Timothy Salemme: Documenti pontifici nel tabularium dell'abbazia cistercense di Chiaravalle Milanese (da Innocenzo II a Clemente V) (= ARTEM; 22), Turnhout: Brepols 2014, 356 S., ISBN 978-2-503-55146-3, EUR 95,00
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Alexander Fidora (ed.): Guido Terreni, O.Carm († 1342). Studies and Texts, Turnhout: Brepols 2015
Tom Graber / Martina Schattkowsky (Hgg.): Die Zisterzienser und ihre Bibliotheken. Buchbesitz und Schriftgebrauch des Klosters Altzelle im europäischen Vergleich, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2008
Die im Jahr 1135 gegründete Abtei von Chiaravalle, rund vier Kilometer südöstlich von Mailand gelegen, bildete zusammen mit Santa Maria di Morimondo während des gesamten Mittelalters das Zentrum zisterziensischer Präsenz in der Lombardei. Chiaravalle war eine direkte Tochter der in der Diözese Langres gelegenen Primarabtei von Clairvaux - die enge Beziehung zwischen Mutter- und Tochterkloster ergab sich dabei nicht nur aus der identischen Namensgebung, sondern auch aus der "exklusiven" Beziehung zu Bernhard von Clairvaux, der - 20 Jahre nach Clairvaux - auch an der Gründung von Chiaravalle maßgeblich beteiligt gewesen sein soll. Die neue Tochter wuchs schnell: zu Beginn des 15. Jahrhunderts verfügte man schließlich über Landbesitz im Umfang von rund 4000 Hektar, die von 10 Grangien aus bewirtschaftet und verwaltet wurden. Chiaravalle war zum lokalen Machtfaktor geworden: ein von den Statuten vorgesehenes Leben im desertum war angesichts der topographischen und sozioökonomischen Gegebenheiten bloßes Wunschdenken. Aufgrund seiner großen (kirchen-)politischen Bedeutung wurde Chiaravalle vom Papsttum gefördert und mit einer Vielzahl von Privilegien versehen. Sie sind es, die Zeugnis von der zentralen Stellung von Chiaravalle ablegen und das Verhältnis nicht nur zum Papsttum, sondern auch zu den lokalen Mächten und den Mailänder Institutionen demonstrieren.
Mit ausgeprägtem Bewusstsein für die Bedeutung des Archivbestands ließen ihm bereits die Klosterarchivare des 13. Jahrhunderts allergrößte Sorge angedeihen. Zu diesem Zeitpunkt wurden vor allem die Papsturkunden dorsal mit knappen Regesten versehen, die die Benutzung zukünftig entscheidend vereinfachten. Die Geschichte des Archivs verlief nicht geradlinig: 1561 wurde rund ein Drittel des Bestandes an Urkundenprivilegien nach Sant'Ambrogio in Mailand abgegeben. Dies hing mit dem 1497 vollzogenen Anschluss von Chiaravalle an die zisterziensische Congregatio Sancti Bernardi in Italia zusammen. Innerhalb der Kongregation entschloss man sich dazu, die wichtigsten Urkunden an zwei Orten, in Mailand und Florenz, zu konzentrieren. So wanderte ein Drittel des Chiaravallenser Urkundenbestandes nach Mailand ins Kloster Sant'Ambrogio ab, wo die Gralshüter einer "memoria storico-archivistica" (22) wirkten. Die restlichen zwei Drittel verblieben in Chiaravalle, bis sie nach Auflösung des Klosters 1787 in staatliche Obhut übergingen. Die Zweiteilung des Bestandes spiegelt sich noch heute wider. Rund 2000 archivalische Einheiten, davon 1100 aus dem 12. und 13. Jahrhundert, lagern im Fondo Chiaravalle des Staatsarchivs von Mailand, 600 weitere im Fondo Monastero di S. Ambrogio di Milano.
Aus diesem Bestand schöpft auch die vorliegende Urkundenedition. Der terminus post quem ergibt sich dabei aus dem Gründungsdatum der Abtei selbst und der ersten erhaltenen Urkunde, in der Papst Innocenz II. 1139 die Unterstellung der Abtei San Pietro del Cerreto unter die Jurisdiktion von Chiaravalle verfügte. Der terminus ante quem ist der Tatsache geschuldet, dass nach dem Pontifikat Clemens' V. (1305-1314) die erhaltenen Papsturkunden im tabularium von Chiaravalle signifikant abnehmen. Dieses Faktum bedarf einer Erklärung, steht es doch quer zur ansonsten zu beobachtenden Explosion des Urkundenbestands im späten Mittelalter. Verantwortlich für den Einbruch der Überlieferung ist die Tatsache, dass sich zu diesem Zeitpunkt das Verhältnis des Papsttums zur in Mailand regierenden Familie der Visconti ausgesprochen problematisch gestaltete und Chiaravalle in den Dunstkreis des Herzogsgeschlechts geriet. Darüber hinaus korrespondiert dieser zeitliche Einschnitt mit Problemen, die die religio cisterciensis insgesamt betrafen und um das Verhältnis des eigentlich exemten Ordens zu den Ortsbischöfen kreisten. Bemerkenswert bleibt freilich die Tatsache, dass es in einer Edition zisterziensischer Urkunden tatsächlich einmal gelungen ist, den Schritt ins späte Mittelalter zu vollziehen. Ordensforscher, die sich nicht nur mit der Blütezeit des Ordens im 12. Jahrhundert befassen möchten, werden dies zu schätzen wissen.
Es ist nun nicht so, dass der Urkundenbestand aus Chiaravalle jahrhundertelang unbenutzt geblieben wäre. Zisterziensische Gelehrte des 17. und 18. Jahrhunderts haben darauf ebenso zurückgegriffen wie Stadthistoriker, die in ihren Arbeiten zur Geschichte von Mailand Chiaravalle stets einen wichtigen Platz einräumten. Die Verwendung des Materials erfolgte jedoch stets selektiv. Auch vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung zu begrüßen, den Bestand einer einzigen Ausstellerinstitution, des Papsttums, über fast zwei Jahrhunderte hinweg integral zu präsentieren. Zwar liegt der erste Teil der Urkunden bereits seit einigen Jahren in einer kritischen Edition vor, an der unter anderem auch der Herausgeber der vorliegenden Edition beteiligt war [1], ihre Wiederaufnahme macht dennoch Sinn, entsteht doch nur so ein vollständiges Bild papsturkundlicher Überlieferung.
Insgesamt wurden 110 Urkunden in den beiden einschlägigen Fondi des Mailänder Staatsarchivs eruiert - neben 100 Papst- auch zehn Legatenurkunden. [2] Dabei sollte man sich aber stets vor Augen führen, dass die ins mittelalterliche tabularium von Chiaravalle aufgenommenen Urkunden nicht die Gesamtheit der Kontakte mit dem Papsttum widerspiegeln: in den vatikanischen Registerserien sind weitere Kontakte dokumentiert, die ergänzend herangezogen werden sollten.
In einer umfangreichen Einleitung, die mit einer Auflistung der edierten Urkunden (unter Angabe des Urkundentyps, 71-74) schließt, geht der Herausgeber nicht nur auf die Abtei- und Historiographiegeschichte von Chiaravalle ein, sondern beschreibt die Archivsituation bis hinein in die Gegenwart ebenso kompetent wie klar. Ein kleiner Abschnitt ist der typologischen Zuordnung der erhaltenen Urkunden gewidmet (53-59). Von großem Wert sind die Ausführungen über die tabellarisch erfassten Kanzleivermerke auf den Urkunden (59-65). Die Editionskriterien werden knapp dargestellt, vielleicht etwas zu knapp, was aus der Sicht des Editors, der summarisch auf "quelli [criteri] normalmente in uso in Italia per le fonti medievali" (65) verweist, zwar nachvollziehbar ist, den Benutzer nördlich der Alpen zunächst aber etwas ratlos zurücklässt.
Doch wird schnell deutlich, dass es sich um ein Musterbeispiel kritischer Editionstätigkeit handelt, von der auch zukünftig all diejenigen profitieren werden, die ebenso wie Timothy Salemme den editorischen Sprung ins späte Mittelalter wagen. Im Anschluss an die Nennung von Aussteller, Quellentyp, Datierung, Ausstellungsort findet sich ein ausführliches, italienisch abgefasstes Regest, auf das sich die ausführliche Diskussion der Überlieferungsgeschichte, die Angabe des Aufbewahrungsortes, Hinweise auf frühere Transkriptionen bzw. Parallelüberlieferungen im Vatikanischen Archiv, frühere Editionen und die Sekundärliteratur anschließen. In den Urkundeneditionen wurden Stellen, die sich identisch in mehreren Stücken finden, kursiv gesetzt. Abbreviaturen wurden aufgelöst und in Klammer gesetzt. In den Fällen, in denen neben dem Original eine (oder mehrere) mittelalterliche Kopien vorliegen, wurden die Varianten in den kritischen Apparat aufgenommen. Historische Informationen wurden im Apparat sparsam gesetzt und betreffen zumeist die Identifizierung von in den Urkunden genannten Personen.
Die Urkunden selbst zeugen vor allem von der Sorge der Mönche in Chiaravalle, ihre mit dem Status der Exemption verbundenen Privilegien nicht zu verlieren und so zumindest ein Mindestmaß an Unabhängigkeit gegenüber dem immer mächtiger werdenden Mailand zu bewahren. Die Häufigkeit, mit der diese Bestätigungen erfolgten, zeigt freilich, wie prekär Freiheit und Unabhängigkeit tatsächlich waren. Mailand als "großes Gegenüber" wurde von anderen Personengruppen flankiert, mit denen man sich ebenfalls auseinanderzusetzen hatte, egal ob dies Bischöfe waren, die auf Besuchen innerhalb der Klausur ihr gewohnte Leben (insbesondere kulinarisch) weiterführen wollten oder Angehörige eines Frauenkonvents, mit denen man über die Nutzung von Wasserrechten aneinander geriet. Im Medium der Papsturkunde eröffnet sich ein durchaus kleinteiliger Kosmos, der Einblicke in die Lebenswirklichkeit von Chiaravalle gestattet. Die Qualität der mitunter beigefügten sehr kleinen Schwarz-Weiß-Abbildungen von Urkunden, deren illustratorischer Wert gegen Null geht, entschuldigt man angesichts der Qualität der vorliegenden Arbeit gerne.
Ob sich wohl jemand finden lässt, der sich nach der Tochter nun endlich auch der Mutter, Clairvaux selbst, annimmt?
Anmerkungen:
[1] M. C. Piva / T. Salemme (a cura di): Le carte del monastero di S. Maria di Chiaravalle milanese. Additiones documentarie (secolo XII), in: Scrineum Rivista 8 (2001); A. Grossi (a cura di): Le carte del monastero di Chiaravalle, II, 1165-1200, in: Codice diplomatico della Lombardia medievale. Secoli VIII-XII, 2008, abrufbar unter: http://cdlm.unipv.it/edizioni/chiaravalle-smaria2.
[2] 83 Urkunden sind in den cartelle 551/552 des Fondo Chiaravalle zu finden. Dabei handelt es sich zum größten Teil um Urkunden, die nach Einrichtung des Zentralarchivs der Kongregation in Chiaravalle verblieben waren. In der cartella 345 des Fondo Monastero di Sant'Ambrogio finden sich 17 weitere Papsturkunden, während die zehn Legatenurkunden in der cartella 553 des Fondo Chiaravalle ruhen.
Ralf Lützelschwab