Adam Hochschild: Der große Krieg. Der Untergang des Alten Europa im Ersten Weltkrieg 1914-1918. Aus dem Amerikan. von Hainer Kober, Stuttgart: Klett-Cotta 2013, 525 S., ISBN 978-3-608-94695-6, EUR 26,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Holger Afflerbach (Bearb.): Kaiser Wilhelm II. als Oberster Kriegsherr im Ersten Weltkrieg. Quellen aus der militärischen Umgebung des Kaisers 1914-1918, München: Oldenbourg 2005
Bruno Cabanes / Anne Duménil (Hgg.): Der Erste Weltkrieg. Eine europäische Katastrophe, Stuttgart: Theiss 2013
Heinz A. Richter: Der Krieg im Südosten. Band 1: Gallipoli 1915, Ruhpolding: Verlag Franz Philipp Rutzen 2013
Mark Hewitson: Germany and the Causes of the First World War, Oxford: Berg Publishers 2004
Christian M. Ortner: Die k.u.k. Armee und ihr letzter Krieg, Wien: Carl Gerold's Sohn 2013
Michał Szulc: Emanzipation in Stadt und Staat. Die Judenpolitik in Danzig 1807-1847, Göttingen: Wallstein 2016
Robert M. Citino: The German Way of War. From the Thirty Years War to the Third Reich, Lawrence, KS: University Press of Kansas 2005
Alexandra Bleyer: 1848. Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution, Stuttgart: Reclam 2022
To End all Wars. A Story of Loyalty and Rebellion, 1914-1918, so lautet der Titel der amerikanischen Ausgabe (2011, auch als Audio- und als E-Book, 2012 als Taschenbuch). Er gibt zu erkennen, wovon das Buch handelt und wovon nicht: keine umfassende Geschichte des Ersten Weltkriegs, wie der Titel der deutschen Übersetzung nahelegt. Darum gehe es ihm nicht, erläutert der Autor in einem Interview: "I, by contrast, wanted to write about the battle between those who saw the war as a noble crusade, and those who saw it as self-destructive madness and who refused to fight." Dieser Kampf sei am intensivsten in England ausgetragen worden, und deshalb konzentriere sich das Buch auf die britische Geschichte. [1] Es mit den zahlreichen Gesamtdarstellungen zu vergleichen, die nun im hundertjährigen Rückblick erscheinen, würde also Hochschilds Werk nicht gerecht.
Es angemessen zu charakterisieren, ist nicht einfach. Geschrieben "with a novelist's flair", wie eine Rezensentin zu Recht bemerkt [2], doch "The book is certainly not a novel!" betont Hochschild in dem erwähnten Interview. Er schreibt auf der Höhe der englischsprachigen Forschung, ohne sie zu diskutieren. Den Krieg betrachtet er aus der Sicht von Akteuren, die individuelle Zeugnisse ihrer Kriegserfahrung hinterlassen haben. Aus diesen Quellen, gedruckten und auch ungedruckten, schöpft er seine Darstellung. Kein Roman, doch mit schriftstellerischem Anspruch. Hochschild lehrt Writing an der Graduate School of Journalism in Berkeley. Für seine historischen Bücher hat er zahlreiche Auszeichnungen erhalten; für sein Weltkriegsbuch wurde er mit dem Dayton Literary Peace Price in der Sparte Non Fiction geehrt. Auf der Homepage dieses Preises wird er zitiert mit: "History has lessons for us and we need to listen hard to hear them." [3] Aus dieser Überzeugung ist To End all Wars geschrieben: ein Buch über den Krieg als Buch gegen den Krieg.
Ein Antikriegsbuch über den Großen Krieg - darauf ist die Komposition des Werkes gestimmt. Im ersten Kapitel, "Dramatis Personae" überschrieben, werden die Männer und Frauen vorgestellt, deren Leben die roten Fäden spannen, die durch die Kriegsjahre an der Front und in der Heimat führen. Jedem Kriegsjahr ist ein Kapitel gewidmet. Das Schlusskapitel, überschrieben mit der Bühnenanweisung "Exeunt Omnes", erzählt, welche Folgen der Krieg hatte, und es entwirft einen "imaginären Friedhof" "mit all den Menschen, die den Wahnsinn des Krieges hinreichend verstanden, um nicht an ihm teilzunehmen" (476). Auf diesem alternativen Heldenfriedhof lägen Personen wie Sylvia Pankhurst und Charlotte Despard, Emily Hobshouse und Bertrand Russel, Keir Hardie und Jean Jaurès, Stephen Hobshouse und die anderen, mehr als 6.000 britischen Wehrdienstverweigerer, mit einem Ehrenplatz für diejenigen von ihnen, die "in Handschellen nach Frankreich gebracht wurden und ihre Grundsätze auch dann nicht verleugneten, als ihnen die Todesstrafe drohte." (477)
Hochschild personalisiert das Geschehen, um die strukturellen Zwänge, denen die Menschen ausgesetzt waren, und zugleich die Entscheidungsmöglichkeiten, die sie besaßen, sichtbar zu machen. Am eindringlichsten gelingt dies dort, wo Personen aus einer Familie konträre Wege gingen. So John French, bis Dezember 1915 britischer Oberbefehlshaber in Frankreich, und seine Schwester Charlotte Despard, die für alles stand, was ihr Bruder ablehnte und gegen alles kämpfte, wofür er eintrat: Sie setzte sich öffentlich gegen den Burenkrieg ein, in dem ihr Bruder als Offizier berühmt wurde, sie engagierte sich für das Frauenwahlrecht und blieb stets eine kämpferische Pazifistin, während ihr Bruder in höchste militärische Ränge aufstieg und sich nach dem nächsten Kriegseinsatz sehnte, sie half aktiv den irischen Aufständischen, die ihr Bruder als Lord Lieutenant of Ireland bekämpfte. Auch die Familie Pankhurst brach im Krieg auseinander. Emmeline, eine der bedeutendsten britischen Frauenrechtlerinnen, hatte den Krieg als ein "Nebenprodukt männlicher Dummheit" (11) gegeißelt, im Krieg wandelte sie sich zur strikten Antipazifistin wie ihre Tochter Christabel, während ihre Töchter Adela und Sylvia ebenso vehement auch im Krieg pazifistisch aktiv waren.
Hochschild arbeitet eindringlich die Zwänge heraus, unter denen alle handelten. Doch seine Sympathie gilt denen, die aus Überzeugung gegen den Krieg eintraten und als er ausgebrochen war, dafür warben, ihn so rasch wie möglich zu beenden. Und auch denen, die darunter litten, dass die militärische Führung nichts anderes zu tun wusste, als einen "Abnützungskampf" zu führen, dessen "perverse Logik" dazu führte, dass Offiziere wie Haig an den Verlusten der eigenen Truppe den eigenen Erfolg maßen. Douglas Haig, Frenchs Nachfolger als britischer Oberbefehlshaber in Frankreich, bescheinigt er einen "fast schwachsinnigen Optimismus angesichts schlechter Nachrichten" (408). Erst nach dem Krieg habe er als "politischer Grabenkämpfer" seine Fähigkeiten besser einzusetzen gewusst "als einst seine Streitkräfte" (466).
Nirgends, so schreibt Hochschild zu Recht, ist während des Krieges die Debatte über diesen Krieg so erbittert geführt worden wie in Großbritannien, weil es 1914 - anders als Frankreich oder Belgien - "freier wählen" konnte (471), ob es in den Krieg ziehen sollte oder nicht. Wie stark diese Debatte noch heute wirkt, zeigt der Widerstreit zwischen denen, die 1998 öffentlich forderten, Haigs Reiterstandbild von seinem Ehrenplatz in Whitehall zu entfernen, und der Douglas Haig Fellowship, die ihn weiterhin ehrt. Diese Debatte, die im Krieg trotz des massiven Drucks, den die Regierung und die Mehrheitsgesellschaft ausübten, nie erlosch, zeichnet Adam Hochschild in seinem Werk nach, überzeugt, in denen, die sich dem Krieg verweigerten, "Vorbilder für gesunde Urteilsfähigkeit" (476) zu finden. Einem dieser Vorbilder, Alice Wheeldon, gibt Hochschild in seinem Buch das letzte Wort, geäußert in ihrer Gefängniszelle: "Die Welt ist mein Vaterland."
Anmerkungen:
[1] L.I.S.A. Das Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung. Interview durch Georgios Chatzoudis, 10.12.2013 http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/content.php?nav_id=4666, zuletzt aufgerufen 4.1.2014.
[2] Kristie Miller in: Washington Independent Review of Books http://www.washingtonindependentreviewofbooks.com/bookreview/to-end-all-wars, zuletzt aufgerufen 4.1.2014.
[3] http://www.daytonliterarypeaceprize.org/reflections.htm, zuletzt aufgerufen 4.1.2014.
Dieter Langewiesche