Alexander Clarkson: Fragmented Fatherland. Immigration and Cold War conflict in the Federal Republic of Germany, 1945 - 1980 (= Monographs in German History; Vol. 34), New York / Oxford: Berghahn Books 2013, XIV + 231 S., ISBN 978-0-85745-958-9, USD 95,00
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Mit diesem Buch legt der Historiker Alexander Clarkson seine Dissertationsschrift vor, mit der er an der Universität Oxford promoviert wurde. In ihr fragt Clarkson danach, wie die Institutionen und politischen Akteure der Bonner Republik zwischen 1945 und 1980 mit jenen Ausländern umgingen, die in unterschiedlicher Form politisch aktiv waren, obwohl ihnen dies in der Bundesrepublik verboten war. Besonders interessiert ihn dabei, auf welches politische Setting die verschiedenen Nationalitäten in der Bundesrepublik trafen. Zentrale Elemente dieses Settings bilden Clarkson zufolge der Umgang mit der NS-Vergangenheit, die Frontstellung des Kalten Krieges sowie das politische Kräfteverhältnis zwischen Christ- und Sozialdemokratie. Ein Ziel der Arbeit besteht darin, die Wirkmächtigkeit der Faktoren gegeneinander abzuwägen. Ein weiterer Fokus der Untersuchung liegt auf der Frage, wie die genannten Strukturen und der Blick wichtiger politischer Akteure in der Bundesrepublik auf die verschiedenen Migrantencommunities und ihre politischen Gruppierungen deren Handlungsoptionen prägten. Der Autor knüpft damit an eine Debatte an, die Mark J. Miller Anfang der 1980er Jahre mit seiner These vom Mythos der apolitischen Arbeitsmigranten initiiert hat.
Clarkson kommt in seinem knapp gehaltenen Literaturüberblick zu dem Schluss, dass die bisherige Migrationsforschung vor allem die großen Migrantengruppen aus Italien und der Türkei behandelt, die Bedeutung der kleineren Gruppen unterschätzt und ihre erhebliche interne Diversität sowie die Unterschiede im staatlichen Umgang mit ihnen verwischt habe. Um dieses Manko zu beheben, untersucht er Migrantengruppen aus der Ukraine, Kroatien / Jugoslawien, Algerien, Spanien, Griechenland und dem Iran - eine Auswahl, die das ganze Migrationsspektrum von kriegsbedingter Verschleppung / Flucht, eurokolonialer Migration, Arbeitsmigration und Elitenmigration (Studenten und Intellektuelle) abdeckt. Gemeinsam ist jedoch allen Gruppen, dass es sich bei ihren Herkunftsländern im Untersuchungszeitraum um Diktaturen handelte, auf deren Politik die Emigranten vom Ausland aus Einfluss nehmen wollten. Die Quellengrundlage der Arbeit besteht primär aus der Überlieferung von Bundes- und Länderinnenministerien und Zeitungsartikeln zu Ereignissen wie dem Schah-Besuch von 1967.
In der ersten und überzeugendsten Fallstudie beschäftigt sich Clarkson mit der ukrainischen Diaspora in der Bundesrepublik und zeichnet ein nuanciertes Bild einer Mischung aus ehemaligen SS-Mitgliedern, Widerstandskämpfern gegen die deutsche Besatzung und Exilpolitikern, die Schlüsselrollen beim Aufbau ukrainischer Emigrantenorganisationen spielten. Ihr Anti-Kommunismus ermöglichte es ihnen trotz interner Konflikte Einfluss auf deutsche Politiker der Adenauer-Regierung (vor allem innerhalb der CSU) auszuüben, etwa um eine Repatriierung ihrer Landsleute zu verhindern, was ihnen die Unterstützung der zunächst kritischen DP's sicherte. Während der 1950er Jahre war die ukrainische Community als Lobby aufgrund ihres während der NS-Zeit etablierten Beziehungsgeflechts und des Antikommunismus der Ära Adenauer relativ erfolgreich - in der Folge verlor sie angesichts der zahlenmäßig weitaus bedeutenderen Gastarbeiternationalitäten und eines veränderten politisch-administrativen Settings jedoch an Einfluss.
Noch deutlicher machten kroatische Emigrantengruppen, die durch gewalttätige Aktionen wie den Bombenangriff auf die jugoslawische Handelsmission in Mehlem im November 1962 in den Fokus der westdeutschen Sicherheitskräfte gerieten, die Erfahrung, dass ihr Antikommunismus während der 1960er Jahre zunehmend weniger politisches Kapital einbrachte. Den zentralen Grund für diese Veränderung sieht Clarkson im politischen Bedeutungsgewinn der SPD und der Neuorientierung der westdeutschen Ostpolitik. Von der Unterstützung durch SPD und Gewerkschaften konnten insbesondere Franco-kritische spanische Gruppen profitieren. Anders im Fall der algerischen FLN, die als antikoloniale Bewegung innerhalb der westdeutschen Linken zwar grundsätzlich auf Sympathie stieß, gegen deren offizielle Unterstützung jedoch nicht nur ihre gewalttätigen Strategien, sondern auch die Wahrung eines positiven Verhältnisses zu Frankreich sprachen. Auch linke iranische Kritiker des Schah-Regimes konnten aufgrund ihres Neomarxismus nur mit wenig Hilfe aus der Sozialdemokratie rechnen. Letztlich nahmen alle zentralen politischen Akteure der Bundesrepublik durch ihren größtenteils instrumentellen Umgang mit den jeweiligen Emigrantengruppen bewusst Einfluss auf die Verhältnisse in deren Herkunftsländern. Als wichtigstes Handlungsmotiv stellt der Autor dabei die Konfrontationslinien des Kalten Krieges heraus, während die nationalsozialistische Vergangenheit eher sekundär als von beiden Seiten (vor allem in der Fallstudie zur iranischen Community) genutztes rhetorisches Mittel der Auseinandersetzung in Erscheinung tritt.
Clarkson hat mit seiner Dissertationsschrift ein sehr dicht argumentierendes Buch mit vielen anregenden Thesen vorgelegt, mit denen sich die zukünftige Forschung auseinandersetzen sollte. Die große Stärke des Buchs liegt zweifellos darin, die Verknüpfung dreier Perspektiven - der Migrationsgeschichte, der Cold War Studies sowie der Politikgeschichte der Bundesrepublik - analytisch fruchtbar gemacht zu haben. Anders als bei der Thematik zunächst zu vermuten, ist der Beitrag der Studie zu den letztgenannten Forschungsfeldern jedoch wesentlich größer als zur Migrationsforschung. Für eine Geschichte der hier behandelten Communities fehlt die Perspektive der Migrantinnen und Migranten selbst - sie erscheinen letztlich nur aus der Perspektive des Bundes und einiger Länder, deren Darstellung kaum als solche reflektiert, sondern als Realität postuliert wird. Auch wurde die umfangreiche internationale Forschungsliteratur zu Diasporas und transnationalen Räumen leider nur sporadisch rezipiert. Clarkson gelingt es dennoch, am Beispiel des Umgangs des politischen "Establishments" mit ausländischen Aktivisten ein spannendes Panorama der Bonner Republik zu zeichnen, dem eine breite Leserschaft zu wünschen ist.
Jenny Pleinen