Nicole Hegener (Hg.): Künstlersignaturen. Von der Antike bis zur Gegenwart, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2013, 464 S., 268 Farb-, 81 s/w-Abb., ISBN 978-3-86568-705-0, EUR 49,95
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Mehr als zwanzig Künstler waren im Laufe des 16. Jahrhunderts an der Neuausstattung der Basilica di Sant'Antonio in Padua beteiligt. Die Grabeskirche des hl. Antonius stieg zu jener Zeit in den Rang einer der bedeutendsten Pilgerstätten Europas auf. Daher verwundert es kaum, dass einige Bildhauer ihre Werke signierten, um ihre Urheberschaft zu bekunden und auf Nachruhm zu spekulieren. So schnitt Tullio Lombardo seinen Namen in ein Relief, das sich an der Kapellenrückwand rechts hinter dem Altar befindet. Es zeigt das Geizhalswunder - und damit Antonius und seine Begleiter, die, starr vor Entsetzen, das Herz des vor ihnen aufgebahrten Leichnams nicht in dessen geöffneter Brust, sondern in dessen Geldkassette vorfinden.
Unübersehbar hat Tullio Lombardo in römischer Kapitalis den Schriftzug "OPVS TVLLII LOMBAR · PETRI F · M · D · XXV ·" hinterlassen. Der Künstler gibt seine Identität, patronymisch seine Herkunft und den Zeitpunkt der Vollendung seines Werkes preis. Doch nicht nur das. Wie Florian Horsthemke und Judith Ostermann plausibel machen können, ordnet Lombardo die Hand des verstorbenen Wucherers so an, dass diese die Blicke auf die Künstlersignatur lenkt. Das Eingreifen der Hand in den Schriftzug bewirkt eine Steigerung des semantischen Gehalts der Signatur: Neben die Namensnennung tritt die plastische Lobpreisung der Hand des begnadeten Künstlers. Dessen, aber auch des Vaters Pietro Lombardo zu gedenken und beide in ihre Fürbitten einzuschließen, wird den im Gebet wie in der Schau vereinten Pilgern nahe gelegt.
Insgesamt 23 exzellente Beiträge wie diesen hat Nicole Hegener in einer im doppelten Wortsinn gewichtigen Anthologie unter dem betont sachlichen Titel "Künstlersignaturen von der Antike bis zur Gegenwart" versammelt. Es handelt sich um eine sorgfältig edierte und hervorragend illustrierte epochen- und gattungsübergreifende Gesamtschau europäischer Künstlersignaturen, die aufgrund der gelungenen Konzentration auf präzise Einzelwerkanalysen jedweder Tendenz zur Pauschalisierung entgeht. Die Signatur als eine künstlerische Strategie zur Sicherung der Memoria, als einen "Anker für die Ewigkeit" (14) zu interpretieren, ist die einzig verbindende Perspektive. Dem Band vorangegangen war eine Tagung, die, ausgerichtet vom Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin, 2008 im Gobelinsaal des Bode-Museums stattfand. Schon der Fokus der Tagung, der auf den Sammlungen der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz lag, ist Garant dafür, dass hier eine material- und werkorientierte Signaturenforschung praktiziert wird.
"Eine Definition der Künstlersignatur, die für alle Epochen und Gattungen anwendbar wäre, ist schlechterdings nicht möglich", bekennt Nicole Hegener (31). Umso überzeugender ist es, dass die Herausgeberin und die Autoren und Autorinnen gar nicht erst den Versuch unternommen haben, mit Jacques Derrida der Geste der Wiederholung, mit Giorgio Agamben der signatura rerum oder mit Carlo Ginzburg dem Indizienparadigma auf den Grund zu gehen, sondern sich unter Anwendung verschiedener kunsthistorischer Methoden mit großer Sorgfalt jeder einzelnen Signatur widmen.
Auf zwei Aufsätze zur antiken Künstlersignatur folgt eine Sektion zur Signatur im Mittelalter. Am umfangreichsten ist die Auseinandersetzung mit Künstlern der Renaissance und des Manierismus. Allein vier Beiträge widmen sich Michelangelos Selbstreferenzen. So widerlegt Alessandro della Latta die als communis opinio tradierte Behauptung der Signaturenforschung, Michelangelo habe für die Signatur der Pietà das erste Mal seit der Antike auf jene von Plinius in der Naturalis Historiae verwendete und von Angelo Poliziano überlieferte Imperfekt-Formel "faciebat" zurückgegriffen. Alessandro della Latta kann vielmehr nachweisen, dass vor dem Hintergrund einer intensiven Plinius-Rezeption in den letzten beiden Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts humanistisch gebildete Künstler mit "faciebat" signierten und so auf Apelles oder Polyklet rekurrierten. Ergänzend plädiert Nicole Hegener dafür, die plinianische Imperfektformel nicht, wie bislang üblich, als Anzeichen eines non finito zu deuten, sondern vielmehr im Kontext des Paragone mit dem Divino als Indiz für den Geltungsdrang der unterzeichnenden Künstler zu verstehen.
Irving Lavin lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass Michelangelo sich mit seiner Signatur metonymisch selbst unter den Schutz des Gnadenmantels der Jungfrau stellt, während Rudolf Preimesberger der von Vasari verbreiteten Legende nachgeht, wonach Michelangelo nächtens und klammheimlich im Dunkeln seine Signatur geschlagen habe, um das kursierende Gerücht zu widerlegen, ein Unbekannter lombardischer Künstler habe die Pietà geschaffen. Dass Ernst Kris und Otto Kurz ausgerechnet diese Anekdote in ihrer "Legende vom Künstler" ausgespart haben, war für Rudolf Preimesberger Anlass genug, sich der Geschichte anzunehmen.
Debra Pincus wirft einen Blick in Richtung Venedig und unternimmt anhand der Signaturen, die Giovanni Bellini, angelehnt an die capitalis quadrata der römischen Kaiserzeit, auf seinen Gemälden hinterlassen hat, den Versuch der Händescheidung. Welche Signatur könnte vom Meister selbst angebracht worden sein? Welche von einem Werkstattmitglied, einem Nachfolger oder einem Schüler?
Im Medienwechsel, der sich in der Zeit um 1400 vollzieht, vermutet Tobias Burg die Hauptursache für das Erstarken der Künstlersignatur in der Frühen Neuzeit. Mit dem Aufkommen von Druckgrafiken ging die Notwendigkeit einher, den entwerfenden Künstler vom ausführenden Stecher zu trennen. Zugleich etablierten Künstler in dieser Phase, wie Tobias Burg am Beispiel von Martin Schongauer zeigen kann, Standardisierungsverfahren, um Wiedererkennbarkeit zu gewährleisten: Schongauer signierte stets an der gleichen Stelle, vereinheitlichte die Form der Buchstaben und fügte zwischen seine Initialen ein Markenzeichen ein. Angesichts derartiger Normierungsprozesse griff die Kunstgeschichte ebenfalls auf Möglichkeiten der technischen Reproduzierbarkeit zurück. Es erschienen Nachschlagewerke. Eines davon, das erste selbständige Monogrammlexikon, das Johann Friedrich Christ 1747 vorlegte, wird von Antoinette Friedenthal auf seinen methodischen Anspruch sowie seine Rezeptionsgeschichte hin untersucht.
Den Bogen zur Kunst der Gegenwart schlagen Hubertus Butin und Sonja Neef. Während Sonja Neef die tags von Graffiti-Sprayern in den Blick nimmt, untersucht Hubertus Butin das Spiel, das Künstler wie Marcel Duchamp, Andy Warhol, Marcel Broodthaers und Annette Messager im 20. Jahrhundert angezettelt haben, um die Fetischisierung von Autorschaft zu dekonstruieren.
Man mag die chronologische Ordnung der Anthologie als konventionell und ihre Fixierung auf 'Meisterschaft' in der Renaissance als allzu sehr dem klassischen Kanon der Kunstgeschichte verpflichtet kritisieren. Auch sind namhafte Signaturforscher und Signaturforscherinnen wie Albert Dietl [1] und Karin Gludovatz [2] nicht mit von der Partie. Doch schmälert dies keineswegs das Verdienst der Herausgeberin. Nicole Hegener hat eine Fülle neuer Ergebnisse und Untersuchungsaspekte zugänglich gemacht und das bislang marginalisierte Phänomen Signatur, das Wissensbereiche wie Rechtsgeschichte, Epigrafik, Soziologie, Wirtschaftsgeschichte, Philologie und Memoria-Techniken streift, auf breiter Basis der kunsthistorischen Forschung erschlossen. Dass der Band, wie Matthias Winner im Geleitwort schreibt, aufscheinen lässt, "wie viel auf diesem Gebiet noch zu leisten ist" (12), zählt zweifellos zu seinen großen Qualitäten.
Anmerkungen:
[1] Albert Dietl: Die Sprache der Signatur. Die mittelalterlichen Künstlerinschriften Italiens (= Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz; 4 Bde.), hgg. v. Alessandro Nova / Gerhard Wolf, Berlin / München 2009.
[2] Karin Gludovatz: Erstehen und Vergehen. Marcel Broodthaers und die epiphanische Gestalt des Künstlers, in: Subjekt und Medium in der Kunst der Moderne, hgg. v. Michael Lüthy / Christoph Menke, Zürich / Berlin 2006, 175-188; Karin Gludovatz: Fährten legen - Spuren lesen. Die Künstlersignatur als poietische Referenz, München 2011.
Annette Tietenberg