Letha Böhringer / Jennifer Kolpacoff Deane / Hildo van Engen (eds.): Labels and Libels. Naming Beguines in Northern Medieval Europe (= Sanctimoniales; Vol. 1), Turnhout: Brepols 2014, XII + 235 S., ISBN 978-2-503-55135-7, EUR 80,00
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Mit einem Sammelband zu den Beginen eröffnet Brepols seine neue Reihe 'Sanctimoniales' zum weiblichen Klosterwesen, die vom "Arbeitskreis geistliche Frauen im europäischen Mittelalter / Research Group for the Study of Religious Women in the European Middle Ages" (AGFEM) angeregt wurde. Unter der griffigen Kurzformel 'Labels and Libels' wird darin in acht Beiträgen der Frage nach dem Ursprung des Namens Begine und dessen unterschiedlicher Konnotation durch die Zeitgenossen nachgegangen. 'Spitzname und Schimpfname - Schwestern und Beginen in Selbst- und Fremdbezeichnungen' lautete der deutsche Titel einer internationalen Tagung des AGFEM in Dhaun in der Eifel (2008), deren Beiträge mit den Referaten einer 2009 von der Academy of America veranstalteten Tagung zum Thema 'Medieval Perceptions and Modern Receptions of Beguines' hier in diesem Band vereinigt sind. Als weiteren Beiträger konnte der am Dartmouth College (USA) lehrende niederländische Mediävist Walter Simons gewonnen werden, dem die Beginenforschung eine wichtige Monografie zu den Beginengemeinschaften in den südlichen Niederlanden verdankt. [1] Eingeführt wird der Band von Giles Constable.
Simons befragt hier die frühen Quellen zum Beginenwesen in seinem eigentlichen Untersuchungsgebiet ('Beginnings: Naming Beguines in the Southern Low Countries, 1200-50'). Dazu gehören bekanntlich neben Jakob von Vitry auch der Zisterzienser Cäsarius von Heisterbach und die Viten der Lütticher mulieres religiosae. Der Name Begine wird von Simons einer Hypothese von Maurits Gysseling folgend von der Sprachwurzel 'begg' des englischen Wortes 'to beg' (= stammeln, stockend sprechen, bitten) abgeleitet und als Spitzname für eine außerhalb des Klosters lebende Betschwester aufgefasst. [2] Gebührende Beachtung wird daneben auch der Selbstbenennung der Beginen als 'benigna(e)' geschenkt, die erstmals in der Liturgie zum Fest der Marie von Oignies in Villers überliefert ist. Im Unterschied zum Beitrag von Vera von der Osten-Sacken ('Dangerous Heretics or Silly Fools? The Name 'Beguin' as a Label for Lay Religious Women of Early Thirteenth-Century Brabant') ist Simons jedoch nicht der Auffassung, dass deren Vita als Zeugnis für das Beginenleben gewertet werden sollte. Jakob von Vitry habe die Beginen weder hier noch in seinen anderen Schriften als besondere Gruppe innerhalb der Kirche wahrgenommen oder bestätigt, sondern lediglich allgemein gehaltene Programmpunkte zur Kirchenreform aus dem Kreis des Petrus Cantor für die Predigt aufbereitet.
Zwei Beiträge nehmen die Beginen in Frankreich in den Blick. Tanya Stabler Miller ('Love is Beguine': Labelling Lay Religiosity in Thirteenth-Century Paris') untersucht die Beziehungen zwischen den Beginen und der Gründung der Sorbonne durch Robert von Sorbon. Sie kann sich dabei im Wesentlichen auf einen Aufsatz von Nicole Bériou stützen, wo die von Stabler Miller herangezogenen Predigten zur Verteidigung der Beginen von Seiten Roberts von Sorbon ausführlich analysiert und zitiert werden. [3] Sean L. Field ('On Being a Beguine in France, c. 1300') untersucht die Verhältnisse in den Jahrzehnten vor und nach den Dekreten von Vienne. Letztere interpretiert er als ein von feindlich gesinnten Kirchenmännern ausgehender Versuch zur allgemeinen Durchsetzung einer verurteilenden Definition dieses Terminus. Am Beispiel von Elisabeth von Spaalbeek, Marguerite Porète und der sogenannten pseudo-mulier von Metz, die in einigen Texten von Klerikern als Beginen bezeichnet wurden oder die wie Douceline von Digne († 1274) in ihrer von einer Mitschwester verfassten Vita c. 1312-1320 diesen Namen selber für sich in Anspruch nahmen, kommt Field zum Ergebnis, dass die Verwendung dieses Labels eine Frage der subjektiven Wahrnehmung war, da es einen allgemein kirchlich anerkannten Status der Beginen, etwa erkennbar am gleichen Habit, gar nicht gegeben habe. Er zieht daraus (132) den Schluss, dass das Label Begine eine Kurzformel ('shorthand') für "eine zölibatär lebende, von glühender Frömmigkeit erfüllte Laienfrau war, die aufgrund ihrer äußeren Erscheinung und ihres Verhaltens als verschieden wahrgenommen und deshalb einheitlich so benannt wurde".
So einfach ist das. Und wenn die Status-Frage, die Generationen von Forschenden umgetrieben hat, einfach obsolet ist, so sind es neuerdings auch die Verfolgungen der Beginen. Selbst Elizabeth Makowski, Verfasserin einer interessanten Untersuchung zur Einstellung von Vertretern des kanonischen Rechts gegenüber den 'Quasi-religiösen' Frauen im Spätmittelalter [4], tendiert in ihrem kurzen Beitrag ('When is a Beguine not a Beguine? Names, Norms, and Nuance in Canonical Literature') dazu, den Einfluss der Beginendekrete von Vienne zu relativieren. Sie weist zu Recht auf die sogenannte 'escape' Klausel am Schluss des Dekrets Cum de quibusdam mulieribus hin, die es erlaubte, rechtgläubige Beginen unter Berufung auf ihr bußfertiges Leben vom Verbot auszunehmen. Makowsky zufolge entsprach dies durchaus auch der Linie von Papst Johannes XXII., der in der Bulle Ratio recta (1318?) die unschuldigen Beginen in seinen Schutz nahm. Entscheidend für die Verfolgung der Beginen und der franziskanischen Drittordensangehörigen wurde jedoch die hier nicht erwähnte und im Anhang auch nicht edierte Bulle Sancta Romana (30.12.1317), die ursprünglich gegen die Beginen der Provence gerichtet war, dann aber in Kombination mit den Dekreten von Vienne im Basler Beginenstreit auch nördlich der Alpen eingesetzt wurde.
Auf der lokalen Ebene ergibt sich ein unterschiedliches Bild zur Wirkung der Beginendekrete. Jennifer Kolpacoff Deane ('From Case Studies to Comparative Models: Würzburg Beguines and the Vienne Decrees') stellt in ihrer Fallstudie zu den Würzburger Beginen fest, dass der Name Begine ab 1320 zunächst verschwindet, die früher sogenannten Beginengemeinschaften jedoch weiter existierten. Diese Beobachtung kann auch in vielen anderen Städten des Reiches gemacht werden. Sie leitet daraus ab, dass das Label Begine für die Zeitgenossen offenbar entbehrlich war, nicht jedoch die Lebensweise der Beginen. Infolgedessen kann laut Kolpacoff Deane die (längst überholte) Auffassung von den Beginen als einer gefährdeten Spezies klar widerlegt werden. Die Frage nach den Besonderheiten der Schwesterngemeinschaften in einer geistlichen Stadt wie Würzburg, die gerade für den angestrebten komparativen Zugang aufschlussreich wäre, ist damit aber noch nicht beantwortet. [5]
Die Stadt Köln bietet mit den Schreinsbüchern besonders reiches Material für die hier aufgeworfenen Fragen. Sie werden im interessanten Beitrag von Letha Böhringer unter dem speziellen Aspekt der sogenannten Beginenprofessen ausgewertet, eine Quellensorte, die andernorts sehr selten anzutreffen ist. Dabei handelt es sich um kurze formelhafte Texte, in denen die vor dem Pfarrgeistlichen abgelegten Gelübde der Beginen schriftlich festgehalten und besiegelt wurden. Sie enthielten in der Regel das Gelöbnis 'religiose', d.h. geistlich zu leben und Christus und Maria in Keuschheit zu dienen. [6] Da ein solches Gelöbnis erbrechtliche Konsequenzen nach sich zog, musste es wie andere Rechtsgeschäfte in die Schreinsbücher eingetragen werden. Böhringer zufolge sind diese erstmals 1264 bezeugten Professurkunden ein Zeichen dafür, dass die Beginen einen 'quasi-religiösen' Stand anstrebten, der sie den Nonnen möglichst gleichstellen sollte. Vor allem vermögende Beginen machten von dieser Möglichkeit Gebrauch, während die vielfach als swestriones bezeichneten armen Beginen in den Schreinsbüchern gar nicht präsent sind, dafür aber in den Stiftungsbriefen und Verfolgungsdokumenten anzutreffen sind.
Ebenfalls aufschlussreich und neu ist die Untersuchung von Koen Goudriaan zu den niederländischen Beginen und ihrer Beziehung zur Devotio moderna ('Beguines and the Devotio Moderna at the Turn of the Fifteenth Century'). Goudriaan setzt sich mit der These der niederländischen Historikerin Florence W. J. Koorn auseinander [7], wonach es in den Niederlanden zwei Wellen innerhalb der Beginenentwicklung gegeben habe, deren zweite 1346 nach Abklingen der Bedrohung durch die Dekrete von Vienne angelaufen sei. Goudriaan zufolge ist dieser Zeitpunkt zu früh angesetzt. Er plädiert vielmehr dafür, dieses erneute Aufblühen der Beginengemeinschaften in die Zeit um 1400 zu verschieben und mit den Anfängen der Devotio moderna zu verknüpfen. Er betont dabei die Mittlerrolle des franziskanischen Dritten Ordens, denn über die Annahme der Drittordensregel seien zahlreiche Beginengemeinschaften zur Devotio moderna gekommen, nachdem sich 1399 die devoten Schwestern und Brüder vom Gemeinsamen Leben im Utrechter Kapitel ihrerseits der Drittordensregel unterstellt hatten. [8]
Die Aufsätze von Böhringer und Goudriaan zeigen, wie fruchtbar die gewählte Fragestellung des Bandes sein kann, wenn sie von einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Sache selber getragen wird und nicht allein die Quellen nach der jeweiligen Konnotation des Begriffs absucht. Durch die einseitige Fokussierung auf das Label Begine werden viele Probleme ausgespart oder vereinfacht dargestellt. Die Rolle der Bettelorden, die gerade für die Status-Frage wichtig wäre, wird marginalisiert, der zentrale Begriff des status poenitentiae nur am Rande erwähnt. Viele der hier aufgeführten negativen Stimmen zum Beginentum sind zudem längst bekannt. So kann der vorliegende schmale Band trotz einiger interessanter Beiträge und eines im Epilog entworfenen Forschungsprogramms nur sehr bedingt als repräsentativ für den Stand der heutigen Beginenforschung gelten.
Anmerkungen:
[1] Walter Simons: Cities of Ladies. Beguine Communities in the Medieval Low Countries, 1200-1565, Philadelphia 2003.
[2] Maurits Gysseling: De herkomst van het woord begijn, in: Heemkundig Nieuws: Sint-Amandsberg; Heemkundige kring De Oost-Oudburg 13 (1985), 9-12.
[3] Nicole Bériou: Robert de Sorbon, Le prudhomme et le béguin, in: Académie des Inscriptions et Belles Lettres, Comptes Rendus, 1994, Avril-Juin, 469-485.
[4] Elizabeth Makowski: 'A Pernicious Sort of Woman': Quasi-Religious Women and Canon Lawyers in the Later Middle Ages, Washington, DC 1995.
[5] Vgl. dazu jetzt Hannah Hien: Das Beginenwesen in fränkischen und bayerischen Bischofsstädten (= Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte. Reihe IX: Darstellungen aus der fränkischen Geschichte; Bd. 59), Würzburg 2013. Rezension von Letha Böhringer, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 2, http://www.sehepunkte.de/2015/02/25258.html.
[6] Vgl. dazu auch den Aufsatz von Letha Böhringer: Möglichkeiten und Grenzen der sozialen Einordnung von Kölner Beginen und ihren Familien, in: Städtische Gesellschaft und Kirche im Spätmittelalter. Kolloquium Dhaun 2004, hgg. v. Sigrid Schmitt / Sabine Klapp, Stuttgart 2008, 167-188.
[7] Florence W. J. Koorn: Begijnhoven in Holland en Zeeland gedurende de Middeleeuwen, Assen 1981.
[8] Vgl. dazu das Buch des Mitherausgebers Hildo van Engen: De derde orde van Sint-Franciscus in het middeleeuwse bisdom Utrecht. Een bijdrage tot de institutionele geschiedenis van de Moderne Devotie (= Middeleeuwse Studies en Bronnen; Bd. 95), Hilversum 2006.
Martina Wehrli-Johns