Martin Hall / Jonathan Phillips: Caffaro, Genoa and the Twelfth-Century Crusades (= Crusade Texts in Translation; Vol. 24), Aldershot: Ashgate 2013, XIX + 258 S., 3 Kt., ISBN 978-1-4094-2860-2, GBP 60,00
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Bereits seit 1996 stellt die Reihe "Crusade texts in translation" ein wertvolles Hilfsmittel dar, um sich schnell und unkompliziert wichtige Quellentexte zur Geschichte der Kreuzzüge zu erschließen. Eine Stärke dieser Reihe ist es, dass vor allem Quellen übersetzt werden, die in der Kreuzzugsforschung bis dato nur selten Berücksichtigung fanden. Dass inzwischen bereits 26 Bände erscheinen konnten, liegt vor allem darin begründet, dass eine rasche Publikation durch den Verzicht auf eine kritische Neuedition der übersetzten Texte ermöglicht wird. Diese Stärke kann zugleich aber auch als eine Schwäche der Reihe angesehen werden, da die benutzte(n) Editione(n) nicht selten veraltet und unzuverlässig sind. [1] Im Falle der vorliegenden Texte von Caffaro di Rustico, Herr von Caschifellone, und seinen Fortsetzern versichern die beiden Herausgeber Hall und Phillips allerdings, dass die bis heute maßgebliche Edition von Luigi Tommaso Belgrano vom Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts sehr zuverlässig sei (43). Diese fünfbändige Edition ist tatsächlich in vielen deutschen Universitätsbibliotheken vorhanden, und wenigstens die beiden ersten Bände sind als Digitalisate frei im Internet verfügbar, in denen auch alle hier übersetzten Texte enthalten sind. [2] Auch wenn also eine zweisprachige Ausgabe vor allem für die Benutzung in der Lehre wünschenswert wäre, ist doch eine Arbeit mit den Texten Caffaros unter diesen Umständen gut möglich.
Ein weiterer Vorteil der Reihe besteht darin, dass die Herausgeber in der Regel nicht nur eine Kreuzzugsdarstellung präsentieren, sondern viele zusätzliche Dokumente. In diesem Falle sind das nicht nur die verschiedenen Texte, die in den drei erhaltenen Handschriften der Annalen Caffaros enthalten sind [3], sondern weitere 24 Urkunden und andere Rechtstexte, die für die Geschichte der Genuesen und ihres Anteils an den Kreuzzügen von Bedeutung sind, und eine besondere Bereicherung für das Verständnis der Ereignisgeschichte darstellen.
Aus Sicht der aktuellen Kreuzzugsforschung resultiert der besondere Wert der Annalen vor allem aus der eigenen Sichtweise auf die Kreuzzüge, durch die wenig überraschend vor allem die Rolle der Genuesen für den Erfolg der frühen Kreuzzüge und beim Aufbau bzw. bei der Sicherung der Kreuzfahrerherrschaften betont wird. Caffaros Aufzeichnungen galten früher als weniger wertvolle Quelle, besonders im Hinblick auf den Ersten Kreuzzug, da Caffaro zwar 1100 und 1101 in die Levante reiste (2; 50) und somit für einige Ereignisse in dieser Zeit als Augenzeuge gelten kann, die älteste Überlieferung aber erst aus den 1150er Jahren stammt und offenbar mehrfach überarbeitet und ergänzt wurde (3-6). Obwohl Caffaro als der erste Verfasser der Annalen immer wieder in den Texten genannt wird, bleibt doch unklar, wie stark die Darstellung insgesamt durch die späteren Bearbeiter und Fortsetzer überformt wurde.
In der ausführlichen Einleitung von Hall und Phillips (1-48) wird zudem immer wieder auf die abwertende Einschätzung der Genuesen allgemein und ihres Stadtchronisten Caffaro im Besonderen angespielt, die die Kreuzzugsforschung lange beherrschte (vgl. nur 6 und Anm. 15). Galten doch die Genuesen ebenso wie die Bewohner der anderen einflussreichen norditalienischen Handelsstädte lange Zeit als rücksichtslose Geschäftemacher, die die Kreuzzüge lediglich dazu benutzt hätten, ihre Märkte immer weiter gen Osten und Süden auszudehnen. Umso mehr sind Hall und Phillips darum bemüht, Caffaro und seine Landsleute auch als ernsthafte und am spirituellen Lohn dieser Expeditionen interessierte Kreuzfahrer darzustellen.
Während Hall und Phillips in ihrer Einleitung und bei der Auswahl der Dokumente vor allem darauf abzielen, Genua als einen wichtigen Kreuzzugsakteur in politischer und sozio-ökonomischer Hinsicht vorzustellen, sei hier noch kurz auf die historiographische und narrative Gestaltung der frühen Kreuzzugsgeschichte eingegangen, vor allem am Anfang der "Annales" (49-56) und in "De liberatione civitatum Orientis" (107-125). Im Mittelpunkt der Erzählung in den "Annales" stehen der Bericht vom Heiligen Feuer in Jerusalem und von der Eroberung Caesareas (beides im Jahre 1101). Durch den abschließenden Hinweis, die Eroberung Caesareas sei vergleichbar mit der Eroberung Antiochias 1097, der afrikanischen Expedition (gegen Mahdia, Tunesien) von 1087, der ersten Expedition nach Tortosa 1093 und der Eroberung Jerusalems 1099, wird deutlich, dass Caffaro der Expedition, an der er selbst teilnahm, eine ebenso große Bedeutung beimaß wie den weitaus bekannteren, früheren Kämpfen gegen die Muslime im Westen und im Osten.
Um aber der Nachwelt die entscheidende Mitwirkung der Genuesen auch am Ersten Kreuzzug zu überliefern, bieten die Handschriften der Annalen noch die kleine Schrift "De liberatione civitatum Orientis". Wer einigermaßen vertraut ist mit den frühen monographischen Kreuzzugs-"historiae", dem wird sofort auffallen, dass Caffaro bzw. Iacopo Doria (107) zu Beginn ein "Best of" der beliebtesten Erzählmotive des Ersten Kreuzzugs bieten, dabei jedoch auch manch spannende Umschreibung und Reinterpretation. So wird etwa die Genese des Ersten Kreuzzugs sehr eigenwillig dargestellt. Denn zum einen habe Gottfried von Bouillon Rache dafür nehmen wollen, dass er bei einer früheren Pilgerfahrt in Jerusalem durch sarazenische Wachen gedemütigt worden sei, als er nicht schnell genug den Zoll für den Besuch der Heiligen Stätten zahlte - die Rede ist also nicht von Gräueltaten der Sarazenen und einem entsprechenden Hilferuf der "christlichen Brüder im Osten" wie in den meisten frühen Kreuzzugschroniken. Zum anderen wird ein Teil der Geschichte der Auffindung der Hl. Lanze in Antiochia (vor allem nach dem Zeugnis des Raimund von Aguilers) [4] nach Le Puy verlegt, wonach der Engel Gabriel (bei Raimund der Apostel Andreas) einen gewissen Bertholomeus (bei Raimund Petrus Bartholomäus) damit beauftragt habe, Papst Urban zum Kreuzzugsaufruf zu bewegen (109) - der Papst erscheint also nicht als Initiator, sondern sozusagen als Befehlsempfänger und das Konzil von Clermont wird überhaupt nicht erwähnt. Später wird die Auffindung der Hl. Lanze in Antiochia dann überraschenderweise Peter von Amiens zugeschrieben (114), der wiederum in der ebenfalls eigenwilligen Darstellung Alberts von Aachen als der eigentliche Initiator des Kreuzzugs erscheint. [5] Auffällig ist dann, dass sich mit dem Jahre 1101 der narrative Duktus verändert - ständig wird nun auf das Augenzeugnis Caffaros bzw. auf die erste Niederschrift dieser Ereignisse durch ihn verwiesen (118, 120, 122). Entsprechend eigenständig erscheinen dann auch die Erzählungen, wie etwa von der Eroberung der Burg Marqab (119).
Allein schon durch diese Textpassagen wird deutlich, dass die Genueser Annalen von Caffaro und seinen Fortsetzern ein wertvolles Mosaiksteinchen für das große, bunte Gemälde der frühen Kreuzzugschronistik darstellen. Wenn sich die Kreuzzugsforschung der jüngst immer häufiger laut werdenden Forderung stellen will [6], die chronikalen und historiographischen Zeugnisse in ihrer Vielfalt und Polyphonie ernst zu nehmen, nicht immer nur die "Gesta Francorum" als vermeintlich authentische Darstellung des Ersten Kreuzzug zu präsentieren, vor allem aber sich auch mit den unterschiedlichen Deutungen der Geschichte der Kreuzfahrerherrschaften seit der Mitte des 12. Jahrhunderts auseinanderzusetzen, so wird die hier vorliegende erste englische Übersetzung dieser Texte aus Genua zweifellos ein sehr hilfreiches Mittel zur Erreichung dieses Zieles sein.
Anmerkungen:
[1] Vgl. etwa das Beispiel der Kreuzzugschronik des Robert von Reims: Carol Sweetenham (ed.): Robert the Monk's History of the First Crusade. Historia Iherosolimitana (Crusade Texts in Translation 11), Aldershot, Ashgate 2006; Damien Kempf / Marcus Bull (eds.): The "Historia Iherosolimitana" of Robert the Monk, Woodbridge, Boydell 2013. Die Übersetzung erschien also vor der Neuedition, auch wenn diese nur einige wenige abweichende Lesarten bietet, da die gleiche Handschrift als Normaltext benutzt wurde wie in der bis heute maßgeblichen Edition aus dem 19. Jahrhundert, siehe Robertus Monachus, Historia Iherosolimitana, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens occidentaux, Band 3, éd. p. Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris, Imprimerie Royale 1866, 717-882.
[2] Luigi Tommaso Belgrano (a cura di): Annali genovesi di Caffaro e de' suoi continuatori. Dal MXCIX al MCCXCIII. Nuova Edizione, 5 Bde. (Fonti per la Storia d'Italia 11-14), Genua/Rom, Sordo-Muti/Nella Sede dell'Istituto 1890-1929.
[3] Zu den Handschriften siehe 42f. und 227. Die Übersicht zu den enthaltenen Dokumenten ist zu finden unter xi-xiii.
[4] Vgl. die Edition Raimundus de Aguilers Canonici Podiensis, Historia Francorum qui ceperunt Iherusalem, in: Recueil des Historiens des Croisades. Historiens occidentaux, Band 3, éd. p. Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris, Imprimerie Royale 1866, 232-309. Die aktuellere Edition bietet demgegenüber keinen Mehrwert, sei aber der Vollständigkeit halber trotzdem genannt: John Hugh Hill / Laurita L. Hill (éds.): Le "Liber" de Raymond d'Aguilers (Documents relatifs à l'Histoire des Croisades, 9), Paris, Librairie orientaliste Paul Geuthner 1969.
[5] Susan B. Edgington (ed.): Albert of Aachen. Historia Ierosolimitana. History of the Journey to Jerusalem (Oxford Medieval Texts), Oxford: Clarendon 2007. Diese Ausgabe enthält sowohl eine Neuedition als auch eine englische Übersetzung.
[6] Vgl. etwa Damien Kempf / Marcus Bull: L'histoire toute crue. La Première Croisade au miroir de son Histoire, in: Médiévales 58 (2010), 151-160; Beate Schuster: Comment comprendre les récits de la première croisade? à propos de "1099 - Jérusalem Conquise", de Guy Lobrichon, in: Médiévales 19 (2000), 153-168. Vgl. auch als Beispielstudie Kristin Skottki: Of "Pious Traitors" and Dangerous Encounters. Historiographical Notions of Interculturality in the Principality of Antioch, in: Journal of Transcultural Medieval Studies 1 (2014), 75-115.
Kristin Skottki