Sebastian Kolditz: Johannes VIII. Palaiologos und das Konzil von Ferrara-Florenz (1438/39). Das byzantinische Kaisertum im Dialog mit dem Westen (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters; Bd. 60), Stuttgart: Anton Hiersemann 2014, 2 Bde., X + 776 S., ISBN 978-3-7772-1320-0, EUR 376,00
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Eine Dissertation gilt es anzuzeigen, die sich durchgängig auf Habilitationsniveau bewegt, die ihr Thema mit quellengesättigter und polyglotter Gelehrsamkeit in staunenswerter Breite und Tiefe durchdringt, dabei klassische Erudition mit methodischer Strenge und hohem Reflexionsgrad verbindet und sich ebenso durch den präzisen Blick auf Details wie den souveränen Überlick über das Ganze auszeichnet. Darstellungs- und Urteilskraft finden adäquaten Ausdruck in einer unprätentiösen und gut lesbaren Sprache, die zudem und vor allem die meisterhafte Beherrschung der Materie spiegelt und deren Ton - so wenn konträre Forschungsansichten zur Debatte stehen - von sachorientierter Bescheidenheit zeugt. Kurzum, die Lektüre dieser grundgelehrten, klugen Studie bereichert unsere Kenntnisse ungemein und bereitet intellektuelles Vergnügen; nach meinem Dafürhalten hat Kolditz einen der brillantesten Beiträge überhaupt zur Geschichte des konziliaren Zeitalters seit der Arbeit von Johannes Helmrath über das Basler Konzil (1987) vorgelegt und dabei in seinem engeren Bereich den von Gelehrten wie Geneakoplos, Gill, Hofmann, Laurent oder Nicol wie auch von der Literatur zur 550-Jahrfeier des Ferrariense-Florentinum markierten Forschungsstand in Vielem weitergeführt. Angesichts solch ausnehmender Leistung ertappt man sich dabei, in nuce gleich eine Gesamtdarstellung dieses Konzils samt erschöpfender Behandlung der dort erörterten Theologica und einem Eingehen auf die Folgen der Union für die letzten Jahre des oströmischen Reichs zu erwarten, was natürlich unbillig und irreal wäre. Doch dürfte in der Tat gegenwärtig hierfür kaum jemand so qualifiziert sein wie dieser Autor, dessen wissenschaftliche Herkunft als Matschke-Schüler noch auf die international reputierte Byzantinistik in der früheren DDR verweist und der bis 2013 am von Nikolas Jaspert geleiteten Bochumer Zentrum für Mittelmeerstudien tätig war (vgl. etwa ZHF 41 (2014), 1-88) und jetzt als dessen Mitarbeiter in Heidelberg an einem wiederum im oströmisch-mediterranen Raum, diesmal aber in der Zeit des Übergangs von der Spätantike zum Frühmittelalter angesiedelten Projekt arbeitet.
Nach nunmehr vier Jahrzehnten Rezensionstätigkeit glaube ich, nicht gerade im Ruf eines Lieferanten lobsäuselnder Gefälligkeitsbesprechungen zu stehen, und darf darum wohl solchen 'Hymnus' anstimmen und tue dies umso lieber, als manch andere mediävistische Dissertation jüngeren Datums mit hohen Theorie- und Turnansprüchen laut tönend daherkam, doch mit ihren sachlichen Fehlern und sprachlichen Defiziten auf eher tönernem Grund errichtet war. Hier sind der - obendrein allesamt marginalen - Errata hingegen so wenige, dass deren Auflistung Quisquilienhuberei wäre; auch einige Versehen im Quellen- und Literaturverzeichnis spielen keine Rolle angesichts einer 80-seitigen Bibliographie raisonnée, die bis hin zu den angeführten Studien über die großen lateinischen Konzilien der Zeit ihresgleichen sucht. Negativ fällt eigentlich nur der - für die Reihe der "Monographien" leider übliche - exorbitante Preis auf, der einer Verbreitung dieses opus magnum außerhalb wissenschaftlicher Bibliotheken enge Grenzen setzen dürfte.
Ebensolche sind umfangsmäßig auch dem Rezensenten gesteckt, sodass im Folgenden nur fragmentarisch auf einiges Wenige aus der dargebotenen Fülle neuer Einblicke und Erkennntnisse hingewiesen werden kann:
1) Wenn die offizielle lateinische Übersetzung von basileus und autokrator, jenen beiden zentralen Begriffen des spätbyzantinischen Kaisertitels, imperator und moderator lautet (656), so umschreibt letzterer, den Wortsinn scheinbar nicht treffender Terminus genau die Tätigkeit Johannes' VIII. in Italien als eines selbst-, d.h. würde- und ehrbewussten Herrschers, der aber mit dem Patriarchen und seiner ganzen Delegation wie auch mit den Lateinern stets im Konsens zu handeln bestrebt war und im Hintergrund pragmatisch und zielbewusst agierte, um - wohlgemerkt ohne Intervention in die eigentlichen Theologica - Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für eine Einigung zu schaffen. Erst die quellenkritischen Analysen des Autors vermögen solche Rolle als moderator freizulegen, der, unionswillig, doch immer die Wahrung der byzantinischen Identität im Blick behielt (286-450, 649-656).
2) Solcher Einigung kamen die wenig festen Strukturen eines Konzils entgegen, das bereits vor Ankunft der Griechen als lateinische (und faktisch fast nur von italienischen Vätern besuchte) Synode am 8.I.1438 eröffnet wurde, weil Papst und Kurie damit sogleich ihre Waffe gegen den Basler Feind schärfen wollten, und das sich dann nach Eintreffen der Byzantiner am 9.IV. als ökumenisches Konzil konstituierte. Doch ungeachtet solcher Proklamation entwickelte sich keine einheitliche Versammlung mit institutioneller Basis, geschweige denn korporativer Identität, vielmehr tagten faktisch zwei Teilsynoden. Solch defizitäre oder zumindest reduzierte Institutionalität erwies sich jedoch im Verlauf der oft krisenhaften Verhandlungen als vorteilhaft, denn sie erst ermöglichte in der Praxis einen weniger formalisierten, flexiblen Dialog in wechselnden personellen Konstellationen (278-282 u.ö.).
3) Damit wäre wiederum eine gemeinsame Veranstaltung der - obendrein durch eine stark hierarchische Tradition geprägten - Ostkirche mit den Baslern von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen, deren institutionalisierter Egalitarismus das denkbar schärfste Kontrastprogramm hierzu darstellte (239). Dies zeigt sich auch an einer elaborierten Geschäftsordnung, die Basler Unterhändler noch 1437 in Konstantinopel dazu trieb, den Basileus zu einer - von ihm als Angriff auf seine Majestät empfundenen - notariellen Protestation zwingen zu wollen (126f.).
4) Entgegen landläufigen Vorstellungen trat Byzanz damals im Westen keineswegs als Bittsteller auf den Plan, der angesichts der Türkennot eine Union um jeden Preis schließen wollte; immerhin waren die Jahre vor 1440 eine der stabilsten Perioden der Palaiologenzeit (166, vgl. 436). Von keiner Seite, ob aristokratischer Elite, Klerus oder Mönchtum, stand eine prinzipielle Ablehnung der Verhandlungen zu erwarten, man wollte indes die lateinischen Positionen auf den Prüfstand stellen und an der eigenen Rechtgläubigkeit messen (93).
5) Doch bildete das Unionsdekret Laetentur coeli vom 6.VII.1439 - Kolditz bietet, aus kaiserlicher Perspektive, eine eindringliche Analyse des Dokuments (369-380) - naturgemäß eher einen Kompromiss: So akzeptierten die Griechen das filioque zwar als rechtgläubig, ohne es aber als verbindlich anzuerkennen; so kam es zu keiner gemeinsamen Messfeier, worin sich jedoch "möglicherweise [...] ein neuartiges Verständnis vom gleichberechtigten Nebeneinander zweier unvermischter Riten in einer Kirchengemeinschaft" manifestierte (568). Und der Kaiser selber sollte später in Konstantinopel an den Konzilsbeschlüssen zwar festhalten, ohne aber auf einer definitiven Umsetzung der Union in seiner Herrschaft zu bestehen (647). Höchst willkommen war der Abschluss dem gastgebenden Florenz, dessen Interesse jedoch vor allem ökonomisch motiviert war. Mit einem Privileg im August 1439 gewährte Johannes VIII. zwar manche Gunst, doch nur mit Venedig schloss man in Konstantinopel Verträge auf Augenhöhe - der Vorsprung der Serenissima erwies sich als uneinholbar (612-622).
6) Für die Griechen selbst war eines gleich, ob in Venedig, ihrem eigentlichen Orientierungspunkt in Italien, oder in Ferrara und Florenz: Sie lebten innerhalb der städtischen Umwelt in mehr oder minder geschlossenen Bezirken, nur dort konnte sich, zentriert auf die Sitze von Kaiser und Patriarch, ihr Hofleben und Kult frei und identitätswahrend entfalten (502-571). Andererseits blieb ihre Präsenz in Italien kein ephemerer Fremdkörper; es sei nur an die sich mit den Namen Bessarion oder Georgios Gemistos Plethon, Georgios Amirutzes und Georgios Kurteses Scholarios, den "Philosophen" des kaiserlichen Gefolges, verbindende "griechisch-lateinische Interkulturalität" (420) erinnert, für die auf lateinischer Seite etwa Ambrogio Traversari steht, der beste Kenner der östlichen Theologie im Westen, der nicht zuletzt aufgrund seiner Erfahrungen in Basel einen Ausgleich mit den Byzantinern befürwortete. Aus der umfänglichen Briefsammlung dieses Generalpriors der Kamaldulenser zeichnet Kolditz ein dichtes Charakterbild von Traversari als Akteur und Beobachter des Konzils (355-369), wie überhaupt die Quellenerschließung und -analyse - ich denke etwa an die kritische Aueinandersetzung mit dem einzigartigen, aber höchst problematischen Konzilsbericht des Großekklesiarchen Syropulos - eine der vielen Stärken des Buchs ausmacht.
Zu ihnen gehört - abschließend sei es zumindest mit Einzelnem belegt - nicht zuletzt besagt breite Kompetenz des Autors auf den unterschiedlichsten Gebieten, ob es nun um die Untersuchung der Einzüge von Kaiser und Patriarch in Venedig, Ferrara und Florenz geht, die ihn als Kenner moderner Zeremonialforschung ausweist (504-526), oder um die Darstellungen Johannes' VIII. etwa auf der Medaille Pisanellos und den Bronzetüren Filaretes im Petersdom, die ihn kunstgeschichtlich versiert zeigen (622-642), oder um die Kenntnis des päpstlichen Finanzwesens der Zeit, das zur Ermittlung der Zahl der Konzilsteilnehmer (208-212) und der Unterhaltskosten für die griechische Delegation (540-558) von Belang ist. Und wenn es dem Verfasser gar noch gelingt, jene Handvoll Griechen aufzuspüren, die als Bedienstete des Markgrafen von Ferrara dem Kaiser während seines Aufenthalts an diesem Konzilsort zur Kontaktpflege und nicht zuletzt bei seinen Jagdaktivitäten zu Diensten gestanden haben dürften (565), dann mag solch kleiner, aber feiner Fund im Staatsarchiv Modena den letzten Beweis erbringen, dass der Verfasser zu den guten Historikern im Sinne von Marc Bloch gehört: "Le bon historien ressemble à l'ogre de la légende. Là où il flaire la chair humaine, il sait que là est son gibier."
Von dieser Arbeit dürfte die einschlägige Spezialforschung zwischen Byzantinistik und Konziliengeschichte ebenso wie die allgemeine Historiografie zum europäischen Spätmittelalter noch lange und vielfältig profitieren. Kolditz: auch er ein Jäger, Riese und Kannibale, mithin ein guter Historiker.
Heribert Müller