Rezension über:

Ulrike Hascher-Burger / Henrike Lähnemann (Hgg.): Liturgie und Reform im Kloster Medingen. Edition und Untersuchung des Propst-Handbuchs Oxford, Bodleian Library, MS. Lat. liturg. e. 18 (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 76), Tübingen: Mohr Siebeck 2013, X + 432 S., ISBN 978-3-16-152804-0, EUR 119,00
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Rezension von:
Iris Holzwart-Schäfer
Abteilung für Mittelalterliche Geschichte, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Martina Giese
Empfohlene Zitierweise:
Iris Holzwart-Schäfer: Rezension von: Ulrike Hascher-Burger / Henrike Lähnemann (Hgg.): Liturgie und Reform im Kloster Medingen. Edition und Untersuchung des Propst-Handbuchs Oxford, Bodleian Library, MS. Lat. liturg. e. 18, Tübingen: Mohr Siebeck 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 9 [15.09.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/09/24754.html


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Ulrike Hascher-Burger / Henrike Lähnemann (Hgg.): Liturgie und Reform im Kloster Medingen

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Das ehemalige Zisterzienserinnenkloster Medingen in der Lüneburger Heide ist bekannt für die ebenso umfangreiche wie qualitätvolle Handschriftenproduktion der Schwestern während und nach der 1479 durchgeführten Klosterreform. Das "Propst-Handbuch" ist eine Sammlung überwiegend liturgischer Texte und Gesänge, die wesentlich zum Verständnis von Gottesdienst und Leben im Konvent zur Zeit der Reform beiträgt. Tilemann von Bavenstedt, der dem Kloster 1467-1494 als Propst vorstand und die Reform initiierte, ließ sie in den 1470er-Jahren zusammenstellen und wenige Jahre später grundlegend überarbeiten. In ihrer endgültigen Form enthält die Handschrift neben einem nur noch fragmentarisch erhaltenen Kollektar, einem Liber Ordinarius, der die Liturgie der kirchlichen Hochfeste regelt, und einem Rituale für die Gestaltung von Krankensalbung, Bestattung und Totenvigil auch Statuten für die Konversen in niederdeutscher Sprache und eine lateinische Ordnung für die Aufnahme von Oblaten. Somit verfügte der Propst über ein auf die Bedürfnisse des reformierten Konvents abgestimmtes Handbuch für den Vollzug der wesentlichen Amtshandlungen in seinem geistlichen Aufgabenbereich, das insbesondere die Liturgie der Diözese Verden mit Gebräuchen des Zisterzienserordens in Einklang brachte. Letzteres war für das Kloster von großer Bedeutung, da es wie viele Frauengemeinschaften rechtlich nicht dem Orden, sondern dem Bischof unterstand und überwiegend von Weltgeistlichen betreut wurde.

Die drei an dem Band beteiligten Wissenschaftlerinnen sind - bei unterschiedlichen disziplinären Schwerpunkten - ausgesprochene Kennerinnen der Handschriften aus mittelalterlichen Frauenkonventen im Allgemeinen und aus Medingen im Besonderen. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, das bisher nur unzureichend gewürdigte Propst-Handbuch zu edieren und seine verschiedenen "kultur- und frömmigkeitsgeschichtlichen Dimensionen [zu] erschließen" (3). An die knappe Einleitung zu Quellenlage und Forschungsstand (Kap. 1, 1-11) schließen sich daher Studien zu "Liturgie und Reform in Kloster Medingen" (Kap. 2, 12-125) sowie zum "Propst-Handbuch als Codex" (Kap. 3, 126-188) und zuletzt die Edition der Handschrift (Kap. 4, 189-374) an.

Da im Jahr 1781 ein Großteil der im Konvent verbliebenen Archivalien einem Brand zum Opfer fiel, sind viele Quellen zur Klostergeschichte nur indirekt überliefert. Dies gilt auch für einen bemerkenswerten Bildzyklus, der 1499 im neu erbauten Äbtissinnenhaus aufgehängt wurde. Er zeigt die Geschichte Medingens seit der Gründung im Jahr 1228 als in der Reform kulminierende teleologische Entwicklung und schließt mit einer hagiografischen Überhöhung der 1494 zur Äbtissin gewählten Priorin Margarete Puffen. Kupferstiche der 15 Tafeln und die lateinischen und mittelniederdeutschen Beitexte wurden 1772 im Anhang der Medinger Chronik des Johannes Lyßmann publiziert, welcher von 1721-1731 Prediger der seit 1554 evangelischen Kommunität war.

Kapitel 2.1 (14-50) führt anhand dieses Zyklus in die Thematik der Klosterreform ein; dazu werden elf der Tafeln reproduziert und Auszüge der Beitexte mit Übersetzungen wiedergegeben. Letztere wirken stilistisch uneinheitlich, da sie sich teilweise moderner Begrifflichkeiten bedienen, etwa wenn "sangboke" als "liturgische Handschriften mit Musiknotation" (31) wiedergegeben wird. Da die Quellen zudem ausführlich paraphrasiert und kommentiert werden, hätte man die Übersetzungen - wie auch an anderen Stellen des Bandes - entweder gleich weglassen oder enger am Original führen können. Auch bleibt die Auseinandersetzung mit dem Zyklus etwas oberflächlich. So wäre zu überdenken, ob er wirklich "zentral für die Selbstrepräsentation der Nonnen" war (34). Dies gilt sicher für die Äbtissin, aber nicht unbedingt für alle Klosterfrauen.

Nach der klosterinternen Memoria der Reform schildern Hascher-Burger, Lähnemann und Braun-Niehr anhand der Visitationsakten und der Chroniken des 18. Jahrhunderts das Programm zu deren konkreter Umsetzung. Hier und an anderen Stellen in Kapitel 2 wäre gelegentlich ein etwas kritischerer Umgang mit der späten Historiografie (vor allem Lyßmanns Chronik) wünschenswert. Dessen ungeachtet sind besonders die Unterkapitel 2.2-2.5 sehr aufschlussreich, in denen die vom Propst-Handbuch vorgesehenen liturgischen Abläufe sowie die Konversenordnung detailliert dargestellt und mit ähnlichen Überlieferungen aus Medingen und den anderen Lüneburger Frauenklöstern verglichen werden. Dabei wird unter anderem danach gefragt, welchen Niederschlag die Reform im Propst-Handbuch gefunden hat. An vielen Beispielen werden die Auswirkungen der verstärkten Klausurierung der Nonnen gezeigt, wobei auch die Überlieferung zur baulichen Gestalt der Klosterkirche und besonders zum Nonnenchor einbezogen wird. Die systematische Integration volkssprachlicher Leisen in die lateinische Liturgie, durch die auch die Laien aktiv am Gottesdienst teilnehmen konnten, dürfte ebenfalls auf die Reform zurückzuführen sein.

Das dritte Kapitel (126-188) bietet eine ausführliche paläografische und kodikologische Untersuchung des Propst-Handbuchs, durch die der komplexe Entstehungsprozess erhellt wird. Die Analyse des Schreib- und Ausstattungsstils lässt darauf schließen, dass bei der Überarbeitung des von einer Hand gestalteten Ursprungscodex ganze Lagen durch von einer zweiten Hand neu geschriebene Teile ersetzt wurden. Der überarbeitete Codex wurde in den 1480er-Jahren gebunden und weist von der Schrift über die Formen der Musiknotation bis hin zum Einband große formale Ähnlichkeit mit einigen etwa zeitgleich entstandenen Bänden aus Medingen auf. Die hochwertige, aber für die Zeit auch etwas altertümliche Gestaltung dieser Gruppe deuten Hascher-Burger, Lähnemann und Braun-Niehr einleuchtend als "Teil einer übergreifenden Handschriftenstrategie [...], die sich konservativer Formen bedient[e]" (176), um einerseits "Klosterreform wörtlich als Rückkehr zu monastischen Idealen" (178) erfahrbar zu machen, andererseits neu zusammengestellten Sammlungen und neuen, teilweise auch volkssprachlichen Texttypen "Dignität" zu verleihen (137).

Nach dem Tod des Auftraggebers ging die Handschrift zunächst in den Besitz des Konvents über, verlor aber durch die Reformation ihre Funktion als Handbuch. Da die erwähnte Lyßmannsche Chronik offensichtlich aus dem Propst-Handbuch schöpfte, befand dieses sich in den 1720er-Jahren wohl noch im Stift. Dass es "erst nach 1769 in den Verkauf gelangt sein" könne (184), trifft allerdings nicht zu. Zwar wurde die Chronik ihrem Titel zufolge "bis 1769 fortgesetzt", doch nicht von Lyßmann selbst, da dieser Medingen 1731 verließ und 1742 verstarb. Daher dürfte der "terminus post quem" der Veräußerung 1731 sein, der "terminus ante" das Jahr des Klosterbrands 1781. Über welche Stationen der Codex im 19. Jahrhundert nacheinander an die englischen Sammler Edward Hailstone und Henry Austin Wilson kam, konnte nicht ermittelt werden. Sicher ist, dass Wilson die Handschrift der Bodleian Library vermachte, wo sie seit 1927 aufbewahrt wird.

In der Einleitung zur Edition (189-194) wird die Handschriftenentstehung noch einmal zusammengefasst und die Einrichtung von Text, Noten und Apparaten erläutert. Zur schnelleren Orientierung in der Edition vermerkt eine Kommentarspalte Folienangaben, deutsche Zusammenfassungen der Rubriken sowie Incipit und Gattung des jeweiligen Textes. Angaben in den Kommentaren und Registern sind normalisiert; die Texte selbst werden weitgehend buchstabengetreu und unter Beibehaltung der Groß- und Kleinschreibung sowie der Interpunktion wiedergegeben, Abkürzungen jedoch aufgelöst. Die Melodien der Gesänge werden in der Handschrift teils linienlos, teils auf Linien mit c- und f-Schlüssel notiert, in der Edition hingegen durchweg in Punktnotation auf einem modernen Notensystem mit Violinschlüssel. Dabei sind im Original linienlose Noten durch kleineren Satz der Notenköpfe gekennzeichnet. Die Tonhöhen dieser Gesänge wurden durch Vergleiche mit parallelen Überlieferungen erschlossen.

Die Ausführungen im Textteil werden durch viele Detailabbildungen unterstützt. Zusätzlich finden sich im Anhang neben sechs Ansichten und Plänen des Klosters 15 ganzseitige Abbildungen überwiegend aus der hier edierten Handschrift. Alle Abbildungen sind schwarz-weiß, aber von durchgängig hoher Qualität. Das Verzeichnis ungedruckter Quellen ist durch ein umständliches Verweissystem und die unübersichtliche Anordnung nur bedingt nutzerfreundlich. Positiv hervorzuheben ist, dass auch die Seiten verzeichnet sind, auf denen die Quellen erscheinen. Weitere Orientierungshilfen bieten zwei Verzeichnisse, in denen die in der Handschrift auftauchenden liturgischen Texte (nach Gattungen) und notierten Gesänge (alphabetisch) erfasst werden, sowie das Orts- und Personenregister zu den Kapiteln 1-3. Allerdings sind die Verzeichnisse wie auch die Verweise in den Bildunterschriften nicht immer zuverlässig.

Abschließend sei hervorgehoben, dass die genannten Kritikpunkte angesichts der Forschungs- und Erschließungsleistung marginal sind. Der Band ist eine Fundgrube für Musik- und Liturgiewissenschaftler, Kodikologen und alle an mittelalterlichen Frauenklöstern und den Klosterreformen des 15. Jahrhunderts Interessierten.

Iris Holzwart-Schäfer