Marian Füssel / Michael Sikora (Hgg.): Kulturgeschichte der Schlacht (= Krieg in der Geschichte (KRiG); Bd. 78), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2014, 277 S., ISBN 978-3-506-77736-2, EUR 34,90
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Mit recht ehrlichen Worten beginnen die Herausgeber des Bandes, Marian Füssel und Michael Sikora, ihr Vorwort. Wie ein "Wagnis" (9) sei das Konzept der Tagung zunächst erschienen, das den kulturgeschichtlichen Zugang mit dem gewalttätigsten Moment des Krieges, der Schlacht, zusammenführen sollte. Die Kulturgeschichte des Krieges hat sich zwar schon seit längerem in der Forschung etabliert, aber die ausdrückliche Fokussierung auf diese "Kumulation physischer Gewalt" (17) ist eher ungewöhnlich. Doch die Veranstaltung im November 2009 scheint ein Erfolg gewesen zu sein und nun ist, mit einiger Verspätung, der Tagungsband erschienen. Und auch dieser ist ein Erfolg.
Die Beschäftigung mit dem Themenkomplex 'Schlacht' ist in der deutschen Forschung weiterhin selten. Entsprechend wertvoll ist die Einführung der beiden Herausgeber, die das Konzept einer Schlachtengeschichte als Kulturgeschichte erläutert. Der Untersuchungsgegenstand wird dabei so weit definiert, dass sowohl klassische Feldschlachten als auch die Operationen der Weltkriege eingeschlossen werden können (14). Die Abgrenzung zur alten Generalstabshistoriographie mit der Perspektive des Feldherrenhügels wird deutlich betont und findet sich später nochmals in einigen der Beiträge. Nicht die Rekonstruktion des Geschehens sei das Ziel, sondern die Ergründung der kulturellen Bedingtheit seiner Wahrnehmung (22). Auch die Rekonstruktion selbst, durch wen und wann auch immer diese erfolgt, stehe dann im Mittelpunkt der Betrachtung. Besonders erfolgversprechend seien dabei interdisziplinäre Ansätze und eine globale Vergleichsperspektive (24f.). Genau daran mangelt es dem Band aber leider. Einige Vorträge der Tagung haben es nicht in das Buch geschafft. Durch den Wegfall der Vertreter der Kunstgeschichte und der Musikwissenschaften geht die Interdisziplinarität größtenteils verloren. Das Ausfallen weiterer Vortragsthemen verstärkt zudem die ohnehin deutliche geographische Fixierung auf Europa. Diese Umstände sind weder dem Band noch seinen Herausgebern anzulasten, sie sind jedoch bedauerlich, da er ansonsten den Ansprüchen des Tagungskonzeptes noch besser hätte gerecht werden können.
Die Antike wird nur durch den Beitrag von Sven Günther repräsentiert. Dieser fokussiert sich - anders als der Großteil der übrigen Aufsätze - nicht auf ein einziges Ereignis, sondern betrachtet ein bestimmtes Element, die Nacht, als Faktor in antiken, hauptsächlich römischen Schlachtschilderungen. Er kann zeigen, dass dieser Faktor eine ganz unterschiedliche Rolle in den Darstellungen spielt, je nachdem um welche Art von Werk es sich handelt. Während die Nacht von Militärschriftstellern lediglich als ein taktisches und strategisches Element (Überraschungsmoment, schlechte Sicht, schnellere Ermüdung der Kämpfer, usw.) betrachtet wurde, hat sie in der Historiographie eine stärker moralische Komponente und wird mit Hinterlist und Barbarentum assoziiert und entsprechend instrumentalisiert (51f.).
Gleich drei Beiträge widmen sich dem Mittelalter. Das ist überraschend, zumal die Schlachten dieser Epoche in den letzten Jahrzehnten eher selten von der Forschung betrachtet wurden. Allerdings hat gerade die für althergebrachte Rekonstruktionsversuche meist ungünstige Quellenlage hier die kulturgeschichtliche Betrachtungsweise begünstigt. [1] Martin Clauss betont in seinem Beitrag, dass es sich bei den Schlachtschilderungen der Historiographie nicht um Berichte, sondern um Erzählungen handele. Statt um eine realistische Schilderung des Geschehens gehe es diesen vielmehr um die Schilderung einzelner Heldentaten (61). Dies macht Clauss anschließend am Beispiel der Schlacht von Fontenoy im Jahr 841 deutlich, indem er die Schilderungen zweier Augenzeugen gegenüberstellt. Während die Quelle aus den Reihen der Unterlegenen die Gewalt als sinnloses Gemetzel deutet, wird sie von Seiten der Sieger als gottgefällig dargestellt. Bei der Beschreibung des Geschehens selbst widersprechen sich beide Texte sogar, was nochmals belegt, dass es sich hier nicht um wahrheitsgetreue Berichte handelt.
Diese Elemente finden sich auch in den beiden folgenden Beiträgen. Andreas Remy betrachtet, wie die Eidgenossen ihren Sieg über ein habsburgisches Heer bei Sempach 1386 im Laufe der Zeit darstellten. Während der Ausgang der Schlacht zunächst noch recht unerklärlich erschienen war, wurde er im Laufe des 15. Jahrhunderts, dank des gestiegenen Selbstbewusstseins, mit der eigenen militärischen Leistungsfähigkeit begründet. Die Schilderungen wurden dadurch auch zunehmend ausführlicher, wobei es sich jedoch um ein Hinzufügen neuer Episoden und Topoi gehandelt habe, die über das tatsächliche Geschehen wenig aussagten (91). Die Darstellung von Gewalt, nämlich den Tod des Ritters, untersucht anschließend Stefanie Rüther am Beispiel der Schlachten von Reutlingen 1377 und Tannenberg 1410. Sie kommt jedoch zu dem Schluss, dass das eigentliche Sterben relativ knapp und stereotyp beschrieben wird. Für die nachträgliche Ordnung des Geschehens durch die Autoren sei weniger die Art und Weise des Todes entscheidend als vielmehr der soziale Rang der Getöteten (114f.).
Dass die Ausrichtungen des kulturgeschichtlichen Blickwinkels durchaus variieren, zeigt ein Vergleich zweier Beiträge zur Frühen Neuzeit. Reinhard Baumann liefert eine recht genaue Beschreibung der Schlacht von Bicocca 1522 und geht dabei im Speziellen auf die Darstellung des Geschehens im Versepos des Landsknechts und Teilnehmers Oswald Fragenstainer ein. Thomas Weißbrich hingegen betrachtet die Schlacht von Höchstädt 1704 in Bezug auf die zeitgenössische Verarbeitung und Deutung in verschiedenen Medien, wobei das Geschehen selbst kaum eine Rolle spielt. Das Potenzial der zuvor angesprochenen globalen Perspektive kann Claudia Schmitz demonstrieren, die sich der Gewaltdarstellung in Quellen zum Inka-Staat widmet. Sie zeigt, dass sich in diesen sowohl Schilderungen von produktiver Friedfertigkeit als auch von destruktiver Gewalt finden, wobei beides symbolische Bedeutung für Herrschaftsansprüche hatte. Die Spanier hingegen empfanden dies als unvereinbare Gegensätze (137). Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen zu den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Francisco Pizarro und den Inka. Hier wird ersichtlich, wie die gegenseitige Unkenntnis und Fehlinterpretation der jeweils anderen kulturellen Praxis zur Eskalation der Gewalt führte.
Mit dem Beitrag von Tobias Arand und Christian Bunnenberg enden die Überlegungen zu den "klassischen" Feldschlachten, die nur selten die Dauer eines Tages überschritten. Sie werfen einen aufschlussreichen Blick auf die Erinnerung an die Schlacht bei Wörth zu Beginn des Deutsch-Französischen Krieges. [2] Der Bogen wird dabei von den ersten Nachrichten am Abend der Schlacht bis zum heutigen Tag gespannt. Bezüglich der Gewalt können sie deutlich machen, wie die drastischen Auswirkungen der Gewalt der Kampfhandlungen, welche von ersten Besuchern des Schlachtfeldes noch beschrieben worden war, im späteren Gedenken während des Kaiserreiches verharmlost und heroisiert wurden.
Die letzten drei Beiträge konzentrieren sich nicht mehr hauptsächlich auf die nachträgliche Wahrnehmung der Schlachten, sondern vor allem auf die Wahrnehmung der Akteure selbst. Thema sind nun Kampfhandlungen, die sich über Monate (Christoph Nübel zur deutschen Frühjahrsoffensive 1918 und Peter Lieb zur Normandieschlacht 1944) bzw. Jahre (Lutz Musner zu den Isonzo-Schlachten 1915-1917) hinzogen. In allen drei Beiträgen spielt die Wahrnehmung des Raumes, also des Schlachtfelds, und des Materials, insbesondere der Waffen, eine große Rolle. Natürlich stehen - gerade im Fall der Weltkriege - solchen kulturgeschichtlichen Betrachtungen eine Vielzahl an Publikationen mit operationsgeschichtlichem oder technischem Fokus gegenüber. Im Gegensatz zu diesen kann die Kulturgeschichte der menschlichen Komponente der Gewalt jedoch wesentlich näher kommen. Entsprechend fordert auch Lutz Musner, die Logik des Krieges von den Menschen und nicht von den Waffen her zu denken (221). Christoph Nübel betont, wie viele der anderen Autoren auch, die Unmöglichkeit, die vielen Gleichzeitigkeiten der Schlacht angemessen zu beschreiben. Er plädiert stattdessen für eine perspektivische Historiographie, die sich auf für die jeweilige Leitfrage entscheidende Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsebenen konzentrieren solle (257).
Das große Interesse, auf das die Tagung gestoßen ist, lässt vermuten, dass auch in der deutschen Forschung wesentlich mehr Bereitschaft vorhanden ist, sich erneut mit dem jahrzehntelang vernachlässigten Themenfeld der Schlacht zu befassen, als die Publikationslisten vermuten lassen. Der vorliegende Band liefert eine Menge guter Impulse, diese Scheu abzulegen. Viele der Beiträge enthalten neben den konkreten Fallbeispielen auch sehr hilfreiche grundlegende Überlegungen zur Kulturgeschichte der Schlacht. Alle zeigen zudem, dass dieser Zugang einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von organisierter Gewalt und deren Wahrnehmung liefern kann. Es bleibt zu hoffen, dass diesem guten Beispiel weitere Forschungen folgen werden. So ließe sich die längst überwundene Generalstabshistoriographie endgültig zu den Akten legen.
Anmerkungen:
[1] Aus der gleichen Reihe wie der Tagungsband sind hier zu nennen: Martin Clauss: Kriegsniederlagen im Mittelalter. Darstellung - Deutung - Bewältigung (= Krieg in der Geschichte; Bd. 54), Paderborn u.a. 2010; Malte Prietzel: Kriegführung im Mittelalter. Handlungen, Erinnerungen, Bedeutungen (= Krieg in der Geschichte; Bd. 32), Paderborn u.a. 2006. Demnächst erscheint zudem: Christine Grieb: Schlachtenschilderungen in Historiographie und Literatur (1150-1230) (= Krieg in der Geschichte; Bd. 87), Paderborn u.a. 2015.
[2] Siehe dazu auch: Tobias Arand / Christian Bunnenberg (Hgg.): Das Schlachtfeld von Wörth. Geschichtsort, Erinnerungsort, Lernort (= Geschichtskultur und Krieg; Bd. 3), Münster 2012.
Fabian Fellersmann