Gegenstand von Hinrichtungen: "Beheading is still the clearest proof of death - facial identity remains intact after disembodiment, and the severed head, held aloft by its remover, can be recognized", so Larissa Tracy und Jeff Massey in der Einleitung (4).
Am Beispiel der Viten des Heiligen Edmund, dessen abgeschlagener Kopf durch dessen aktive Mithilfe (er schrie: "Hier, hier, hier!") nach dem Martyrium des Königs wiedergefunden werden konnte, zeigt Mark Faulkner, wie die Erzählung von Zerstückelung und Wiederzusammenfügung des Leichnams zugleich auch der Propagierung monastischer Reform dienen konnte; damit rückt das intendierte Publikum der historiographischen Berichte Aelfrics und Abbos von Fleury in den Mittelpunkt der Betrachtung. Auf Edmund kommt auch das Schlusswort von Asa Simon Mittman zurück, das die im Band vorgestellte Vielfältigkeit in der Wahrnehmung abgeschlagener Köpfe für das Mittelalter unterstreicht. Jay Paul Gates behandelt die Hinrichtung des Eadric Streona, der im Zuge der Streitigkeiten um die englische Krone, die durch Knut den Großen beendet wurden, sein Ende fand; dies Ende war umso unrühmlicher, als Eadric von der englischen Historiographie zunehmend als Sündenbock genutzt wurde, auf den man den Verlust des Landes an Knut zurückführte. Enthauptung und Martyrium bei Margery Kempe stehen im Zentrum der Überlegungen von Christine F. Cooper-Rompato, die das Spiel mit diesen Motiven in Bezug zum Diskurs um die eheliche Keuschheit und die Sicht der Ehe als Martyrium setzt.
Ein Schwerpunkt des Sammelbands liegt auf der literarischen Verarbeitung der Enthauptung jenseits hagiographischer Erzählungen. Dwayne C. Coleman und Mary E. Leech verfolgen das Thema in ihren Beiträgen bei Dante und Boccaccio; konkret tritt damit die Funktion abgeschlagener Köpfe im Inferno und die Geschichte Lisabettas aus dem Decameron, die den Kopf ihres Geliebten Lorenzo in einem Blumentopf aufbewahrt, in den Fokus der Untersuchung. Der deutschen Dichtung widmet sich Tina Boyer in einer Untersuchung der Enthauptung in Werken der Dietrichepik. Mehrere Beiträge betrachten die Funktion abgetrennter Köpfe in der englischen Literatur, namentlich Renée Ward am Beispiel des "Octavian imperator" aus dem 14. Jahrhundert, Thomas Herron in Hinblick auf Shakespeares "Macbeth" und Larissa Tracy anhand arthurischer Dichtung bei Thomas Malory und in "Sir Gawain and the Green Knight". Jeff Massey betrachtet das lateinische Epos "Arthur und Gorlagon", eine Legende über den Werwolf Gorlagon, in der der abgeschlagene Kopf des Geliebten seiner Frau eine zentrale Rolle spielt. Zwei prominenten historischen Enthauptungen der Frühen Neuzeit widmen sich Andrew Fleck und Thea Cervone. In seinem Beitrag zu Sir Walter Raleigh, der nach einer gescheiterten Guyana-Mission hingerichtet und dessen Kopf von seiner Witwe danach aufbewahrt wurde, ordnet Fleck den Fall in die größere Forschungsdebatte über spektakuläre Hinrichtungsstrafen der Vormoderne ein. Mit Anne Boleyn greift Cervone demgegenüber nicht nur eine der prominentesten Hinrichtungen des 16. Jahrhunderts auf, sondern verweist dabei auch auf die lang anhaltende Rezeptionsgeschichte, die sich nicht zuletzt auf das Gerücht stützte, man habe der Enthaupteten ihren Kopf im Grab in den Arm gelegt.
Der Band bietet eine gute Sammlung vieler Fälle und Beispiele, die durch häufige Verweise untereinander, eine gemeinsame Bibliographie und einen Index wechselseitig erschlossen werden. Die Beiträge untersuchen einerseits unbekanntere Fälle und andererseits bekanntere Texte in Hinblick auf die Frage nach den darin vorkommenden Kopf-Motiven. Am Schluss bleibt freilich der Eindruck, dass eine Synthese, die auch die unterschiedliche Bewertung der Körperteile untereinander in Betracht zieht, noch zu schreiben bleibt; dazu hätte man aber auch den Fokus des ohnehin umfangreichen Bandes auf medizinische und philosophische Debatten der Vormoderne ausweiten müssen. Und wäre dann tatsächlich "das" Bild des mittelalterlichen Kopfes herausgekommen? Wie Asa Simon Mittman am Schluss nochmals festhält, bleibt das Phänomen eben vielgestaltig und lässt sich nicht festlegen; der Band bietet nicht nur einen umfangreichen Blick auf unterschiedliche Beispiele aus Literatur und Hagiographie, sondern eröffnet zugleich neue Fragen - ein anregender Sammelband ist so entstanden.
Romedio Schmitz-Esser