Paul Tombeur (Bearb.): Gisleberti Trudonensis: Gesta Abbatum Trudonensium VIII-XIII. Liber IX opus intextum Rodulfi Trudonensis (= Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis; 257 A), Turnhout: Brepols 2013, XXXI + 173 S., ISBN 978-2-503-55216-3, EUR 125,00
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Das Kloster Saint-Trond in der Diözese Lüttich geriet um 1100 wie viele andere geistliche Institutionen auch unter den Einfluss der Kirchenreform. Anders als sonst sind wir hier allerdings bestens über den Kontext und den Ablauf dieser Neuorganisation unterrichtet, da uns ein Tatenbericht der Äbte erhalten ist. Dieser wurde in seinem ersten Teil (Bücher I - VII) um 1114 von Abt Radulfus (1108-1138) verfasst. Für den zweiten Teil, der um 1136 aufgeschrieben worden sein dürfte, konnte Paul Tombeur bereits 1967 den custos Giselbert als Autor wahrscheinlich machen. Im Jahr 2013 nun konnte Tombeur die kommentierte kritische Neuedition beider Teile vorlegen [1]. Diese Ausgabe ersetzt die der Monumenta Germaniae Historica von 1852 [2]. Eine Übersetzung in eine moderne Sprache scheint es nicht zu geben.
Die Überlieferung geht auf die Handschrift Maurits Sabbebibliotheek, Faculteit Theologie en Religiewetenschappen, KU Leuven, Collectie Mechelen, codex 4 aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts zurück, die noch andere Schriften aus Saint-Trond enthält. Einige wenige Abschriften tragen nur wenig zur Textkonstitution bei. Die Bücher VIII bis XIII, die auf Giselbert zurückgehen, fallen durch oft ungelenkes Latein auf. Die Zahl der Anklänge an andere Werke ist nicht niedrig, beschränkt sich aber auf Schulklassiker und die lokale Hagiographie sowie monastische Gebrauchstexte. Gewöhnungsbedürftig ist die Entscheidung des Editors, nachgestelltes -que als eigenes Wort zu drucken. Dies wird allerdings überzeugend damit begründet, dass dies in der Handschrift durchgängig der Fall sei und obendrein ein Spezifikum des Skriptoriums von Saint-Trond darstelle.
Angesichts der lokalen Bedeutung des Klosters und vor allem dieser Schrift ist keine weite Verbreitung zu erwarten. Held der Darstellung ist eindeutig Abt Radulfus, der auch für die ersten sieben Bücher als Autor verantwortlich ist. Die Gesta erwähnen weitere Werke des Radulfus, die in einem uns heute nicht mehr erhaltenen Codex versammelt seien (VIII,1, XI,6). Da sein Tod im Jahre 1138 nicht erwähnt wird und ein Teilinsert einer Urkunde von 1136 datiert, ist der Entstehungszeitraum eindeutig zu erschließen. Paul Tombeur charakterisiert die Gesta in ihrem zweiten Teil sehr treffend als "journal à quatre mains" (XIX), das sicher nicht ohne Wissen und gegebenenfalls Steuerung durch Radulfus konzipiert wurde. Nach Angabe der hier unter Umständen topischen Gesta war er von niederer Herkunft, sprach eine wallonische Sprachform, wirkte dann aber dennoch erfolgreich als Lehrer deutschsprachiger Schüler ohne Lateinkenntnisse (VIII,4). Besonders hervorgehoben werden seine Neigung zur Musik und sein eigener Gesangstil.
Inhaltlich enthalten die Gesta eine solche Fülle an Details über den konkreten Ablauf einer Reform, über Klosterorganisation, über die Kölner und Lütticher Stadtgeschichte, über Ernährung, aber auch über Konflikte im Kloster und zwischen Innenwelt und Außenwelt, dass der Quelle die breiteste Rezeption zu wünschen ist. Auf diese Weise könnten viele zu geradlinige Narrative nuanciert werden. So wird beispielsweise unterstrichen, dass der Aufenthalt von Mönchen aus anderen Klöstern zu Disziplinschwierigkeiten führen kann, etwa bei der Kleiderordnung bis hin zum gegenseitigen Diebstahl von Obergewändern bei schlafenden Mitbrüdern (VIII,9). Prozessionen und festliche Mähler bergen ebenfalls ein gefährliches Potential, da bei diesen Anlässen eine massive Präsenz von außen die Gelegenheit zur Einwirkung mit sich bringt. Rituale werden unterlaufen, die wirtschaftliche Basis des Klosters gerät durch gierige Gäste in Gefahr (VIII,11f.). Die Einführung der Bräuche von Cluny in Saint-Trond ist einerseits auf den 1. März 1107 datierbar, andererseits ändert sich nicht die gesamte Klosterorganisation an diesem einen Tag.
Buch IX unterscheidet sich von den anderen Abschnitten, da es sich hierbei um einen inserierten Brief Radulfs selbst an den Bischof Stephan von Metz von 1136 handelt, in dem er sein Wirken in ökonomischer Hinsicht aufschlüsselt. Sehr viel detaillierter als etwa bei Abt Suger von Saint-Denis in dem fast zeitgleichen Traktat De administratione wird hier nicht nur die Einnahmenseite, sondern auch die Kalkulation der Ausgaben offengelegt. Auffallend ist, dass Streitigkeiten in nicht wenigen Fällen vor den Papst oder vor Kaiser Heinrich V. gebracht werden, so dass die Gesta auch reichsgeschichtlich von Relevanz sind und das ausgesprochen negative Bild dieses Herrschers in der mittelalterlichen Historiographie auf diese Weise bemerkenswerte Schattierungen erhält. Der Kontext des Investiturstreits und seiner Eskalation bis zum pravilegium wird kenntnisreich, aber vergröbernd referiert (XI,1f.). Nicht nur das Erreichte, sondern auch das Geplante wird erwähnt, beispielsweise Anniversarstiftungen noch lebender Personen, die erst nach deren Ableben wirksam werden (z.B. IX,31). Für einen solchen Tatenbericht besonders auffallend ist die lange Liste der Besitztümer, um die weiterhin Streit geführt wird. Radulfus zeigt sich in Buch IX und auch in der Darstellung des Giselbert als erfolgreicher Reformator und Organisator, aber er hinterlässt kein abgeschlossenes Werk.
Saint-Trond war nicht nur ein Kloster im Umfeld des Siegburger Reformkreises, sondern auch eine Institution mit zahlreichen Rechten und Besitzungen. Ein Leitmotiv der Darstellung sind die endlosen Querelen mit dem Vogt Giselbert und die Schwierigkeiten mit einem der Simonie verdächtigen Kandidaten auf den Lütticher Bischofsstuhl. Eine Exkommunikation folgt der anderen, so dass es mehrfach darum geht, mit wem überhaupt noch Umgang gepflegt werden darf. Als ein Exkommunizierter an einem Altar von Saint-Trond eine Messe liest, wird dieser Altar bis auf weiteres stillgelegt. Mehr als einmal gerät das Kloster durch diese Umstände in eine ökonomische Schieflage, und mehrfach wurden die Konventsgebäude bei gewaltsamen Konflikten niedergebrannt. Baumaßnahmen sind daher ein weiterer wesentlicher Inhalt der Gesta. Ausgesprochen bildhaft werden Um- und Neubauten beschrieben. Das Krankenzimmer, so heißt es, habe zuvor eher einer Gefängniszelle geglichen, nun habe es Tageslicht, zwei abgetrennte Bereiche für Schwerkranke und einen Blick in den Garten (X,13). Ein Wohnhaus in Lüttich wird aufwendig renoviert, die Wände verputzt, eine Küche eingebaut, und fortan wacht ein Hausmeister mietfrei darüber, dass das Haus in gutem Zustand bleibt (IX,27).
Der Ruhm des Abtes Radulfus verbreitete sich nach Ausweis der Gesta in der Kölner Kirchenprovinz; kurzzeitig war er auch Abt von St. Pantaleon, kehrte dann aber wieder nach Saint-Trond zurück. Dies war nicht die einzige Abwesenheit des Abtes. Gemeinsam mit dem vor den Papst zitierten Bischof von Lüttich überquerte er die Alpen. Die Darstellung des Übergangs am Großen Sankt Bernhard Anfang Januar 1129 gerät ungemein plastisch (XII,6). Während einer Fischmahlzeit mit seinen Brüdern erleidet Radulfus augenscheinlich einen Schlaganfall, dessen Symptome genau beschrieben werden (XII,9). Gegen Ende der Gesta finden sich Nachträge speziell zur Lebensmittelversorgung der Brüder (XIII,4-6).
Es kann hier nur angedeutet werden, welche Fundgrube die Gesta darstellen. Die manchmal unklare Sprache wird durch den sorgfältigen Stellenkommentar (93-129) erhellt, die Namen (138-148) und Orte (149-172) identifiziert. Auch ohne Übersetzung: Diese Quelle sollte man gelesen haben!
Anmerkungen:
[1] Der erste Band wurde in den sehepunkten nicht besprochen: Paul Tombeur (ed.): Rodulfus Trudonensis, Gesta abbatum Trudonensium I - VII. Accedunt epistulae (= Corpus Christianorum. Continuatio Mediaeualis; CCLVII), Turnhout: Brepols Publishers 2013, LXVIII + 242 S., ISBN 978-2-503-54534-9, EUR 160,00.
[2] Rudolf Köpke (ed.): Gesta abbatum Trudonensium, MGH SS 10, Hannover 1852, 213-448.
Julian Führer