Thorsten Schulz-Walden: Anfänge globaler Umweltpolitik. Umweltsicherheit in der internationalen Politik (1969-1975) (= Studien zur Internationalen Geschichte; Bd. 33), München: Oldenbourg 2013, X + 401 S., ISBN 978-3-486-72362-5, EUR 54,80
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Ende der 1960er-Jahre und in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre etablierte sich allerorts ein neues Politikfeld: Die Umweltpolitik. Die überarbeitete Fassung der 2011 an der Universität zu Köln eingereichten Dissertation widmet sich der Frage, wie dieses neue Feld mit der Sicherheitspolitik zusammenhängt. Es geht um "Umweltsicherheit" "environmental security", ein Begriff, der erst ab den 1980er-Jahren politikwissenschaftlich geprägt wurde. Schulz-Walden betrachtet ihn als "Möglichkeit", "Umweltgeschichte und Internationale Geschichte zusammen zu denken und überkreuzt zu betrachten" (3).
Dabei geht es nicht so sehr um konkrete Umweltprobleme. Sie interessieren nur dann, wenn sie als sicherheitsrelevant wahrgenommen und zwischen Europa und den USA wechselseitig debattiert werden. Außerdem fragt Schulz-Walden, ob die USA eine spezifische "Kalte Kriegs-Umweltsicherheitsstrategie" (6) verfolgten. Dieser Ansatz unterscheidet sich von dem der meisten umwelthistorischen Arbeiten, die von konkreten Umweltproblemen ausgehen und nicht von Kategorien der internationalen Sicherheitspolitik. Der Autor läuft Gefahr, Umweltgeschichte als bloßes "Zitat menschlicher Diskurse" zu betreiben. [1] Nach dem Verständnis von Joachim Radkau verdient diese Art von Geschichtsschreibung "wohl kaum" das Prädikat Umwelthistoriografie. Es wird also zu prüfen sein, ob die Arbeit sich in der Beschreibung von "Haupt- und Staatsaktionen" verliert oder neue handfeste umwelthistorische Ergebnisse liefert.
Das erste Kapitel gibt einen kursorischen Einblick in die Luftverschmutzungsdiskussion der 1950er- und 1960er-Jahre in Großbritannien und der Bundesrepublik und kommt zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass für das Verschmutzungsproblem regionale Problemlösungen erdacht und umgesetzt wurden (z.B. die Politik der hohen Schornsteine) und weniger ein "Umweltbewusstsein", sondern vielmehr ein "Verschmutzungsbewusstsein" in der Bevölkerung existierte. Im zweiten Kapitel geht es darum, dass ab Ende der 1960er-Jahre durch Experten eine "Umweltkrise" postuliert wurde. Diese "Umweltmalaise" wurde auch als "Umweltunsicherheitsfaktor" (77) wahrgenommen. Dies löste internationale Initiativen aus, wie beispielsweise die "Dritte Dimension" der atlantischen Allianz, das "Committee on the Challenges of Modern Society" (CCMS), dem das dritte Kapitel gewidmet ist. Hier entwickelten sich nach Schulz-Walden frühe "Kulturen von Umweltsicherheit" (150), die "technische Antworten" auf Umwelt- und Sicherheitsprobleme lieferten. Im Anhang sind die verschiedenen geförderten Projekte und ihre Laufzeiten aufgeführt. Nach wenigen Jahren versandete die Initiative jedoch und erst nach dem Fall des "Eisernen Vorhangs" entdeckte die NATO die Umweltpolitik erneut. Das vierte Kapitel befasst sich mit den Anfängen der Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaft und den Vorbereitungen der UN-Umweltkonferenz in Stockholm 1972. Der Ablauf und die Folgen dieser Konferenz, die Schulz-Walden als "Sattelpunkt" internationaler Umweltsicherheit bezeichnet, werden im fünften Kapitel thematisiert. Im sechsten Kapitel geht es um den Zusammenhang zwischen Umweltsicherheit und der Energiepreiskrise 1973/74. Der Autor konstatiert den "Umwelt-Energie-Shift" (329): Die Frage nach der Sicherheit der Energieversorgung drängte den Sicherheitsdiskurs zur Umwelt in den Hintergrund.
Zur eingangs gestellten Frage, ob sich die Arbeit in der Beschreibung von "Haupt- und Staatsaktionen" verliert oder neue umwelthistorische Ergebnisse liefert, ergibt sich nach der Lektüre ein "Ja" und ein "Nein". Ein "Ja", weil die Modalitäten der Zusammenarbeit mehr interessieren, als die eigentlichen Ergebnisse der gemeinsamen Umweltprojekte und Diskussionen. Damit gerät die Problemlage, die vielfältigen sich verschärfenden Umweltprobleme, in den Hintergrund. Es wird konstatiert, dass nicht allein der faktische Problemdruck für die Etablierung des neuen Politikfeldes verantwortlich ist, zum Zusammenhang der Umweltlage und umweltpolitischem Handeln finden sich bei Schulz-Walden jedoch keine neuen Ergebnisse. Ein "Nein", weil die Beschreibung und Analyse der Anfänge der internationalen Umweltpolitik und die Übernahme des Begriffes "Umweltsicherheit" von der Politikwissenschaft neue Forschungsperspektiven eröffnet, die im Ausblick sehr gut skizziert werden: Der Zusammenhang zwischen Umweltsicherheit und Entwicklungspolitik, die Frage inwiefern sich in die internationale Diskussion vermeintlich "kleine Akteure" wie Zypern, Kenia oder Malta einbrachten, die umweltpolitischen Ansätze weiterer internationaler Organisationen wie der Afrikanischen Union oder der Weltbank oder die blockübergreifende Zusammenarbeit bei umweltrelevanten Fragen. Dafür bietet Schulz-Walden ein vielversprechendes Untersuchungscluster.
Anmerkung:
[1] Joachim Radkau: Natur und Macht. Eine Weltgeschichte der Umwelt, München 2002, 15.
Anselm Tiggemann