Reinhard Markner / Monika Neugebauer-Wölk / Hermann Schüttler (Hgg.): Die Korrespondenz des Illuminatenordens, Band 2: Januar 1782 - Juni 1783, Berlin: De Gruyter 2013, XXXV + 711 S., ISBN 978-3-11-029486-6, EUR 149,95
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Für viele Angehörige der gebildeten Stände im 18. Jahrhundert stellte die Mitgliedschaft in einem Geheimbund eine Verheißung dar, die Hoffnung auf Zugang zu exklusivem, über Jahrhunderte verschüttetem Wissen über Staat und Religion. Die Leitung einer solchen im Verborgenen wirkenden Vereinigung scheint dagegen kein reines Vergnügen gewesen zu sein, erst recht, wenn es sich dabei um die berühmteste Geheimorganisation der Aufklärung, den 1776 in der kurbayerischen Universitätsstadt Ingolstadt ins Leben gerufenen Illuminatenorden handelte. Der Freiherr von Knigge, eine der führenden Gestalten des Bundes, wusste wovon er sprach, als er über die "ungeheure Correspondenz" (230) klagte, die er täglich in Ordensangelegenheiten zu bewältigen habe. 250 Gulden müsse er im Jahr allein auf das Porto verwenden, sein Haus gleiche einem "Post-Comtoir" (212), bis zu 16 Stunden am Tag arbeite er für den Orden. Adam Weishaupt, der eigentliche Ordensgründer, äußerte ähnlich misslaunige Gedanken - und schrieb doch weiter seitenlange Briefe an seine Mitstreiter, zu unermüdlicher Arbeit an den hehren Idealen des Geheimbundes mahnend und immerzu neue Pläne für den Ausbau des Ordens entwerfend.
Ein Großteil dieser Briefwechsel ist mittlerweile verloren. Dennoch füllt, was sich in verstreuten Archiven und Bibliotheken heute noch an illuminatischer Korrespondenz erhalten hat, in einer modernen Ausgabe mehrere dicke Bücher. Der erste Band erschien 2005 und deckte auf knapp 500 Seiten die Zeit von 1776 bis 1781 ab. Acht Jahre und einen Verlagswechsel später (der Auftaktband war noch vor der Übernahme durch de Gruyter bei Niemeyer in Tübingen erschienen [1]), liegt nun der zweite Teil vor, nahezu im Alleingang betreut von Reinhard Markner, dessen Hartnäckigkeit und Findigkeit wir nun eine weitere Schatztruhe an Dokumenten zur Geschichte dieser einzigartigen Vereinigung verdanken. Diesmal nehmen nur noch eineinhalb Jahre über 700 Seiten ein - und das bei einem zwar aufschlussreichen, aber auf das absolute Mindestmaß beschränkten editorischen Kommentar.
In solch exponentiellem Wachstum spiegelt sich die außerordentliche Erfolgsgeschichte des Ordens in den frühen 1780er-Jahren wider. Seinen überschaubaren bayerischen Ursprüngen entwachsen schickte sich der Orden an, neue Filialen im ganzen deutschsprachigen Raum zu errichten und selbst über die Grenzen des Alten Reiches, etwa nach Frankreich oder Polen, auszugreifen. In einer Art Schneeballsystem warb er, getrieben vor allem von Knigge, immer neue Mitglieder an, die sich von der seit längerem in einer Krise befindlichen klassischen Freimaurerei enttäuscht abwandten und auf der Suche nach einer neuen spirituellen Heimat jeder Vereinigung, die unbekannte Einsichten versprach, in die Arme warfen. Unter den Novizen des Ordens befanden sich einige der angesehensten Namen der aufgeklärten Gelehrtenrepublik, was selbst Weishaupt mit ungläubigem Staunen zur Kenntnis nahm. Mit Blick auf Ordensmitglieder wie den viel gelesenen Philosophen Johann Georg Feder, einen der Großintellektuellen des späten 18. Jahrhunderts, schrieb er begeistert und aus einem Gefühl süddeutsch-katholischer Unterlegenheit heraus: "Wer hätte das geglaubt, daß ein Professor in Ephesus [= Ingolstadt] noch der Lehrer der Professoren von Göttingen, und der größten Männer in Deutschland werden sollte!" (129)
Die abgedruckten Briefe sind denn auch voll von Berichten über den personellen und institutionellen Ausbau des Ordens. Ausführlich werden die persönlichen Eigenschaften von Kandidaten oder neu angeworbenen Mitgliedern geschildert und Maßnahmen zur Bildung des Einzelnen im Sinne der Ordensziele diskutiert. Menschenkunde und Charakterformung waren zweifellos eine der Obsessionen Weishaupts und seiner Kollegen, eine Obsession, die aus Sicht zeitgenössischer Kritiker und vieler Historiker freilich sektenähnliche Züge annahm. Daneben finden sich Pläne und Vorschläge für die organisatorische Gliederung des Ordens. Interne Hierarchien werden entworfen, Provinzgrenzen abgesteckt und neu zugeschnitten, Ämter verliehen, umbesetzt und wieder zur Disposition gestellt. Die Struktur des Ordens entwickelte sich in dem Maße, in dem er expandierte. Ein "master plan" existierte nicht, man passte das Ordensgebäude den sich verändernden Umständen immer wieder neu an.
Dies galt auch für die intellektuelle Ausgestaltung des Ordens, das System der aufeinander aufbauenden, immer tiefere Einsichten in das Getriebe der Welt versprechenden Grade, die jedes Mitglied absolvieren musste, wollte es im Orden "aufsteigen". Die zum Teil hitzigen Diskussionen um die inhaltliche Füllung dieser Grade zwischen Weishaupt, Knigge, dem Wetzlarer Reichskammergerichtsassessor Ditfurth, dem Heidelberger Kirchenrat Johann Friedrich Mieg und einer Reihe weiterer Illuminaten in Eichstätt, München, Hannover und Göttingen nehmen einen Großteil des zweiten Bandes ein und machen zugleich den besonderen Wert der Edition aus.
Die Fülle des von Markner neu aufgefundenen oder aus verstreuten Publikationsorten erstmals im Zusammenhang präsentierten Materials lässt erkennen, welches Ausmaß und welche Intensität die ordensinterne Diskussion annahm. Vor dem Auge des zunehmend gefesselteren Lesers brechen an dem Grad des "Illuminatus dirigens" und später an den Priester- und Regentengraden, den ersten Stufen der höheren, sogenannten Mysterienklasse, fundamentale Unterschiede in der Frage auf, wie fortschrittlich der Orden eigentlich sein dürfe. Gemäßigten Kräften, etwa den einer kirchlich-katholischen Aufklärung nahe stehenden Eichstätter Illuminaten, aber auch protestantischen Aufklärern, wie dem bereits genannten Göttinger Feder oder dem hannoverschen Konsistorialrat Falcke, gehen manche Aussagen über die christliche Religion zu weit. Andere Teilnehmer an der Debatte verschieben die Grenzen des Sagbaren dagegen weiter in Richtung deistischer oder naturreligiöser Vorstellungen. Während dessen geht Weishaupt bereits daran, die höheren, an materialistischer Philosophie geschulten Mysteriengrade auszuarbeiten und Anfang 1783 einigen wenigen Vertrauten bekannt zu machen. Sie sollen die Krönung seines Lebenswerks darstellen. Mit ihnen will er sich, wie Monika Neugebauer-Wölk in ihrer prägnanten Einleitung betont, "an die Spitze des Denkens seiner Zeit stellen" (XXIV), was 1784/85 zu weiteren ordensinternen Diskussionen führen sollte.
Überlagert werden diese Kontroversen von Frontverläufen in anderen Fragen. Wie solle man es etwa mit der nach dem Wilhelmsbader Krisenkonvent (1782) weiterhin angeschlagenen Freimaurerei halten? Wiederum prallen unterschiedliche Vorstellungen aufeinander, ist in den Briefen von der Annahme einer englischen Konstitution, der Gründung des Eklektischen Bundes, einer Annäherung an eine der schillerndsten Figuren der maurerischen Szene jener Jahre, Johann August Starck, und schließlich einer Zusammenarbeit mit der Strikten Observanz unter Führung des Prinzen Carl von Hessen und des Herzogs Ferdinand von Braunschweig die Rede. Als Knigge und der neu am illuminatischen Firmament auftauchende Schriftsteller und Verleger Johann Joachim Bode im Frühjahr 1783 das Bündnis mit den beiden Fürsten ohne Wissen der anderen Ordensoberen eingehen, bricht der Geheimbund über dieser Eigenmächtigkeit fast auseinander.
In letzter Minute wird Knigges und Bodes "fait accompli", mit dem plötzlich ein größerer Einfluss der Fürsten innerhalb des Ordens, ein "Prinzensystem" (540) droht, in einer Ende April 1783 kurzfristig einberufenen Sitzung der Münchner Illuminaten mit Weishaupt akzeptiert. Die bereits seit längerem schwelenden persönlichen Konflikte zwischen Weishaupt und einigen seiner engsten Weggefährten, allen voran Knigge, finden bei dieser Gelegenheit ebenfalls eine Lösung. Der Geheimbund entmachtet die querulantische Gründergestalt, deren Stimme auf den letzten hundert Seiten des Bandes bezeichnenderweise kaum noch zu vernehmen ist, gibt sich eine föderale Verfassung und überlebt so seine bislang größte Krise.
All dies ist - und das ist vielleicht die größte Überraschung des Bandes - spannend zu lesen. Wer sich durch die ersten hundert Seiten gekämpft und allmählich eine gewisse Vertrautheit mit den verschiedenen Themensträngen und den unter Decknamen verborgenen handelnden Figuren erworben hat, folgt dem Geschehen mit wachsendem Interesse. Er nimmt teil an einer aufregenden, von katholischen wie protestantischen Aufklärern in seltener Weise auf Augenhöhe geführten Selbstverständigung über die Ziele und Strategien der deutschen Aufklärung, in die sich immer wieder persönliche Rivalitäten mischen. Es ist zu hoffen, dass die Fortsetzung dieser vielstimmigen Konversation in den Jahren bis 1785, als sich die - intellektuellen wie persönlichen - Gegensätze nicht mehr ausgleichen ließen, in absehbarer Zeit ebenfalls gedruckt vorliegen wird. Dann hätte sich die tägliche Fron Knigges und seiner Mitstreiter am Schreibpult gelohnt.
Anmerkung:
[1] Vgl. hierzu meine Rezension, in: sehepunkte 7 (2007) Nr. 9; URL: http://www.sehepunkte.de/2007/09/9149.html
Michael Schaich