Michael Kennedy / Art Magennis: Ireland, the United Nations and the Congo. A military and diplomatic history, 1960-1961, Dublin: Four Courts Press 2014, 271 S., 32 s/w-Abb., ISBN 978-1-8468-2523-1, EUR 40,50
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Wenn dramatische Ereignisse von Augenzeugen erzählt werden, ist das fast immer spannend. Ireland, the United Nations and the Congo. A military and diplomatic history, 1960-1961 von Michael Kennedy und Art Magennis ist so ein spannendes Buch. Glücklicherweise geht es aber über eine reine Nacherzählung hinaus und versucht die Erlebnisse der Beteiligten konsequent analytisch in ihren historischen Kontext zu setzen. Damit hebt es sich aus der Reihe von Arbeiten heraus, die sich bisher aus Sicht der Beteiligten mit dem Einsatz der UN in der Kongokrise beschäftigten.
Der Kongo (heute DRC) erlebte im Sommer 1960 unmittelbar nach seiner Unabhängigkeit von belgischer Kolonialherrschaft eine politische, wirtschaftliche und humanitäre Krise. Zugleich weckte sein immenser Rohstoffreichtum einerseits international Begehrlichkeiten, andererseits befürchteten Zeitgenossen die heiße Eskalation des Kalten Krieges, weil der Kongo als Schlüssel zum afrikanischen Kontinent galt. Die UN-Friedensmission ONUC, wenige Wochen nach der kongolesischen Unabhängigkeit eingesetzt, sollte helfen, interne Probleme zu lösen und die Gefahr unilateraler Interventionen einzudämmen.
Bei dieser Entscheidung zum Einsatz im Kongo spielte für die Vereinten Nationen mit Dag Hammarskjöld als Generalsekretär an ihrer Spitze die Chance der eigenen Profilierung als unabhängiger Akteur internationaler Politik eine zentrale Rolle. Allem anfänglichen Optimismus zum Trotz führte das Zusammenspiel internationaler und lokaler Machtinteressen auf der Höhe des Kalten Krieges und der Dekolonisierungsprozesse auf dem afrikanischen Kontinent zu einem hochkomplexen und lang andauernden Konflikt, dessen Dynamik auch die Vereinten Nationen nicht unberührt ließ. Spätestens ab 1961 befanden sich die ONUC-Soldaten nicht mehr in einer Friedensmission, sondern in einem Kriegseinsatz.
Chronologisch folgt das Buch den Soldaten der drei irischen Militärbataillone in ihre Einsätze vom Sommer 1960 bis Anfang 1962 im Zentrum der militärischen Eskalation, der separatistischen Provinz Katanga. Die Autoren konzentrieren sich vor allem auf die Ereignisse in diesem Konfliktherd und befassen sich besonders ausführlich mit den Kampfhandlungen im Rahmen der UN-Operationen "Rumpunch" and "Morthor" 1961.
Das Buch ist das in weiten Teilen gelungene Ergebnis der Zusammenarbeit eines Wissenschaftlers und eines ONUC-Veteranen. Michael Kennedy ist Herausgeber der Royal Irish Academy's Documents on Irish Foreign Policy und außerordentlicher Professor für Geschichte am University College Dublin; Art Magennis gehörte den irischen Streitkräften von 1940 und 1979 an und nahm mit dem 35. Bataillon der irischen Streitkräfte an zwei Einsätzen im Kongo teil. Der Ausgangspunkt des Buches sind die Zeitzeugenberichte von irischen ONUC-Veteranen wie Magennis, die auf der Grundlage von Quellen aus irischen, britischen, US-amerikanischen und UN-Archiven in New York und Stockholm überzeugend in einen größeren historischen Kontext eingeordnet werden.
Damit informiert Ireland, the United Nations and the Congo anschaulich über die Einsatzerfahrungen der irischen Soldaten und liefert einige neue Aspekte für die noch recht lückenhafte Forschung zur UN-Intervention im Kongo in den 1960er Jahren. Gerade dass hier die Perspektive der unmittelbar Beteiligten wissenschaftlich aufbereitet präsentiert wird, ist selten und wertvoll. Die publizierten Schilderungen von Augenzeugen zeichneten sich bisher meist eher durch eine starke emotionale Aufladung aus. In der Wissenschaft wurde das Hauptaugenmerk auf die internationale Dimension der Kongokrise selbst gelegt und ihre Bedeutung als heiße Krise im Kalten Krieg überbetont. Auch die ausführliche politikwissenschaftliche Literatur zur militärischen UN-Friedensarbeit legt den Fokus in aller Regel auf die Ereignissen in New York, während das Thema der Vereinten Nationen im Kongo der 1960er Jahre in der Geschichtswissenschaft überhaupt noch wenig berücksichtigt worden ist.
Es sind vor allem drei Aspekte im Hinblick auf ONUC im Kongo, die die Autoren herausheben und denen sie eine wesentliche Verantwortung für den Verlauf der UN-Mission zuschreiben: Die Ausbildung und Arbeitsbedingungen der Soldaten, die Auswahl der lokalen UN-Entscheidungsträger sowie die Distanz zwischen dem Kongo und der Leitung im UN-Sekretariat in New York.
Das zentralafrikanische Einsatzland im Bürgerkrieg konfrontierte die Einsatzkräfte mit zahlreichen Schwierigkeiten. Die Soldaten waren für die Rolle als UN-Blauhelme jedoch auch oft falsch ausgebildet, schlecht ausgerüstet und litten unter Fehlern der Einsatzleitung. Die Schilderungen des Augenzeugen Magennis sind hier besonders anschaulich.
In einem Einsatz, der in einem derart großen Maß von Improvisation lebte, kam den UN-Entscheidungsträgern besondere Bedeutung zu. Die Unerfahrenheit mit dem Instrument der militärischen UN-Friedensmission und die sich schnell wandelnde, hochkomplexe Situation im Kongo zwangen die Einsatzkräfte vor Ort immer wieder zu eigenmächtigem Handeln. Das hatte wesentlichen Anteil an dem, von den Autoren herausgestellten, dritten Punkt: Der nicht nur geographischen Entfernung zwischen der harten Realität im Kongo und den "lofty ideals of the airconditioned UN Secretariat in New York" (218). Dem für die Operationsleitung zuständige New Yorker UN-Personal fehlte das Wissen über die lokalen Verhältnisse, und als ONUC zu einem Kriegseinsatz in Katanaga eskalierte, mangelte es an dem notwendigen militärischen Verständnis, um diese heikle Mission adäquat zu leiten.
Während sich die Kongokrise weiter zuspitzte, sah es die UN-Leitung außerdem als ihre immer wichtiger werdende Aufgabe an, die Organisation in einem als höchst kritisch wahrgenommenen Moment ihrer Geschichte vor den Konsequenzen dieser Eskalation zu schützen. Wie die Verantwortung für Misserfolge vor der Öffentlichkeit daher vor allem den lokalen Einsatzkräften angelastet wurde, zeigt der prominente Fall von Conor Cruise O'Brien. Der irische Einsatzleiter im Kongo wehrte sich Zeit seines Lebens massiv gegen die Vorwürfe der UN-Führung, die ihn für die Misserfolge und militärische Eskalation im Einsatz in Katanga 1961 verantwortlich machte. Auf Grundlage ihres Quellenstudiums kommen die Autoren zu einem ausgewogeneren Ergebnis, das durchaus eine wesentliche Verantwortung bei O'Brien verortet. Doch so völlig unwissend und ohne Möglichkeit zum Eingreifen, wie öffentlich dargestellt, kann die UN-Führung in New York auch nicht gewesen sein, argumentieren Kennedy und Magennis plausibel. Die internationale Kritik am Einsatz machte es der UN-Führung jedoch politisch unmöglich, für Misserfolge auch nur eine Teilverantwortung zu übernehmen.
Das Buch beschränkt sich auf die irische Perspektive, was eine Stärke der stringent erzählten Darstellung ausmacht. Viele Aspekte der Erfahrungen der irischen Soldaten lassen sich jedoch auch durchaus für andere Truppenkontingente verallgemeinern. Ireland, the United Nations and the Congo zeichnet so angenehm unaufgeregt ein anschauliches Bild von der komplexen Situation im Kongo der 1960er Jahre und liefert interessante neue Perspektiven, die unser Verständnis dieser Mission und der Vereinten Nationen zu diesem Zeitpunkt bereichern. Die Schilderungen der Augenzeugen werden analytisch beleuchtet und die geschilderten Ereignisse quellenbasiert in ihren historischen Kontext gesetzt. Dieses Buch sei allen Interessierten an diesem Kapitel der UN-Geschichte empfohlen und darüber hinaus all jenen ans Herz gelegt, die spannende, geschichtswissenschaftlich fundierte Geschichten schätzen.
Katrin Armborst