Heiko Jadatz / Christian Winter (Hgg.): Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen. Dritter Band: 1528-1534, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2010, 911 S., ISBN 978-3-412-20546-1, EUR 99,80
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Heiko Jadatz / Christian Winter (Hgg.): Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen. Vierter Band: 1535-1539, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2013, 808 S., ISBN 978-3-412-20547-8, EUR 99,80
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Armin Kohnle / Christian Winter / Michael Beyer (Hgg.): Zwischen Reform und Abgrenzung. Die Römische Kirche und die Reformation, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2015
Johannes Herrmann / Günther Wartenberg / Christian Winter (Bearb.): Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen, Bd. 6: 2. Mai 1552 - 11. Juli 1553, Berlin: Akademie Verlag 2006
"Beruf: Gegner von Martin Luther". Dieser Eintrag findet sich im World Biographical Information System zum Lemma Georg der Bärtige 'Herzog von Sachsen' und illustriert sehr bezeichnend jene Rolle, die Georg von Sachsen jahrhundertelang durch die protestantisch geprägte Historiografie und Landesgeschichte zugewiesen wurde. Weder der Ausbau seiner Landesherrschaft, noch seine erfolgreiche "Wirtschafts- und Finanzpolitik" (Winter, 236) und auch nicht seine Bemühungen um die Reform der Kirche und konfessionelle Stabilität innerhalb seines Territoriums standen im Vordergrund historiografischen Interesses. Vielmehr wurde er reduziert auf sein angespanntes Verhältnis zu Martin Luther und seine engagierte Verteidigung der altgläubigen Konfessionalität.
Seit gut zwei Jahren liegt nun der letzte Band der vierbändigen Edition der "Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen", einer der bedeutendsten Herrscherpersönlichkeiten der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts, vor. Ziel dieser Rezension ist es, nicht nur auf die beiden letzten Bände, die 2010 und 2012 erschienen sind, aufmerksam zu machen, sondern auch das Gesamtprojekt der Aktenedition zu würdigen. Hierzu ist es erforderlich, den Blick etwas weiter zurück zu richten:
1896 wurde Felician Gess, Professor für Geschichte an der Technischen Universität Dresden, mit der Bearbeitung des Editionsprojektes betraut. Gess, der bei Maurenbrecher promoviert und über Georgs Klostervisitation im Jahr 1888 habilitiert wurde, entschied sich dagegen, die Edition mit dem Regierungsantritt des Herzogs beginnen zu lassen. Vielmehr hielt er es für "angezeigt, um die Sammlung nicht gar zu hoch anschwellen zu lassen [...] die frühere Kirchenpolitik lediglich in einer kurzen, doch auf das gesamte Aktenmaterial sich stützenden Einleitung und nur in ihren Hauptzügen zu berücksichtigen" (1. Bd. 1, XVII). Und so setzt der erste Band mit dem Jahr 1517 ein und schlägt mit dem Ablass und den innerwettinischen Beziehungen sogleich jene Themen an, welche die insgesamt auf vier Bände anwachsende Edition inhaltlich maßgeblich prägen sollten. Band 1 erschien 1905 und umfasst den Zeitraum von 1517 bis 1524. Der zweite Band wurde 1917 veröffentlicht und enthält die Dokumente der Jahre 1525 bis 1527. Gess war es leider nicht vergönnt, den dritten Band zur Publikation zu bringen. Er verstarb 1938. Noch im selben Jahr beauftragte die Sächsische Kommission für Landesgeschichte Elisabeth Werl mit der Fortführung des Projektes. Werl unterrichtete Geschichte im höheren Lehramt und hatte sich mit einer Promotion über Elisabeth von Hessen, der Schwiegertochter Georgs, für die Arbeit empfohlen. Das von ihr 1956 eingereichte Manuskript wurde jedoch als zu umfangreich gewertet und zur Überarbeitung zurückgegeben. Werl vermochte es aufgrund beruflicher und persönlicher Verpflichtungen bis zu ihrem Tode 1983 nicht mehr, ein neues Manuskript zu erstellen. Es sollte knapp zwanzig Jahre dauern, bis die Arbeiten am Editionsprojekt wieder aufgenommen wurden.
Von 2002 bis 2012 konnte das Projekt unter dem Dach der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Leipzig fortgeführt und vollendet werden. Den Rahmen dafür bildete das Akademieprojekt "Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte", welches, maßgeblich geprägt durch den 2010 verstorbenen Helmar Junghans, seit 1992 die Quelleneditionen zu Moritz von Sachsen, Thomas Müntzer und eben Herzog Georg von Sachsen beinhaltete. Als Bearbeiter und Herausgeber der Georgsedition wurden mit Heiko Jadatz und Christian Winter zwei Theologen gewonnen, deren Forschungsschwerpunkte auf der albertinischen Reformationsgeschichte liegen. Einfach gestaltete sich die Fortführung des Projektes nicht, da der Projektnachlass der früheren Bearbeiter mit erheblichen Lücken behaftet war; bereits durch Gess getätigte Abschriften waren nicht mehr vorhanden, sodass die Originale erneut gesichtet werden mussten. Umso beeindruckender ist es, dass in vergleichsweise kurzer Zeit Band 3 (2010) und 4 (2012) im Druck erschienen.
Die nun dieser Rezension zugrundeliegenden Bände 3 und 4 umfassen die Jahre 1528 bis 1534 und 1535 bis 1539 und enthalten gut 2000 Quellen. Zählt man die in den Anmerkungen aufgeführten Dokumente mit, sind es ca. 3000 bearbeitete Quellen. Jeder Band ist mit einer historischen Einleitung und einem Register der Orte und Personen versehen. Inhaltlich liegt der Schwerpunkt auf der herzoglichen Kirchenpolitik, die sich entsprechend des Selbstverständnisses eines frühneuzeitlichen Herrschers nur schwerlich abgrenzen lässt von dynastischen, wirtschaftlichen oder militärischen Themen. In der Regel sind die Schriftstücke in Regestform widergegeben. Der Inhalt ist paraphrasiert, nur "besonders aussagekräftige [...] Passagen" erscheinen im Wortlaut. Lediglich "zentrale" Quellen sind komplett im Wortlaut ediert, so der Projektleiter, Armin Kohnle, im Vorwort des 4. Bandes. Dies ist sicher eine Entscheidung, die schlichtweg der Praktikabilität eines derartigen Unterfangens geschuldet ist. Ganz unproblematisch ist sie, wie im weiteren Verlauf der Rezension zu sehen ist, nicht.
Der Leser erlebt Herzog Georg in den Quellenbänden als gehorsamen Untertan des Kaisers, den er immer wieder auf seine Funktion als advocatus ecclesiae rückbezieht. Bedingungslos unterstützte der Albertiner die geforderte Türkenhilfe, bedingungslos die Wahl Ferdinands zum römischen König. Hinsichtlich der kaiserlichen Religionspolitik ist jedoch eine zunehmende Divergenz auf Seiten des sächsischen Herzogs spürbar. In seinen Augen war der Speyerische Abschied des Jahres 1526 eine Fehlentscheidung, ließ er doch den Lutheranern Raum zur Entfaltung. Die Edition bietet zwei Gutachten Georgs, die sich jeweils mit den Reichstagspropositionen von 1530 und 1532 auseinandersetzen. Während der Albertiner auf dem Augsburger Reichstag den Grund für die Glaubensspaltung in der unterschiedlichen Auslegung des Evangeliums sah und die alleinige Auslegungshoheit der Heiligen Kirche und ihren Lehrern zuwies (gerade dieser Punkt wurde seit 1524 ebenfalls verschieden ausgelegt), plädierte er zunächst dafür, sich mit den Abgefallenen "in einkeit der kirchen [zu] vergleichen, bey vns [zu] bleyben" bis zur Entscheidung durch ein Konzil (Nr. 1926). Bereits zwei Jahre später schlug Georg in Regensburg deutlich schärfere Töne an. Er stilisierte Luther zur Ursache aller zur Glaubensspaltung führenden Bewegungen. Ein Grund mehr für den Kaiser also, angesichts des noch immer ausstehenden Konzils diesen Entwicklungen Einhalt zu gebieten. Nun allerdings spricht der Albertiner nicht mehr von "vergleichen", sondern davon, dass die "lutterische Secten [...] Tollerirt werden" bis zur Konzilsentscheidung. Die den Kaiser nicht als Obrigkeit anerkennenden Zwinglianer u.a. mögen durch den Kaiser jedoch "vertilliget vnd abgethann" werden. Handele der Kaiser hier nicht, verspiele er seine Stellung als Wahrer des Glaubens und des Rechts (Nr. 2085). An diesen beiden Quellentexten wird sehr schön deutlich, in welchen Begriffen der Umgang mit den Lutheranern gefasst wird. Umso bedauerlicher ist es, dass jene meines Erachtens zentralen Texte, paraphrasierend und nur in Auszügen wortwörtlich widergegeben werden. Wie problematisch diese Paraphrasierung sein kann, zeigt sich im Einleitungstext zum zweiten Gutachten Georgs. Dieser gibt das Verb "Tollerirt" mit dem heute gebräuchlichen Verb tolerieren wider, welches vom zeitgenössischen Gebrauch jedoch erheblich abweicht. Hier wäre das Anführen des originalen Begriffs angemessener gewesen. (Auch der in der Paraphrase eines lateinischen Textes verwendete Begriff des "christlichen Staat[es]" scheint meines Erachtens eher unglücklich zu sein.)
Deutlich wird die enge Verzahnung der Kirchenpolitik mit weiteren Bereichen obrigkeitlichen Handelns an den sogenannten Packschen Händeln, jenem Konflikt, der das Alte Reich im Jahr 1528 aufgrund einer schlichten Urkundenfälschung fast in eine militärische Auseinandersetzung geführt hätte. Die im dritten Band dargebotenen Quellen zu diesem Konflikt verdeutlichen einmal mehr, wie brüchig die politischen Friedstände wahrgenommen wurden, was nicht zuletzt auf Seiten der Lutheraner in einem steten Bedrohungsgefühl und damit einer verstärkten Beschäftigung mit dem Argumentationskreis von Ungehorsam und Notwehr mündete. Neben den meisten bereits bei Dülfer edierten Quellen, die die Frage nach einer sinnvollen Abgrenzung aufwerfen, lassen sich hier Dokumente finden, die verschiedene Aspekte des Konfliktes näher beleuchten, wie z.B. die Frage der Auslieferung Packs und dessen Verfolgung. Die innerernestinischen Beziehungen waren nicht nur geprägt von der Auseinandersetzung Herzog Georgs mit Martin Luther, sondern maßgeblich bestimmt durch die kirchenpolitischen Differenzen innerhalb der jeweils eigenen Territorien. Einen steten Unruheherd stellten hierbei allerdings jene Gebiete dar, die entweder von beiden Häusern regiert wurden oder die durch regionale Verzahnungen nicht entflochten werden konnten. Dies betraf u.a. die Besetzung der Pfarrstellen, die Visitatorentätigkeit, den Umgang mit geistlichen Lehen und Stiftungen.
Als ein besonders interessantes Beispiel für das Verhältnis zwischen mündlicher und gedruckter Predigt ist hier das 'interkonfessionelle Recycling' der Sermone Alexius Chrosners anzuführen. Chrosner bewarb sich auf die Stelle des Torgauer Hofpredigers bei Herzog Johann Friedrich mit Predigten, welcher er am Dresdener Hof vor Herzog Georg gehalten, für die Bewerbung im Druck jedoch erheblich überarbeitet und mit einem Vorwort Luthers versehen hatte. Durch den Akt der Überarbeitung erhielten die Predigten eine entschieden lutherische Provenienz. Da Chrosner den gedruckten Predigten lediglich den üblichen Topos der leichten Überarbeitung beifügte, verwischte er die inhaltliche Distanz zu den ursprünglich in Dresden gehaltenen Predigten. Herzog Georg fühlte sich durch jene gedruckten Predigten düpiert und forderte die Bestrafung des Predigers sowie die Einziehung der Drucke (1994). Vergeblich. Noch ein Jahr später berichtet Georg von Karlowitz seinem Herzog von der heimlichen Verbreitung der Chrosner-Drucke (2096).
Innerhalb der Familie galt Georgs Sorge vor allem zwei Dingen: Der Absicherung seiner Nachfolge in Gestalt seiner Söhne sowie die Verhinderung der Ausbreitung des lutherischen Bekenntnisses. Beides vermochte der Herzog trotz seiner Anstrengungen, die sich in diversen Schriftstücken niederschlugen, nicht zu bewerkstelligen. Er musste sowohl den frühen Tod seiner beiden Söhne 1537 und 1539 als auch die Abwendung seines Bruders Heinrich und seiner Schwiegertochter Elisabeth von der altgläubigen Kirche hinnehmen. Band 4 bietet einen brüderlichen Briefwechsel, der vor dem Hintergrund des bevorstehenden Beitritts Heinrichs zum Schmalkaldischen Bund 1537 entstand und von dem beiderseitigen Bestreben zeugt, als christliche Obrigkeiten zu handeln und doch die familiäre Eintracht nicht in Gefahr zu bringen.
Und nicht zuletzt kann der Leser dem Albertiner bei der Verwaltung seines Territoriums über die Schulter schauen. Dies reicht von den verhältnismäßig wenigen Landtagen, über die Diskussionen in den Landschaftsausschüssen (Thema u.a. die Kirchenordnung), über das Vorgehen gegen die Wiedertäufer, die Einhaltung der Kirchenordnung, die Visitation der Klöster, die ganz konkreten Probleme bei der Pfarrbesetzung bis hin zum Themenbereich der militärischen Unterstützung des Kaisers im Kampf gegen die Osmanen sowie das Schmieden des altgläubigen Verteidigungsbündnisses, des Nürnberger Bündnisses im Jahr 1538. All diese Aspekte sind ohne die Bemühungen Georgs, der Ausbreitung des Luthertums Einhalt zu gebieten, in dieser Form nicht denkbar. Seine Überzeugung, nur eine Reform der Kirche und der weltlichen Obrigkeiten (3289) könne zu einer Rückführung der in seinen Augen lutherischen Sektierer führen, lag Georgs gesamten kirchenpolitischen Maßnahmen zugrunde. Den Anstoß für die Reform allerdings erwartete er aus Rom. Doch Rom schwieg. Nachdem das bereits angekündigte Konzil zu Mantua erneut verschoben wurde, verlieh der Albertiner im Herbst 1538 seiner Enttäuschung sinngemäßen Ausdruck, 'die Blinden führten die Blinden und gängen daran beide zugrunde' (Paraphrase Nr. 3421). Georg sollte eine erneute Einberufung des Konzils nicht mehr erleben.
Die Rezension kann angesichts der Vielfalt der Themen, die in der vierbändigen Aktenedition anklingen, lediglich kleine Schneisen schlagen, um dem Leser nicht mehr als einen Eindruck über Inhalte und Qualität des vierbändigen Werkes zu vermitteln. Mit ihm liegt eine Quellenedition vor, die einen christlichen Herrscher in einer spannungsreichen Epoche im Bemühen zeigt, die religiösen Fliehkräfte innerhalb seiner Kirche, seiner Dynastie, seines Territoriums zu zügeln. Nicht immer gelingt ihm dies. Auch das kann als meines Erachtens wohltuender Beitrag zur Reformationsdekade gelesen werden. Die historisch arbeitenden Wissenschaften werden ohne Zweifel von dieser Edition profitieren können, auch wenn sie den Gang ins Archiv nicht erspart. Diese Leistung wird auch nicht geschmälert durch den bereits erwähnten zumindest hinterfragbaren Umgang mit zeitgenössischen Begriffen, den hin und wieder aufkommenden Wunsch nach einer Volltextedition oder der nicht konsequent numerisch gestalteten Seitenangaben im Register.
Die Fortführung und Vollendung dieses insgesamt ca. 5000 Aktenstücke umfassenden Quellenwerkes wäre ohne die finanzielle Förderung seitens der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften nicht möglich gewesen. Noch scheint die oft so verschmähte Grundlagenforschung innerhalb der Akademien ein angemessenes Zuhause zu finden. Dafür verdient die Akademieunion Anerkennung. Ein neues mehrjähriges Editionsprojekt mit dem Titel "Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen 1513-1532" hat in Leipzig inzwischen seine Arbeit aufgenommen.
Anja Kürbis