Ralf Blank: Ruhrschlacht. Das Ruhrgebiet im Kriegsjahr 1943, 2. Auflage, Essen: Klartext 2013, 350 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-8375-0078-3, EUR 24,95
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Am 21. Januar 1943 einigten sich die Alliierten auf ein gemeinsames Konzept zur Intensivierung des strategischen Bombenkriegs gegen Deutschland, die so genannte "Casablanca-Direktive". Die neue, verschärfte Phase des Luftkriegs fand ihren ersten sichtbaren Ausdruck in der Luftoffensive gegen das Ruhrgebiet, der "Ruhrschlacht", die in der Nacht vom 5./6. März 1943 mit einem schweren Luftangriff auf Essen begann und in der Nacht vom 29./30. Mai 1943 einen grausigen Höhepunkt erreichte: Beim Bombenangriff auf Wuppertal wurde zum ersten Mal im Zweiten Weltkrieg ein "Feuersturm" entfacht, der innerhalb weniger Stunden 3.400 Menschenleben auslöschte. Die "Ruhrschlacht" ging in der Nacht vom 25./26. Juli 1943 mit einem weiteren Luftangriff auf Essen zu Ende. Zu dieser Zeit hatte bereits eine neue, noch verlustreichere Phase des Bombenkriegs begonnen: die Operation "Gomorrha", bei der innerhalb weniger Tage etwa 40.000 Einwohner Hamburgs starben.
Ralf Blank, selbst im Ruhrgebiet geboren und ausgewiesener Experte für die Geschichte dieser Region, legt mit der hier zu besprechenden Studie einen umfassenden Gesamtüberblick über die Kriegsereignisse im Ruhrgebiet während der "Ruhrschlacht" vor, der sich weitgehend durch Sachlichkeit und Nüchternheit auszeichnet. Dabei berücksichtigt er sowohl militärische und wirtschaftliche als auch politische und gesellschaftliche Aspekte, also keineswegs nur die Luftkriegshandlungen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Auswirkungen der alliierten Bombenangriffe auf die Kriegsmoral im Ruhrgebiet.
Mit ihrer Fragestellung und der guten Quellenlage liefert die Studie einen wertvollen Beitrag zur aktuellen Forschung. Zahlreiche Fotografien sowie zeitgenössische Augenzeugenberichte lockern den Band auf. Jeder der Luftangriffe wird sowohl aus alliierter als auch aus deutscher Sicht beschrieben. Auf deutscher Seite wird dabei fast ausschließlich die zivile Sicht berücksichtigt; Berichte deutscher Nachtjäger oder der Flak werden leider nicht präsentiert. Das ist umso bedauerlicher, als Blank die "Ruhrschlacht" als erste entscheidende Wende im Luftkrieg zugunsten der Alliierten beschreibt, die gerade durch technische Neuerungen geprägt war. Zum ersten Mal stand der Royal Air Force eine große Zahl schwerer Bomber zur Verfügung: Von den insgesamt 1.029 Kampfflugzeugen, über die das Bomber Command im März 1943 verfügte, waren 729 Maschinen viermotorige Bomber, die große Abwurflasten tragen konnten. (25) Noch wichtiger waren allerdings elektrotechnische Neuerungen, welche die alliierte Luftkriegsführung revolutionierten: das Funknavigationssystem "Oboe" und das Radargerät H2S, mit dessen Hilfe Ziele auch ohne Bodensicht, etwa bei geschlossener Wolkendecke oder nachts, sehr genau getroffen werden konnten.
Premierminister Winston Churchill hoffte, die deutsche Kriegsmoral durch den verschärften Luftkrieg erschüttern zu können. Allerdings führte die "Ruhrschlacht" nicht zum erhofften Zusammenbruch der Moral, sondern nur zur Verschärfung des innenpolitischen Drucks an der "Heimatfront" und zum Wunsch, es den Alliierten mit "Vergeltungswaffen" heimzahlen zu können. Am Ende der viermonatigen "Ruhrschlacht" waren 20.000 Zivilisten tot, davon 16.000 im eigentlichen Ruhrgebiet. Auch die Briten bezahlten einen hohen Preis: 5.000 Flieger wurden getötet, 2.000 gerieten in Kriegsgefangenschaft. 870 Bomber wurden abgeschossen, 2.500 beschädigt. (226) Immerhin gelang es der Royal Air Force mit ihren Luftangriffen, die Industrie, etwa die Produktion von Panzern, zu behindern; doch blieben die tatsächlichen Erfolge weit hinter den Erwartungen der britischen Planer zurück. Dagegen unterschätzten die Amerikaner die Wirkung ihrer Angriffe, konnten sie der deutschen Kriegsproduktion mit ihren Präzisionsangriffen doch einige schmerzhafte Schläge versetzen - etwa als es ihnen am 22. Juni 1943 bei einem Luftangriff auf Marl-Hüls gelang, die synthetische Gummiproduktion lahmzulegen. (204)
Während sich die Amerikaner zu dieser Zeit noch auf Präzisionsangriffe gegen Industrieziele konzentrierten, ging es den Briten hauptsächlich um die Zerstörung von Wohnraum. (39) Dass diese schon länger praktizierte Form des Luftkriegs wirklich alle unterschiedslos traf, zeigt etwa der Angriff auf Dortmund in der Nacht vom 7./8. August 1941, bei dem 39 Menschen getötet wurden, darunter 21 französische Kriegsgefangene. Bei einem weiteren Angriff auf dieselbe Stadt in der Nacht vom 15./16. April 1942 wurden die Zwangsunterkünfte der Juden am Stadtrand zerstört. (38) Und bei einem erneuten Angriff am 4./5. Mai 1943 starben unter anderem 184 sowjetische Kriegsgefangene. (166) Dass es auch anders gegangen wäre, belegt die Tatsache, dass die RAF bereits 1942 Präzisionsangriffe durchführte, also durchaus zu einer "humaneren" Luftkriegsführung in der Lage gewesen wäre. (59) All das stellt Blank in seiner Studie überzeugend dar.
Einer der wenigen Kritikpunkte, die der Rezensent vorzubringen hat, bezieht sich denn auch auf eine moralische Wertung Blanks. So wirkt die übliche Rechtfertigung, die Deutschen hätten ja schließlich mit den Terrorangriffen begonnen, abgestanden und unsachlich. Denn diese Feststellung ändert nichts an der Grausamkeit des unterschiedslosen Bombenkriegs. Zu Recht hat der deutsche Philosoph und Politikwissenschaftler Lothar Fritze dazu angemerkt: "Wer jedoch die Forderung aufgibt, dass auch im Kampf gegen den gefährlichsten Feind moralische Regeln zu gelten haben, ist selbst in das Lager der gefährlichsten Menschenfeinde übergewechselt." [1]
Ärgerlicher ist allerdings die unkritische Übernahme sowjetischer Zahlenangaben. Denn auch Blank kolportiert die immer wieder vorgebrachte Behauptung, bei den deutschen Luftangriffen auf Stalingrad am 23./24. August 1942 seien 40.000 Menschen getötet worden. Allein die Vergleichszahlen deutscher Städte (Hamburg: 40.000 Tote, Dresden: 25.000 Tote) hätten ihn stutzig machen müssen. Solche hohen Opferzahlen entstanden im Zweiten Weltkrieg ausschließlich bei Feuerstürmen nach britischen und amerikanischen Luftangriffen auf deutsche und japanische Städte. [2] Die deutsche Luftwaffe besaß ein solches Zerstörungspotenzial schlichtweg nicht. Zudem ist selbst in älteren Darstellungen, etwa der Luftkriegsgeschichte des linientreuen DDR-Historikers Olaf Groehler, lediglich von etwa 1.000 Bombenopfern in Stalingrad bei den Angriffen vom 23.-26. August 1942 die Rede. [3] Die sowjetischen Behörden hatten bis zum 27. August 1942 insgesamt 955 Tote gezählt. [4] Diese Zahl ist sicherlich unvollständig. Ein sowjetischer Bericht vom 17. September 1942 bezifferte die Gesamtzahl der Todesopfer bei den deutschen Luftangriffen vom 23.-29. August 1942 auf 1.815 Tote. Richard Overy weist in seiner Studie "Der Bombenkrieg" allerdings darauf hin, dass diese Zahl auch Opfer enthält, die bei der Überquerung der Wolga den Tod fanden. [5]
Es ist verständlich, dass man nicht überall Spezialist sein kann, aber von einem Luftkriegsexperten darf erwartet werden, dass er solche unglaubwürdigen Zahlen nicht unkritisch übernimmt - zumal wenn er ein so gutes Standardwerk über eine wichtige Phase des Luftkriegs vorlegt wie die besprochene Studie.
Anmerkungen:
[1] Lothar Fritze: Die Moral des Bombenterrors. Alliierte Flächenbombardements im Zweiten Weltkrieg, München 2007, 254.
[2] Vgl. dazu den Beitrag von Helmut Schnatz: Die vergleichende Ermittlung von Todesopfern der britischen Luftangriffe (area bombings) auf deutsche Städte, in: Rolf-Dieter Müller / Nicole Schönherr / Thomas Widera (Hgg.): Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar 1945. Gutachten und Ergebnisse der Dresdner Historikerkommission zur Ermittlung der Opferzahlen, Göttingen 2010, 101-118.
[3] Olaf Groehler: Geschichte des Luftkriegs 1910 bis 1980, Berlin (Ost) 1981, 350.
[4] Christer Bergström: Stalingrad - The Air Battle: 1942 through January 1943, Hinckley 2007, 73.
[5] Richard Overy: Der Bombenkrieg. Europa 1939 bis 1945, Berlin 2014, 305.
Roman Töppel