Rezension über:

Stefan Bürger: Architectura Militaris. Festungsbautraktate des 17. Jahrhunderts von Specklin bis Sturm (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 176), Berlin: Deutscher Kunstverlag 2013, 575 S., 310 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-07132-2, EUR 78,00
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Rezension von:
Guido von Büren
Museum Zitadelle Jülich
Redaktionelle Betreuung:
Stefanie Lieb
Empfohlene Zitierweise:
Guido von Büren: Rezension von: Stefan Bürger: Architectura Militaris. Festungsbautraktate des 17. Jahrhunderts von Specklin bis Sturm, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 9 [15.09.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/09/24398.html


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Stefan Bürger: Architectura Militaris

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Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Festungsbau der Frühen Neuzeit stellt in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung dar. Da sind zum einen die komplexen und schwer überschaubaren Strukturen der großflächigen Bauten und zum anderen die nicht unproblematische Genese der Festungsforschung, die sich nahezu bruchlos aus dem militärwissenschaftlichen Zugriff auf das Thema entwickelt hat. Es verwundert daher kaum, dass die moderne Festungsforschung sich lange Zeit auf die erhaltenen Bauwerke konzentrierte und diese einer umfassenden Analyse von Form und Funktion unterzogen hat. Hierzu ist neben einer guten Objektkenntnis auch die Beschäftigung mit dem jeweiligen Stand der Waffenentwicklung notwendig, um zu erkennen, auf welche spezifische Bedrohungssituation der Festungsbau reagierte. Hinzu kommt, dass die geometrischen Formen und die mitunter repräsentative Ausgestaltung einzelner Bauteile architekturikonografische Untersuchungen geradezu heraufbeschwören. [1]

Die Architectura Militaris war Teil einer umfassenden Neuausrichtung der Stadt der Frühen Neuzeit als Plan- bzw. Idealstadt, was zudem den Abgleich mit zeitgenössischen philosophischen und literarischen Texten befeuerte, die sich mit Gesellschaftsutopien und Modellen der Fürstenherrschaft beschäftigen. Die Festungsforschung läuft daher immer Gefahr, entweder zu deskriptiv oder zu theorielastig zu sein. Es ist das Verdienst von Thomas Biller, auf diese Problematik in seiner Darstellung der Genese des bastionierten Festungsbaus hingewiesen und gleichzeitig einen Weg durch die schiere Masse des Materials ausgehend von tatsächlich realisierten Anlagen gebahnt zu haben. [2]

Einen anderen, ebenso viel versprechenden Weg schlägt die vorliegende Arbeit ein, die auf die Habilitationsschrift des Verfassers zurückgeht. Ausgangspunkt der Untersuchung Stefan Bürgers sind 231 Festungsbau- bzw. Militärtraktate aus dem Zeitraum von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, wobei der Schwerpunkt auf Werken des 17. Jahrhunderts liegt. Bürger hat sich bewusst gegen eine Beschreibung der Architectura Militaris auf der Grundlage gebauter Beispiele entschieden und stattdessen konsequent die zeitgenössische theoretische Auseinandersetzung mit dem Phänomen in den Mittelpunkt gerückt. Die Formen der Festungen entwickelten sich aus der Notwendigkeit zur Reaktion auf den verstärkten und schließlich systematischen Einsatz von Feuerwaffen. Anders als in anderen Bereichen der damaligen Architektur und Kunst waren hier keine direkten funktionalen Anleihen an der Antike möglich. Dennoch griff man parallel zur Entwicklung der neuartigen Befestigungssysteme auf antike Diskursformen zurück, um eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Festungsbau und seinen planerischen Grundlage zu führen. Es ist das Verdienst von Albrecht Dürer mit seinem Festungstraktat von 1527, eine mustergültige Form für die wissenschaftliche Darstellung seiner Überlegungen gefunden zu haben, auch wenn die praktische Umsetzung seiner Ideen weniger zukunftsweisend war.

Bürgers monumentale Arbeit gliedert sich in sieben Abschnitte, denen eine Einführung und eine Darstellung des Forschungsstandes vorangestellt sind. Er ist überzeugt, dass durch die Analyse der erhaltenen oder rekonstruierbaren Anlagen die "fortifikatorischen Leitideen" der Zeit nur unvollständig herausgearbeitet werden können. Diese erschließen sich vielmehr in der Lektüre der zeitgenössischen Festungsbautraktate. Hier muss man dem Verfasser Hochachtung zollen, hat er doch die mehr als 200 Traktate, die er seiner Untersuchung zugrunde legt, tatsächlich gelesen und ihre Inhalte miteinander in Beziehung gesetzt. Im ersten Teil der Arbeit wendet er sich Theorie und Praxis der Fortifikation zu. Diese war nämlich weitgehend nicht normiert, auch wenn spätere Autoren der ganzen Entwicklung eine leicht nachvollziehbare Struktur gaben, um das Thema in der Militärausbildung besser vermitteln zu können. Der Militäringenieur bewegte sich beständig im Spannungsfeld von praktischen Erfahrungen und theoretischen Überlegungen zur effektivsten Defension. Dabei wurde sehr schnell deutlich, dass die Geometrisierung des Fortifikationswesens eine erfolgreiche Strategie war, um den mauerbrechenden Feuerwaffen etwas entgegenzusetzen.

Der zweite Abschnitt gibt einen Überblick zur Traktatliteratur des 17. Jahrhunderts, wobei es hier noch nicht detailliert um die Inhalte geht, sondern um die Struktur der Werke, ihre unterschiedlichen Formen und ihre Adressaten. Dem folgen als drittes Kapitel die Grundlagen des Festungsbaus. Hier geht es um die historischen Vorbedingungen im 16. und 17. Jahrhundert, die Formen der Kriegsführung sowie einzelne Aspekte der Festungen. Dabei gibt Bürger eine gute Begriffsdefinition: "Festungen sind neuzeitliche Wehranlagen, die auf Schuss- und Sprengkraft von Feuerwaffen reagieren. Sie stellen in Ortswahl, Material, Formgebung, Ausrüstung und Besatzung zeitgemäße und optimierte Lösungen dar und sollten bestmögliche Verteidigungsfähigkeit garantieren." (109) Letzteres war nicht nur eine Reaktion auf die allgemeine Entwicklung der Waffentechnik, sondern auch auf sich verändernde Formen der Angriffstechnologien. Das ist für das 17. Jahrhundert ein wichtiger Aspekt, als sich in der Waffentechnik kaum etwas änderte, aber der Einsatz der Waffen sich wandelte und zu entsprechenden Reaktionen im Festungsbau zwang. Bürgers zentrales Schlagwort ist hier die "Form-Funktions-Korrelation", die schon den Entwurfsprozess bestimmte.

Im vierten Abschnitt werden spezielle Form-Funktions-Zusammenhänge erläutert, so die Defensionslinien, die zur "formbestimmenden Konstante" werden. Die Flanken mit ihren Geschützstellungen werden dabei als Hauptbestandteil der Festungsbaukunst angesehen. Tore und Pforten sind ein notwendiges Übel, da sie das geschlossene System "Festung" durchbrechen. Mithilfe von Vorbefestigungen musste auf diese neuralgischen Punkte reagiert werden. Eine zentrale Herausforderung für den entwerfenden Ingenieur war die Frage nach dem Umgang mit der Landschaft, in der die Festung entstehen sollte. Adaptierte man die mitunter schwierigen Bedingungen und kam dadurch zwangsläufig zu irregulären Grundrisslösungen oder machte man sich die Mühe, sich nicht von widrigen Umständen daran hindern zu lassen, geometrisch ideale Festungsgrundrisse zu schaffen, weil nur diese in der zeitgenössischen Vorstellungen eine effiziente Verteidigung ermöglichten.

Aus den unterschiedlichen Formen, die das Bastionärsystem aufweisen konnte, entwickelten sich einzelne Manieren, denen sich der fünfte Abschnitt zuwendet. Maniere und Systeme stellen den Versuch dar, den Form-Funktions-Zusammenhang wissenschaftlich zu systematisieren. Dabei muss man berücksichtigen, dass dies zwar ein früh einsetzender, aber dennoch nachträglicher Prozess ist, der der tatsächlichen Vielgestaltigkeit der Entwicklung nicht gerecht wird. Hinzu kam eine nationale Engführung auf Italien, Frankreich und die Niederlande. Deutschland entzog sich durch seine territoriale Vielfalt mit entsprechend zahlreichen Varianten im Festungsbau einer Systematisierung. Das bessere Marketing der italienischen Ingenieure, die im 16. Jahrhundert als führend in der Architectura Militaris galten, ärgerte schon Daniel Specklin in seiner "Architectura von Vestungen" aus dem Jahr 1589.

Bevor Bürger im siebten Abschnitt mit der Darstellung der Systeme und Manieren im 17. Jahrhundert zum Kern seiner Arbeit kommt, erläutert er im sechsten Kapitel die fortifikatorische Entwicklung im 16. Jahrhundert. Er setzt mit den Rondellen Albrecht Dürers ein und endet mit den italienischen Theoretikern des Bastionärsystems am Ausgang des 16. Jahrhunderts. [3] Der siebte Abschnitt hangelt sich chronologisch an den Traktaten von Daniel Specklin bis Leonhard Christoph Sturm entlang. Jeder Traktat wird auf die jeweils vom Autor dargelegte Grundlagen (Axiome) und die daraus abgeleitete Manier hin untersucht. Anhand der - mitunter lediglich auszugsweisen - Wiedergabe der Inhaltsverzeichnisse lässt sich rasch ein Überblick über den jeweiligen Aufbau gewinnen. Abschließend stellt Bürger fest, dass die Geschichte der Architekturtheorie ohne die umfassende Berücksichtigung der Architectura Militaris unvollständig bleiben muss. Die Beherrschung des Raumes durch die Schusswaffen stellte die Architektur vor neue Herausforderungen, die im Festungsbau gelöst und in der Traktatliteratur niedergelegt wurden. Dabei ist dem Verfasser durchaus bewusst, dass er mit den umfangreich erhaltenen Plankonvoluten frühneuzeitlicher Festungen, eine weitere wichtige Quelle zur Rekonstruktion der dem Festungsbau immanenten Leitideen unberücksichtigt lässt. [4] Für die zeitgenössische Möglichkeit zur Visualisierung von Verteidigungsstrategien wäre noch auf Festungsmodelle hinzuweisen, die in den Traktaten als Teil des Entwurfsprozesses immer wieder behandelt werden und die sich mitunter auch erhalten haben. [5]

Das durchaus als Handbuch zum Thema zu nutzende Buch wird abgerundet durch ein umfangreiches Glossar, das "etwa den Kenntnisstand der Zeit um 1700" abbildet (536) sowie ein Verzeichnis und Register der 231 Traktate in alphabetischer, chronologischer und inhaltlicher Ordnung.

Abschließend bleibt die anerkennende Feststellung: Stefan Bürger hat ein wichtiges Werk vorgelegt, das nicht nur der Festungsforschung, sondern auch allgemein der Geschichte der Architekturtheorie neue Perspektiven öffnet. Diese gilt es nun weiterzuverfolgen. [6]


Anmerkungen:

[1] Vgl. als Beispiel Marion Hilliges: Das Stadt- und Festungstor. Fortezza und sicurezza - semantische Aufrüstung im 16. Jahrhundert, Berlin 2011 und die Rezension dazu von Guido von Büren in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 5 [15.05.2012], http://www.sehepunkte.de/2012/05/20748.html.

[2] Vgl. Thomas Biller: Die Wülzburg. Architekturgeschichte einer Renaissancefestung, München / Berlin 1996, 1-62: Der bastionierte Festungsbau des 16. Jahrhunderts und sein Weg nach Deutschland, hier bes. 14, Anm. 29. Die Überlegungen Billers werden von Bürger unverständlicherweise nicht berücksichtigt.

[3] Die Darstellung "Welsche[r] Fortifikationsmanieren und deutscher Befestigungstraditionen bis 1600" bewegt sich nicht auf der Höhe der Forschung. Beispielhaft sei auf die Ausführungen zur Baumeisterfamilie Pasqualini verwiesen (238). Ein Blick in die Neue Deutsche Biographie hätte genügt, um die hier gemachten fehlerhaften Angaben zu korrigieren; Guido von Büren: "Pasqualini", in: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), 85f. [Onlinefassung]; http://www.deutsche-biographie.de/pnd129479675.html (13.08.2014).

[4] Vgl. hierzu die methodisch wichtige Arbeit von Charles van den Heuvel: 'Papiere Bolwercken'. De introductie van de Italiaanse stede- en vestingbouw in de Nederlanden (1540-1609) en het gebruik van tekeningen, Alphen aan den Rijn 1991, die Bürger leider nicht herangezogen hat, obgleich sie auch eine gute Auseinandersetzung mit den frühen Festungstheoretikern, einschließlich Daniel Specklin und Simon Stevin, bietet.

[5] Durch 3D-Visualisierungen mit dem Computer ergeben sich interessante Möglichkeiten zur Darstellung von Festungsmanieren und den ihnen immanenten Form-Funktions-Korrelationen, was zuvor an real gebauten Modellen aufgezeigt wurde; vgl. Guido von Büren / Marc Grellert: Michelangelo und die Befestigung der Stadt Florenz. Von der Entwurfszeichnung zur 3D-Simulation, in: Insitu. Zeitschrift für Architekturgeschichte, 5 (2013), H. 1, 17-26.

[6] Im Druck befindet sich die 2009 abgeschlossene Dissertation von Tobias Büchi: Fortifikationsliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts. Traktate deutscher Sprache im europäischen Kontext, die Bürger nicht "vollumfänglich" berücksichtigen konnte, deren "Parallellektüre" er aber empfiehlt (20).

Guido von Büren