Rezension über:

Céline Boutantin: Terres cuites et culte domestique . Bestiaire de l'Egypte gréco-romaine (= Religions in the Graeco-Roman World; Vol. 179), Leiden / Boston: Brill 2014, XXII + 642 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-90-04-26203-4, EUR 203,00
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Rezension von:
Holger Kockelmann
Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Holger Kockelmann: Rezension von: Céline Boutantin: Terres cuites et culte domestique . Bestiaire de l'Egypte gréco-romaine, Leiden / Boston: Brill 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 5 [15.05.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/05/25024.html


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Céline Boutantin: Terres cuites et culte domestique

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Nach der Veröffentlichung der Terrakotten des Kairener Landwirtschaftsmuseums legt die Verfasserin mit dem Werk Terres cuites et culte domestique ihre zweite Monographie vor. Dieser jüngste Band geht auf ihre 1999 eingereichte Straßburger Dissertation zurück, die für den Druck gewissenhaft aktualisiert und um neu bekannt gewordene Stücke und jüngst erschienene Literatur ergänzt wurde. [1] Beide Monographien Boutantins reihen sich ein in eine Serie aktuellerer Veröffentlichungen, die ein wieder größer gewordenes Interesse an der gräko-ägyptischen Koroplastik spiegeln.

Im Zentrum der umfangreichen Veröffentlichung stehen die Terrakotten in Tiergestalt. Auch wenn solche Tier-Terrakotten bereits Gegenstand verschiedener früherer Beiträge waren [2], ist Boutantins Studie in ihrem systematischen, sammlungsübergreifenden und umfassenden Zugang neu. Neben der Typologie, die einen größeren Teil der Arbeit ausmacht, interessiert die Verfasserin vor allem der Verwendungskontext. Zu dessen Klärung zieht sie das Maximum an Informationen heran, das über Sammlungsarchive und Grabungsbefunde zu gewinnen ist, ohne die großen Schwierigkeiten und Unsicherheiten zu verschleiern, die sich dabei wegen oft unpräziser oder gänzlich fehlender Herkunftsangaben allenthalben auftun. An Provenienzen lassen sich drei Kategorien feststellen: Siedlungen, Gräber und Tempel. Aus Tempeln ist gegenwärtig nur eine geringe Zahl von Terrakotten bekannt. Das Gros der Exemplare stammt aus Siedlungen, wobei die meisten Stücke aus Häusern kommen und zusammen mit Zeugnissen eines Kultes (z.B. Altären) gefunden wurden; wie es scheint, sind die Terrakotten echte Objekte eines "culte domestique". Vorlieben für bestimmte Motive im Haus- und andere im Tempelkontext sind nicht zu erkennen. Die Terrakotten aus Nekropolen waren vielleicht zunächst ebenfalls im Haus aufgestellt und wurden dann ins Grab mitgegeben.

Fast nichts ist über die Ateliers zu sagen, noch weniger über die Käufer. Immerhin lassen sich folgende Orte und Regionen als bedeutende Produktionsstätten aufzählen (generell der Terrakotten, nicht nur der zoomorphen): Alexandria, Athribis (Delta) Memphis (viele Formen), Naukratis, Tanis, das Fayum (namentlich Medinet el-Fayum; Karanis; Tebtynis), Herakleopolis magna, Koptos. Boutantins geographischer Überblick legt hier stets kritisch-evaluierend offen, wie zuverlässig überlieferte Angaben zu Fundstätten sind, etwa im Falle von Antinoe, aus dem etwa 500 Terrakotten stammen sollen, wobei aber unklar ist, ob nicht ein Teil dieser Stücke vom Ausgräber Gayet auf dem Antikenmarkt erworben wurden. Besonders interessant ist der Blick auf die großen geographischen und chronologischen Linien: Der Autorin gelingt es exemplarisch aufzuzeigen, dass es Zusammenhänge zwischen Ort und Beliebtheit bestimmter Motive geben könnte; wenn die Herkunft bekannt ist, zeigt sich, dass bestimmte Typen von Terrakotten an bestimmte Orte gebunden sind oder dort zumindest besonders häufig vorkommen. In der Ptolemäerzeit sind tiergestaltige Terrakotten noch selten und zeigen wenig Vielfalt in der Motivik, die Beleglage weitet sich am Übergang zur Römerzeit aus.

Es sind 31 Arten von Tieren, die absteigend nach der jeweiligen Häufigkeit innerhalb des Gesamtcorpus im Hauptteil der Studie behandelt werden, dazu noch die Kategorie "Vögel" und Nichtidentifizierte. Die Analyse des Materials erfolgt dabei bei der Tierart nach einem festen Abhandlungsmusters (A. Gott mit Tier, B. Tier mit Person, C. Tier allein usw.; jeder Gruppe ist diese Gliederung im Überblick mitsamt Belegzahlen unter den Terrakotten vorangestellt, was sehr praktisch ist). Allen behandelten Gruppen ist zudem eine konzise Einleitung vorangestellt, die über die Bedeutung des betreffenden Tieres im dynastischen wie griechisch-römischen Ägypten informiert. Wie sich erweist, reflektiert das Corpus durchaus Neuerungen der griechisch-römischen Zeit, z.B. hinsichtlich der Relevanz des Pferdes, das anders als in der Pharaonenzeit oft als Figur bezeugt ist - außerhalb der Terrakotten dagegen nur wenig. Insgesamt betrachtet stellt das Corpus, das überwiegend aus Nutz- und Haustieren besteht und weniger aus Wildtieren, aber keinen repräsentativen Querschnitt durch die zeitgenössische Fauna dar: Beispielsweise fehlt der im Alltag so wichtige Esel.

Teils werden die Tiere für sich allein dargestellt, teils paarweise und manchmal mit einer Gottheit vergesellschaftet, vor allem mit Harpokrates. Was letztere Fälle angeht, äußert sich Boutantin kritisch zur These, dass das Tier eine Art Identifikationssymbol der Götter sei, der Widder etwa für Amun stehe. Stattdessen bringt sie einen möglichen Einfluss der griechischen Tradition ins Spiel, einem Gott ein bestimmtes Tier beizugeben. Überhaupt behält sie potentielle hellenische Elemente stets im Blick. Einige der Tiere sind mit Kronen - also Attributen des "Heiligen" - versehen, andere nicht. Letztere einer Gottheit oder einem Kult zuzuweisen, bleibt problematisch. Eine einfache Katze würde man zunächst als Abbildung eines Haustieres deuten; da die Stücke aber selten sind und die meisten aus Memphis oder dem Bubasteion von Alexandria stammen, liegt ein Zusammenhang mit Bastet nahe.

Neben den typologischen Fragen interessiert naturgemäß die Funktion der Tier-Terrakotten besonders. Hier erfasst Boutantin das komplette Spektrum der Möglichkeiten und wägt ausgewogen-kritisch ab, welche Nutzungsweise die wahrscheinlichste ist. Konstruktiv setzt sich die Verfasserin mit älteren Bewertungen auseinander. Mit Recht schließt sie aufgrund des fragilen Materials aus, dass die Figuren Spielzeug gewesen sein könnten. Dass sie als kostengünstiger Ersatz für Bronzen dienten, sei ebenfalls kaum wahrscheinlich, denn die beiden Corpora scheinen kaum zur gleichen Zeit entstanden zu sein und überdies eine andere Bestimmung gehabt zu haben (Terrakotten eher für den häuslichen Bereich, Bronzen für den Tempel). Überzeugend erscheint dem Rezensenten dagegen die von Boutantin vertretene These von den Tier-Terrakotten als Symbole von Regeneration und Fruchtbarkeit, die zugleich im Kontext des Festes zu sehen sind, insbesondere von Prozessionsfesten; auf den Festkontext verweisen insbesondere die Blumen und Bouquets, mit denen manche Tiere versehen sind. Als "Ankerobjekte", die man mit nach Hause nahm, transferieren die Stücke den positiven, heilbringenden Effekt des Festes auf das Haus, in dem sie aufgestellt sind. In diesem Zusammenhang bringt die Verfasserin auch die Frage ins Spiel, ob die Terrakotten mit einem Schutzzauber für das Haus in Zusammenhang stehen.

Boutantins Studie zeichnet sich durch eine besondere Umsichtigkeit und große Materialkenntnis aus. Mit ihrer Monographie hat sie einen neuen Meilenstein in der Erforschung der Terrakotten des griechisch-römischen Ägypten gesetzt.


Anmerkungen:

[1] S. nun auch K. Mackowiak: "Singeries et théâtralité: à propos d'une figurine de harpiste hellénistique" und von der Verfasserin selbst "Quant les animaux singent les hommes. Terres cuites égyptiennes d'époque gréco-romaine" in G. Tallet / C. Zivie-Coche (éds.): Le myrte & la rose. Mélanges offerts à Françoise Dunand par ses élèves, collègues et amis, CENIM 9, Montpellier 2014, II, 149-160 und 105-127; J. Griesbach (Hg.): GRiechisch ägYPTISCH. Tonfiguren vom Nil, Regensburg 2013 (mit Würzburger Terrakotten).

[2] Vgl. etwa F. Hoffmann / M. Steinhart: Tiere vom Nil, Ägyptische Terrakotten in Würzburg (Schenkung Gütte) 1, Wiesbaden 2001.

Holger Kockelmann