Peter Maser: "Mit Luther alles in Butter"? Das Lutherjahr 1983 im Spiegel ausgewählter Akten, Berlin: Metropol 2013, 575 S., 17 s/w-Abb., ISBN 978-3-86331-158-2, EUR 29,90
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Die Lutherfeierlichkeiten des Jahres 1983 in der DDR wurden bereits zeitgenössisch in beiden Teilen Deutschlands aufmerksam beobachtet und analysiert. Später wurden sie Gegenstand zahlreicher historischer Untersuchungen. Zum dreißigsten Jubiläum des "Jubiläumsmarathons" (19) legt nun der Kirchenhistoriker Peter Maser, der bereits mehrfach zu dieser Thematik publiziert hat, einen umfangreichen Band vor. Darin stellt er sehr quellennah die staatlichen und kirchlichen Aktivitäten in der DDR aus Anlass des 500. Geburtstages des Reformators dar. Hierfür hat er unter anderem Akten der Bundesregierung, des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, des Staatssekretärs für Kirchenfragen der DDR, der SED, des MfS, der CDU (DDR) und der Akademie der Wissenschaften der DDR herangezogen.
Zunächst führt Maser in die Ausgangssituation ein. Er beschreibt die internationalen und nationalen Rahmenbedingungen, erläutert das Staat-Kirche-Verhältnis in der DDR bis zum Spitzengespräch am 6. März 1978 und skizziert die Entwicklung des marxistischen Lutherbildes. Anschließend werden kleingliedrig in neunzehn Kapiteln alle Akteure, Aspekte und Stationen des Lutherjahres berücksichtigt. Als Initiator und Motor der staatlichen Lutherfeierlichkeiten sieht Maser Erich Honecker, der mit Unterstützung der Kirchen das internationale Ansehen der DDR verbessern und die DDR-Gesellschaft mit Hilfe geschichtspolitischer Aktivitäten stabilisieren wollte. Doch auch wirtschaftliche Aspekte spielten eine Rolle: So sollte der westliche Luthertourismus die Devisenbilanz der DDR verbessern - eine Erwartung, die nicht ganz erfüllt wurde. Intensiv geht Maser auf die DDR-Einladungspolitik zum Lutherjubiläum ein und dokumentiert die politischen und protokollarischen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den Reiseplänen von Bundespräsident Karl Carstens. Aber auch Aspekte, die bislang weniger in den Blick genommen wurden, finden bei ihm Berücksichtigung: so etwa das "Homosexuelle Coming-out bei den Kirchentagen" (369) oder "Jüdisches im Lutherjahr 1983" (388). Viel Aufmerksamkeit widmet Maser den sieben regionalen Kirchentagen im Lutherjahr. Im September 1983 trat auf dem Kirchentag in der Lutherstadt Wittenberg die sich formierende Opposition erstmals äußerst öffentlichkeitswirksam auf, so dass damit "dann allerdings auch die Toleranz der staatlichen Seite erschöpft" war (363). Das exzeptionelle Zusammenwirken von SED-Staat und ostdeutschen Kirchen im Lutherjahr fand ein jähes Ende. Vor dem Hintergrund sich verschärfender innen- und außenpolitischer Entwicklungen kehrte die SED mit dem ZK-Beschluss vom 26. Oktober 1983 zum "Differenzierungsprozess" und zur Konfrontation gegenüber den Kirchen zurück. Honeckers Rechnung war nicht aufgegangen. Sein Bemühen war gescheitert, "die krisenhaften Entwicklungen im Lande selbst und auf internationaler Ebene unter Einbeziehung der Kirchen und im Zeichen Luthers in den Griff zu bekommen" (416). Doch Maser geht in der Bewertung der Lutherfeierlichkeiten noch einen Schritt weiter, wenn er konstatiert, das Lutherjahr 1983 habe kirchliche und gesellschaftliche Prozesse in Gang gesetzt oder zumindest verstärkt, "die direkt oder indirekt einen erheblichen Anteil am Ende der SED-Diktatur in der Friedlichen Revolution 1989/90 haben sollten" (18). Im Unterschied zur Neubelebung des alten byzantinischen Symphonia-Modells im Zuge der Milleniumsfeiern der Taufe Russlands im Jahr 1988, die Maser als Vergleich hinzuzieht, hätten die evangelischen Kirchen in der DDR durch das Lutherjubiläum an Selbstbewusstsein hinzugewonnen und sich weiter politisiert. Die Emanzipation der "Gruppen" sei unter dem Schutzdach der Kirche vorangeschritten und ihr Einfluss habe nach den Kirchentagen 1983 stetig zugenommen. Bei dieser Einschätzung des Lutherjubiläums und seiner Wirkungen liegt jedoch der Verdacht nahe, dass die Geschichte zu sehr von ihrem Ende her erzählt wird.
Ein weitaus längerer "Jubiläumsmarathon" geht gegenwärtig in sein letztes Drittel: die von der Evangelischen Kirche in Deutschland veranstaltete Lutherdekade zur Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum 2017. Da Peter Maser im wissenschaftlichen Beirat dieser Dekade sitzt, kann es nicht ausbleiben, dass der Kirchenhistoriker in seinem Buch am historischen Beispiel eine Mahnung ausspricht: Nur wo Luther nicht für aktuelle Interessen missbraucht werde, könne er auch heute noch für Kirche und Gesellschaft wichtige Impulse geben. Für eine abschließende erinnerungskulturelle Analyse der Lutherdekade - auch im Vergleich zum Lutherjubiläum des Jahres 1983 - ist es jedoch noch zu früh. In der Zwischenzeit lässt es sich aber in dem Band von Maser, der über weite Strecken den Charakter eines kommentierten Quellenlesebuchs trägt, gut schmökern, da er auch für den informierten Leser noch ein paar neue Details enthält.
Claudia Lepp