Lucinda Dirven (ed.): Hatra. Politics, Culture and Religion between Parthia and Rome (= Oriens et Occidens. Studien zu antiken Kulturkontakten und ihrem Nachleben; Bd. 21), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2013, 363 S., 78 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-10412-8, EUR 59,00
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Hatra war vom 1.-3. Jh. n. Chr. das politische und religiöse Zentrum der Jezira im heutigen Irak. Obwohl die Stadt wegen ihrer eindrucksvollen Ruinen und der erfolgreichen Abwehr mehrerer Belagerungen durch Römer und Sasaniden einen gewissen Bekanntheitsgrad besitzt, steckt ihre Erforschung in vieler Hinsicht immer noch in ihren Anfängen. Umso erfreulicher ist, dass nun die Erträge einer 2009 von Lucinda Dirven veranstalteten Tagung zu Hatra in einem Band vorliegen, der zum einen den Stand der Forschung resümiert, zum anderen Perspektiven und Potential zukünftiger Arbeiten aufzeigt.
Das Buch gliedert sich in drei Abschnitte. Im Zentrum des ersten steht die politische Rolle Hatras zwischen Rom und dem parthischen bzw. sasanidischen Reich. Benjamin Isaac beginnt mit einem konventionellen Abriss der Geschichte der Stadt auf Grundlage vorwiegend der literarischen Quellen, wobei er dazu tendiert, Hatra als unabhängig zwischen Rom und dem Partherreich agierend zu sehen. Im Gegensatz dazu betonen die folgenden, sehr fundierten Beiträge von Michael Sommer und Leonardo Gregoratti die Einbindung Hatras in den parthischen Herrschaftsverband und erklären die Entwicklung der Stadt unter parthischen Vorzeichen.
Der zweite Abschnitt des Bandes widmet sich vorwiegend den materiellen Zeugnissen der Stadt. Einleitend versucht Ted Kaizer, die mit Hatra verbundenen Klischees - Karawananstadt und heilige Stadt - zu dekonstruieren. Er legt sehr schlüssig dar, dass keine direkten Zeugnisse für eine herausragende Rolle Hatras im Fernhandel vorliegen. Ob wir daraus wie Kaizer folgern müssen, dass solcher Handel keinen Anteil am plötzlichen Wachstum der Stadt hatte, bedarf freilich weiterer Diskussionen, zumal das alternativ vorgeschlagene Modell, das Hatra lediglich als regional wirksames Zentrum einer landwirtschaftlich geprägten Jezira sieht, ebenfalls nicht vollständig überzeugen kann. Kaizer selbst räumt ein, dass das Fehlen eindeutiger Hinweise auf Fernhandel, wie sie aus Palmyra bekannt sind, auch auf die grundlegend andere politische Verfasstheit zurückzuführen sein könnte.
Michał Gawlikowski beschreibt knapp Ausbau und Monumentalisierung der Stadt in der Zeit zwischen 117 und 170 n. Chr. und nimmt an, dass die besondere Zuwendung der parthischen Großkönige nach Trajans Feldzug die Blüte der Stadt begründete.
Die Ergebnisse der italienischen Sondagen im großen Temenos aus den Jahren 1996-2000 fassen Roberta Venco Ricciardi und Alessandra Peruzzetto zusammen. [1] Da es die einzigen (publizierten) Grabungen sind, die belastbare Ergebnisse zur Entwicklung der Stadt seit vorhellenistischer Zeit geben können, sind ihre Darlegungen von besonderer Bedeutung. Bemerkenswert ist, dass sie sich hinsichtlich einer möglichen Siedlungsunterbrechung in hellenistischer Zeit weniger klar äußern als andere am Band Beteiligte, die sich diesbezüglich auf ihre Arbeiten stützen.
Eine Zusammenschau der ikonographischen und epigraphischen Zeugnisse zur Identifizierung der Gottheiten, die in den 14 bekannten sogenannten kleinen Tempeln verehrt wurden, liefert Krzyszof Jakubiak. Hikmat Basheer al-Aswad gibt einen nützlichen Überblick über die Ergebnisse der 1992 erfolgten irakischen Grabungen im Tempel XIV. Erratisch wirkt hingegen Susan Downeys Beitrag zu den Darstellungen des bekleideten Herakles in Hatra, der über eine knappe Beschreibung des einschlägigen Materials hinaus nichts bietet.
Abschließend fasst Stefan R. Hauser erneut die den Kenntnisstand über die beeindruckenden Belagerungsanlagen, mit deren Hilfe die Sāsāniden 240 die Stadt einnahmen, zusammen. Davon ausgehend rekapituliert er die Ereignisse zwischen 224 und 244 und kommt zu dem Schluss, dass erst durch die Einnahme Hatras die sāsānidische Herrschaft über Mesopotamien stabil geworden sei, was den gewaltigen Aufwand erklärt, der dazu betrieben wurde. Die Eroberung weiterer Teile Nordmesopotamiens könne entsprechend erst nach 240 erfolgt sein.
Im dritten Abschnitt des Buches stehen das kulturelle Milieu und die religiöse Prägung im Mittelpunkt. Der einleitende Beitrag von Albert de Jong greift die Frage der Stellung der Stadt zwischen Rom und den Parthern auf. Programmatisch unterstreicht er die Zugehörigkeit der gesamten Region zum Partherreich und die Bedeutung parthischer Kultur nicht nur in Hatra, sondern in ganz Mesopotamien wie auch in Armenien und im Kaukasus. [2] Dezidiert richtet er sich gegen einer Überbewertung der Rolle indigener oder griechisch-römischen Traditionen und damit auch gegen einen großen Teil der bisherigen Forschung. Der Artikel regt in besonderer Weise zum Nachdenken an, wobei jedoch der polemische Grundton irritiert.
Die Beziehungen zwischen Hatra und Palmyra untersucht Jean-Baptiste Yon. Er stützt sich dabei vorwiegend auf epigraphische Zeugnisse. Wie zu erwarten, steht am Ende kein eindeutiges Ergebnis. Klare Belege für Kontakte zwischen Palmyra und Hatra seien zwar rar, aber es gebe sie. Unterschiede in der Ausgestaltung der Städte seien zum Teil der unterschiedlichen politischen Verfassung geschuldet, wobei gemeinsame Merkmale wie die Dominanz religiös konnotierter Bauten und Denkmäler im Stadtbild für ein verwandtes kulturelles Milieu sprechen.
Klaas Dijkstra befasst sich mit dem Relief eines Gorgonenhauptes und den beiden begleitenden Inschriften (H106a.b) an einem Pfeiler im Bereich des Südiwans im zentralen Heiligtum. Er referiert die bisherigen Deutungen der kürzeren Inschrift H106a und bezieht beide Inschriften aufeinander. In der Diskussion um den Kopf verwundert, dass er ohne weitere Diskussion als männlich bezeichnet wird.
Ein wichtiger Beitrag ist die ausführliche Besprechung der Statue des Nabu/Apoll aus Hatra durch Andreas Kropp. Er ordnet die Skulptur überzeugend in den Kontext der Verehrung des Gottes in Hierapolis ein und befasst sich ausführlich mit den ikonographischen Details. Wenig plausibel erscheint allerdings die abschließende Vermutung, dass die Hatrener die Statue als Dank für ein vermeintliches Orakel des Apollon von Hierapolis, das letztendlich zum Tod des Caracalla beigetragen und damit eine Bedrohung der Stadt verhindert habe, aufstellen ließen.
Den Göttern an der Spitze des hatrenischen Pantheons, Maren, Marten und Barmaren, und der Frage, wie sich diese religionshistorisch einordnen lassen, widmet Jürgen Tubach einen kenntnisreichen Beitrag. Mit seiner Grundannahme, dass die Verehrung dieser Götter in einer vorhellenistischen babylonischen Tradition Hatras begründet liege, weicht er von dem Grundtenor des Buches ab.
Abschließend befassen sich Simon James und Sylvia Winkelmann mit Militaria als Indikatoren von Kulturkontakten. James analysiert ein bislang verkanntes Wangenklappenfragment. Ausgehend von einer minutiösen Analyse des Stückes stellt er weitreichende Überlegungen zur Rekonstruktion des Helms, seinem Ursprung und allgemein zu Formen wechselseitiger Beeinflussung im Bereich der militärischen Ausrüstung. Bei aller Plausibilität bleiben auch seine Überlegungen oft spekulativ.
Auf festerer Quellenbasis steht Winkelmann, die sich den zahlreichen Waffendarstellungen in der hatrenischen Plastik zuwendet und deren Ableitung aus zentralasiatischen nomadischen Traditionen aufzeigt.
Insgesamt stellt Lucinda Dirvens Publikation einen wichtigen und überfälligen Schritt für die Erforschung Hatras dar. Kein Nachteil ist dabei, dass mitunter konträre Positionen vertreten werden. Auch dass manche Beiträge Bekanntes wiederholen, fällt nicht unbedingt negativ ins Gewicht. Durchweg kommt allerdings deutlich zum Ausdruck, wie groß die Kenntnislücken sind. Das betrifft gerade die Frühgeschichte der Stadt. Hier zeichnet sich in den meisten Beiträgen und auch in Dirvens Einleitung die klare Tendenz ab, Hatra als Neugründung ex nihilo der Epoche um die Zeitenwende zu sehen und eine unmittelbare, ortsbezogene Anbindung an altorientalische Traditionen abzulehnen. Die Gründe dafür scheinen allerdings nicht immer überzeugend. Das gilt vor allem für die Interpretation der italienischen Sondagen als Beleg für eine Siedlungsunterbrechung. Zum einen äußern sich die Ausgräber selbst sehr zurückhaltend, was wohl nicht zuletzt an der mangelhaften Kenntnis der lokalen Keramik liegt und damit den fehlenden Möglichkeiten, eine Feinchronologie zu etablieren. Zum anderen stellt sich die Frage, wie aussagekräftig die Ergebnisse einzelner, räumlich begrenzter Sondagen sind. Stärker berücksichtigt werden könnte zudem, dass nicht nur in Hatra, sondern auch anderorts in Nordmesopotamien und Nordsyrien erst um 100 n. Chr. die Produktion von Skulpturen und Inschriften nach langer Unterbrechung einsetzt, ohne dass dies als Indiz für Diskontinuität gelten kann.
Zur Klärung der vielen offenen Fragen wäre eine Fortsetzung der Feldforschung in Hatra dringend notwendig, was aber angesichts der gegenwärtigen politischen Lage erneut in weite Ferne gerückt zu sein scheint. Der Band zeigt aber auch, wie notwendig und vielversprechend die kontextorientierte Aufarbeitung der bereits bekannten materiellen Zeugnisse ist. Das gilt etwa für die Münzprägung oder die zahlreichen Skulpturen, die zwar häufig genutzt werden, um Bücher zum antiken Nahen Osten zu illustrieren, deren wissenschaftliche Bearbeitung allerdings noch aussteht. Es ist zu hoffen, dass hier in naher Zukunft Fortschritte gemacht werden. Eine gute Grundlage dafür bietet der vorliegende Band.
Anmerkungen:
[1] Ausführlichere Berichte zu diesen Arbeiten sind bereits publiziert, vgl. R. Riccardi Venco, Hatra e il suo territorio. Un problema storico, Parola del Passato 63, 2008, 139-168 und A. Peruzzetto - S. Valentini, I sondaggi recenti nel temenos di Hatra, Topoi 10/1, 2000, 159-178.
[2] Hingewiesen sei auf eine irreführende Literaturangabe in Anm. 48: Bertemes & Furtwängler 2009 meint wohl A. Furtwängler u. a. (eds.): Iberia and Rome. The Excavations of the Palace at Dedoplis Gora and the Roman Influence in the Caucasian Kingdom of Iberia, Langenweißbach 2008.
Michael Blömer