Rezension über:

Thomas Drachenberg (Hg.): Das Hochaltarretabel in der Prenzlauer Marienkirche. Beiträge der interdisziplinären Tagung im Dominikanerkloster in Prenzlau am 1. Dezember 2012 (= Arbeitshefte des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landsmuseums; Nr. 28), Berlin: Lukas Verlag 2013, 136 S., 216 Farbabb., ISBN 978-3-86732-180-8, EUR 15,00
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Rezension von:
Julia Trinkert
Kunsthistorisches Institut, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Redaktionelle Betreuung:
Tobias Kunz
Empfohlene Zitierweise:
Julia Trinkert: Rezension von: Thomas Drachenberg (Hg.): Das Hochaltarretabel in der Prenzlauer Marienkirche. Beiträge der interdisziplinären Tagung im Dominikanerkloster in Prenzlau am 1. Dezember 2012, Berlin: Lukas Verlag 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 11 [15.11.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/11/25430.html


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Thomas Drachenberg (Hg.): Das Hochaltarretabel in der Prenzlauer Marienkirche

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Dem Zufall sei es zu verdanken, dass sich die Redakteure des Tagungsbandes recht kurzfristig mit der Konzeption einer Tagung anlässlich des 500. Jubiläums des Prenzlauer Retabels im Jahr 2012 befassten, so berichten sie im Vorwort. Bei diesem Werk handelt es sich um eines der bedeutendsten Retabel in Brandenburg aus dem beginnenden 16. Jahrhundert, von dem heute nur noch ein Teil der äußerst qualitätvollen Skulpturen und einige wenige Fragmente des Rankenwerks erhalten sind. Bislang ist diesem Hauptwerk der spätmittelalterlichen Kunst in der Mark erstaunlicherweise keine Einzeluntersuchung zuteil geworden, was wohl vor allem dem historischen Schicksal mit wechselnden Aufbewahrungsorten zuzuschreiben ist. Wesentliche Teile des Retabels wurden trotz seiner Demontage und Einlagerung während der Kriegsereignisse 1945 zerstört. Glücklicherweise sind zahlreiche fotografische Vorkriegsaufnahmen erhalten, die einen Eindruck vom ursprünglichen Erscheinungsbild geben und heute noch zu Untersuchungen herangezogen werden können.

Inschriftlich waren sowohl das Entstehungsjahr 1512 als auch der Ort der Fertigung, Lübeck, genannt: "Anno domini 1512 do wort gemaket desse taffele to lūb" (Tafel 4). Nachdem gerade in den letzten Jahren die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Lübecker Kunst des Mittelalters wieder aufgeblüht ist, bot das Jubiläum des Prenzlauer Retabels eine Gelegenheit, Kunsthistoriker und Restauratoren zusammenzubringen, um die Argumente an diesem Objekt gemeinsam zu diskutieren. Werner Ziems und Peter Knüvener haben sich zuletzt besonders um Studien der Kunst in Brandenburg verdient gemacht [1] und auch Kollegen aus diesem Forschungsgebiet eingeladen. Das Tagungsprogramm in Prenzlau umfasste Beiträge von Kunsthistorikern und Restauratoren, die sich diversen Aspekten des Retabels widmeten, vergleichende Darstellungen von zeitgenössischer Kunstproduktion in der Uckermark bis hin zu Nachfolgewerken boten oder die historische wie architektonische Situation des ursprünglichen Aufstellungsorts zum Zeitpunkt der Herstellung des Retabels anführten. Der Band ist in der Reihe der Arbeitshefte des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums erschienen und großzügig bebildert. Den Beiträgen vorangestellt ist ein umfassender Tafelteil, der das Prenzlauer Retabel mit ganzseitigen historischen Aufnahmen abbildet sowie jede erhaltene Einzelfigur und jedes Relief farbig darstellt.

Die Beiträge beginnen mit der Annäherung Jan Friedrich Richters an den "Meister des Prenzlauer Hochaltarretabels" (45), der der hauptverantwortliche Bildschnitzer für die Skulpturen war und eine wohl bedeutende Werkstatt in Lübeck unterhielt. Richter zeichnet anhand stilkritischer Vergleiche die Fertigung zahlreicher Werke im Norden nach, rekonstruiert anhand möglicher künstlerischer Einflüsse seine Biografie und identifiziert Gesellen, die sich aus seiner Werkstatt heraus zu selbstständigen Meistern entwickelten, darunter etwa Benedikt Dreyer. Miriam Hoffmann befasst sich ebenfalls aus kunsthistorischer Sicht mit den verlorenen Malereien des Retabels, die einst Szenen aus der Kindheit Jesu sowie aus der Heiligenlegende der Katharina von Alexandrien beinhalteten. Hoffmann beschränkt sich dabei auf die Einordnung der nur fotografisch dokumentierten Gemälde hinsichtlich ihrer druckgrafischen Vorlagen, vor allem Schongauers Kupferstiche, und auf die Unterscheidung von zwei Bildgruppen, die sie jedoch keinen individuellen Künstlerpersönlichkeiten zuordnet, sondern bewusst als "Werkgruppen" bezeichnet.

Darauf folgen die Beiträge von Werner Ziems und Christiane Thiel, die sich mit kunsttechnischen Betrachtungen und der Restaurierung des Werks befassen. Ziems weist anhand markanter Konstruktionsdetails des verlorenen Schreins und charakteristischer Fassungstechniken wie der Verwendung eines spezifischen Granatapfelornaments und der Gestaltung der Saumborten der Figuren eine Herkunft aus Lübeck nach, während Christiane Thiel die Restaurierungsgeschichte des Retabels resümiert und einen Eindruck vom Zustand der Skulpturen und des Zierwerks vor der Restaurierung gibt. Sie fasst die zwischen 1992 und 2012 unternommenen Maßnahmen zusammen, an denen sie maßgeblich beteiligt war.

Peter Knüvener gibt einen Überblick über den erhaltenen Bestand mittelalterlicher Kunstwerke in der Uckermark und beschreibt anhand einiger herausragender Beispiele die Tradition von Importwerken in der Region. Eine weitere Perspektive eröffnet Thoralf Herschel mit der Vorstellung des Retabels in Güstow, 5 km westlich von Prenzlau, das die Entwürfe des Prenzlauer Vorbilds dezidiert übernimmt und dabei Arbeitstechniken und Formensprache einer regionalen Werkstatt beibehält. Anhand des historischen Kontexts lenkt Dirk Schumann seinen Blick auf die in den Jahren vor und um 1450 besonders rege Bautätigkeit in Prenzlau. Der große Stadtbrand von 1483 bedeutete hier eine folgenreiche Zäsur, nach der die Stadt hauptsächlich mit der Wiedererrichtung identifikationsstiftender Monumente befasst war. Schumann schlägt daher auch den Rat als Stifter des neu zu errichtenden Hochaltarretabels der Prenzlauer Ratskirche im Zuge der "Selbstvergewisserung des ökonomischen Potentials der städtischen Gemeinschaft" vor (105).

Mit der erneut erstarkenden Kunstproduktion der Stadt an der Wende zum 17. Jahrhundert befasst sich Bernd Jankowski und stellt einen umfangreichen Bestand von Renaissanceretabeln vor, der Prenzlau als bislang verkanntes Kunstzentrum der Spätrenaissancezeit im Schatten Lübecks erscheinen lässt. Abschließend zeichnet Detlef Witt ein eindrückliches Bild der sehr vergleichbaren Situation in Anklam, wo die bedeutenden Altarretabel von St. Nikolai und St. Marien einem ähnlichen Kriegsschicksal zum Opfer fielen. Der Beitrag arbeitet Quellen zu den Auslagerungsbestrebungen vor der Zerstörung auf, fasst die Rückführung und Restaurierung der Fragmente zusammen und bietet eine umfangreiche fotografische Vorkriegsdokumentation der heute verlorenen Werke, von denen einige auch Plünderungen zum Opfer gefallen sein könnten.

Die Tagungsergebnisse zeigen einmal mehr, wie der Erkenntnistransfer nur durch den gemeinsamen Austausch von Kunsthistorikern und Restauratoren gelingen kann und Voraussetzung zur Untersuchung und Erhaltung mittelalterlicher Kunstwerke sein muss. Durch diesen Tagungsband wird das Prenzlauer Retabel verdient und längst überfällig gewürdigt. Wünschenswert wäre einzig eine objektivere Auseinandersetzung mit dem oder den einzelnen für die Skulpturen verantwortlichen Bildschnitzer/n gewesen, indem auf die Rekonstruktion einer Art Künstlerbiografie und dezidiert hierarchisierten Werkstattstruktur des "Meisters des Prenzlauer Retabels" weniger Gewicht gelegt worden wäre, da diese lediglich auf stilistischen und nicht immer überzeugenden Zuschreibungen beruhen. Die Beobachtung, dass die in Lübeck festzustellende "Normierung von Stilformen und Darstellungstypen [...] es oft unmöglich machen, einzelne Werke bestimmten Künstlern zuzuordnen" (46), hätte konsequenter verfolgt werden können, wie dies etwa Miriam Hoffmann hinsichtlich der Malereien auch betont, "[...] da weder die historischen Quellen noch die Stilkritik sichere Belege bzw. Argumente für eine Rekonstruktion der ursprünglichen Verhältnisse der Künstler liefern können" (63, Anm. 35).

Das nicht zu unterschätzende Verdienst dieser Einzeluntersuchung liegt, neben der umfassenden Untersuchung des Werks selbst sowie der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kunstproduktion in der Uckermark und dem vergleichenden Kriegsschicksal weiterer heute verlorener Kunstwerke im benachbarten Vorpommern, vor allem auf der Ausstattung des Bandes mit umfangreich vorhandenem historischem und aktuellem Bildmaterial in hoher Qualität, das für zukünftige Studien unverzichtbar ist.


Anmerkung:

[1] Ernst Badstübner u.a. (Hgg.): Die Kunst des Mittelalters in der Mark Brandenburg. Tradition - Transformation - Innovation, Berlin 2008; Jiri Fajt u.a. (Hgg.): Die Altmark von 1300 bis 1600. Eine Kulturregion im Spannungsfeld von Magdeburg, Lübeck und Berlin, Berlin 2011; Clemens Bergstedt u.a. (Hgg.): Im Dialog mit Raubrittern und Schönen Madonnen. Die Mark Brandenburg im späten Mittelalter, Begleitband zum Ausstellungsverbund (= Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte; Bd. 6), Berlin 2011; Peter Knüvener (Bearb.): Mittelalterliche Kunst aus Berlin und Brandenburg im Stadtmuseum Berlin, Berlin 2011; Peter Knüvener: Die spätmittelalterliche Skulptur und Malerei in der Mark Brandenburg (= Forschungen und Beiträge zur Denkmalpflege im Land Brandenburg; Bd. 14), Worms 2011.

Julia Trinkert