Mathis Mager: Krisenerfahrung und Bewältigungsstrategien des Johanniterordens nach der Eroberung von Rhodos 1522, Münster: Aschendorff 2014, 387 S., ISBN 978-3-402-13049-0, EUR 28,00
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Ausgangspunkt dieser bei Matthias Asche eingereichten Dissertation ist die These, der Johanniterorden habe sich "nach der Eroberung von Rhodos durch die Osmanen in einer seiner größten Krisen" (16) befunden. Mit der äußeren sei eine tiefe innere Krise einhergegangen, die in der Literatur als "kurzzeitige Schwächephase des Johanniterordens" beschönigt, jedoch nie "als existenzielle Bedrohungslage" (17) anerkannt worden sei. Mathis Magers Arbeit "orientiert sich an den Bewältigungsstrategien, die der Johanniterorden in den 1520er Jahren anwandte" (22). Dem Mangel, dass "weder der propagandistische Hintergrund der Augenzeugenberichte analysiert noch die Chroniken aus dem Blickwinkel der Erfahrungsgeschichte betrachtet" worden seien, will er abhelfen; denn "bis zum heutigen Tag werden die modernen Geschichtsbilder von den Darstellungen der Ordenschronisten dominiert" (23).
Bereichert durch deutschsprachige Flugschriften, umfasst der von Mager herangezogene Quellenkorpus neben zahlreichen edierten und archivalischen Briefen, Korrespondenzen, Protokollbüchern u. a. Texte von Jacobus Fontanus, Thomas Guichard, Jacques de Bourbon, Simon Iselin und Guillaume Caoursin, die immer wieder herangezogen werden. Sehr positiv zu bewerten ist der Entschluss des Autors, die Zeit seit 1309 intensiv in die Betrachtung einzubeziehen, um die Jahre von 1522 bis 1530 begreiflich zu machen. Zum Selbstverständnis der Johanniter orientiert er sich begrifflich an den Publikationen von Borgolte und Czaja [1] und definiert es in Abgrenzung zu Selbstbewusstsein im Sinne seines "präreflexiven Charakters" (82).
Nach dem Abzug von Rhodos 1522/23 gewährte Papst Clemens VII. dem Orden eine vorläufige Residenz in Viterbo. Auf dem dortigen Generalkapitel 1527 erreichte die innere Krise ihren Tiefpunkt. Hier setzte aber auch die Stabilisierung durch Großmeister Charles Villiers de l'Isle Adam ein. Ab 1523 konnte der Orden ohne Fähigkeit zur Kriegführung und Krankenpflege seinen Stiftungszwecken nicht mehr nachkommen und war dem Streben der Fürsten nach der Einverleibung seines Grundbesitzes ausgesetzt. Nach einer ersten Ablehnung, Malta als Ordenssitz zu akzeptieren, wurde die Situation brisant. Vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen Kaiser Karl V. und Franz I. von Frankreich war der Orden in zwei Lager gespalten und es gab Ordensritter, die zur Aufgabe der Ordenspflichten neigten und hofften, bei Säkularisierung des Ordensbesitzes Lehnsmänner ihrer Landesherren zu werden.
Während der Belagerung von Rhodos wurde der portugiesische Ordensritter Andrea d'Amaral wegen Verrats hingerichtet. Als Ordenskanzler hatte er eine Portugal nützende Politik betrieben und war bei der Großmeisterwahl 1521 einer der Konkurrenten de l'Isle Adams gewesen. 1522 geriet er in Verdacht, die Schießpulverbevorratung vernachlässigt und den Sultan durch Gemeinbotschaften zum Weiterkämpfen motiviert zu haben. Wichtiger als der Punkt, ob er schuldig war, ist für Mager die Frage, was sich in seiner Person ausdrückt. Ein Kampf bis zum Letzten kam für ihn, anders als für l'Isle Adam, offenbar nicht in Frage. Die Quellen dazu "liefern den Befund eines aufkommenden, neuen Selbstverständnisses vieler Ordensritter. Im Prozess der frühneuzeitlichen Staatenbildung gerieten immer mehr führende Johanniter in Abgängigkeitsverhältnisse [sic] zu ihren Landesherren". Neben dem Kollektivgeist bildete sich zunehmend der "Drang nach einer persönlichen Karriere" (281 f.).
1523 setzte eine Krisenbewältigung durch Propaganda, Diplomatie und Demonstration militärischer Handlungsfähigkeit ein. Der Beginn "eines groß angelegten Propagandacoups der Ordensführung" (105) war die Publikation dreier Chroniken (Jacobus Fontanus, De bello Rhodio libri tres, 1524 in zwei Versionen und Thomas Guichard, Oratio habita ab eloquentissimo viro, 1527). Klarer muss nach Mager gesehen werden, dass diese Chroniken - in der Forschung bis heute "die alleinige Grundlage zur Darstellung der Belagerung von Rhodos" (106) - Propagandatexte waren. Die ethnographische Wahrnehmung der türkischen Belagerer, ausgehend vom antiken Barbarenbegriff, und die religiöse Deutung der Eroberung wiesen ein "gravierende Inkohärenz" auf. So zeige sich "die Einordnung der Osmanen in den Antichrist-Diskurs als propagandistisches Mittel, welches mit der tatsächlichen Wahrnehmung oftmals nicht in Einklang stand" (149).
Mit Blick auf die Diplomatie des Ordens rückt Mager die Beziehungen zu den Königen von Frankreich, England und Portugal, den Päpsten Hadrian VI. und Clemens VII. sowie Kaiser Karl V. während der Belagerung und nach dem Abzug in den Vordergrund. Gegensätze zwischen Clemens VII. und Karl V. mussten diplomatisch umschifft werden. Stand der Orden zunächst auf Seiten des Papstes und Frankreichs, so einigte man sich, als Malta wieder ins Gespräch kam, mit dem Kaiser, indem man sich dem Kampf gegen die Barbaresken verschrieb.
Seit dem frühen 14. Jahrhundert erfolgte aus dem Wandel der Johanniter zu einem Ritterheer ein Selbstverständnis, das "die grundlegenden karitativen Aufgaben in den Hintergrund drängte". Auf Rhodos "baute der Orden konsequent seine Flotte aus und verlagerte den Heidenkampf vom Land auf das Meer" (256 f). In der umfassenden Betrachtung Magers wird sehr gut deutlich, welche inneren Widersprüche sich aus diesem zweiten Umschwung entspannen. So tat man sich dort mit den örtlichen Piraten zusammen, obwohl diese auch die zu schützenden christlichen Handels- und Pilgerschiffe kaperten. Im Laufe des Jahrhunderts begann der Orden selbst, solche Schiffe zu überfallen, und an seinem Ende verschlechterte sich seine ökonomische Lage so weit, dass der Papst bestimmte Formen der Piraterie zuließ. Seit Beginn des 15. Jahrhunderts organisierten Ordensritter private, corsi genannte Kaperfahrten, denen auch nicht-muslimische Schiffe zum Opfer fielen. Dieser Zuspitzung standen "Verklärungen der Ordensritter als Speerspitze der Christenheit, die als einzige tätige Kraft der osmanischen Expansion Einhalt gebiete" (269), entgegen.
Der Krieg zeigt sich in der osmanischen Darstellung zwangsläufig anders als in der des Ordens. Bei Fontanus verbindet sich laut Mager beides: Er lässt in De bello Rhodio den Sultan und den Korsaren Kurtoglu die Johanniter verteufeln, um bei den europäischen Fürsten "ein kompromissloses und erfolgreiches Vorgehen gegen die Osmanen aufzuzeigen" (271). Ritterlichkeit war inneres Ideal und zugleich "hervorragendes Propagandainstrument [...] gegenüber dem Abendland" (273). Zugleich empfahl man sich durch brutale Überfälle auf die türkische Küstenbevölkerung als Schwert des Christentums.
Ab 1523 musste die Flotte ihre Seegeltung neu gewinnen, daher drängte man erst auf dem Generalkapitel zu Viterbo auf Entscheidungen, als ihr Neuaufbau erste Resultate zeigte. Die Ordensführung erreichte ihr Ziel, den Orden wieder in einen Kampfauftrag einzubinden. Bereits 1524 war man wieder tätig, "was belegt, dass die maritime Aufrüstung für den Orden an allererster Stelle stand". Dabei war er sehr flexibel; denn der Wiederaufbau "sowie die ersten aktiven Fahrten wurden mit privaten Mitteln einzelner Ordensbrüder und nicht aus der Ordenskasse finanziert" (284).
Mager leistet einen wichtigen Beitrag dafür, die Geschichte des "transnationalen" Ordens (99) in ihren Zwiespältigkeiten bis hin zu ihren Zerreißproben herauszuarbeiten. Die Zeit von 1522 bis 1530 sieht er zu Recht als tiefe Krise, in der die Ordensführung bei innerem Gegendruck darauf hinarbeitete, den Orden auf den Weg des Kampfes und damit der Eigenständigkeit zurückzuführen. Die Zeit, die hier im Mittelpunkt steht, erscheint viel entscheidender für die weitere Existenz des Ordens, als dies die ältere Forschung sehen wollte. Der Band, der durch eine umfassende Berücksichtigung von deutschen, englischen, französischen und einzelnen italienischen Publikationen hervorsticht wird abgerundet durch einen Index mit Personen- und Ortsregister sowie einen Anhang mit zeitgenössischen Abbildungen.
Anmerkung:
[1] Michael Borgolte: "Selbstverständnis" und "Mentalitäten". Bewusstsein, Verhalten und Handeln mittelalterlicher Menschen im Verständnis moderner Historiker, in: Archiv für Kulturgeschichte 79 (1997), 189-210. Roman Czaja: Das Selbstverständnis der geistlichen Ritterorden im Mittelalter. Bilanz und Forschungsperspektive, in: ders. / Jürgem Sarnowsky (Hgg.): Selbstbild und Selbstverständnis der geistlichen Ritterorden, Toruń 2005, 7-21.
Heinrich Kaak