Kathryn Crameri: 'Goodbye, Spain?'. The Question of Independence for Catalonia (= The Cañada Blanch / Sussex Academic Studies on Contemporary Spain), Brighton: Sussex Academic Press 2014, XIX + 190 S., ISBN 978-1-84519-659-2, GBP 50,00
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Andreas Jüngling: Alternative Außenpolitik. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund der DDR und Franco-Spanien (1947 bis 1975), Berlin: Verlag Dreiviertelhaus 2017
Andrew Dowling: Catalonia since the Spanish Civil War. Reconstructing the Nation, Brighton: Sussex Academic Press 2013
Xosé M. Núñez Seixas: Die bewegte Nation. Der spanische Nationalgedanke 1808-2019. Aus dem Spanischen von Henrike Fesefeldt, Hamburg: Hamburger Edition 2019
Inzwischen ist zumindest in der deutschen Presse das Thema der Unabhängigkeit Kataloniens wieder verschwunden, das in den Wochen vor dem 9. November 2014 in ungeahnter Häufigkeit aufgetaucht war - mit Artikeln, die zumeist von Korrespondenten in Madrid geschrieben waren, oftmals mit wenig Kenntnissen der katalanischen Sprache und Kultur und sichtlich unter dem Zwang, schnell ein Thema zu erklären, zu dem man ansonsten wenig Affinität hat. Es ging dabei, fast zwei Monate nach dem gescheiterten Referendum in Schottland, um die von der katalanischen Regierung angesetzte Volksabstimmung, mit der die Unabhängigkeit dieser autonomen Region vom spanischen Staat beschlossen werden sollte. Ohne hier - auch in einem Vergleich zu Schottland - auf die Umstände eingehen zu können, die unter Berücksichtigung der spanischen Verfassungsvorschriften daraus schließlich eine Volksbefragung (consulta) machten, die dann ebenfalls verboten wurde, war das Ergebnis der daraufhin veranstalteten "alternativen" Abstimmung jedenfalls nicht bindend und in der Repräsentativität und damit der Aussagekraft mehr als eingeschränkt. Damit war die Frage einer katalanischen Unabhängigkeit scheinbar erst einmal erledigt.
In Großbritannien mit seiner im Unterschied zu Deutschland reichhaltigen Forschungslandschaft zur spanischen Zeitgeschichte und Politik an den Universitäten erschien wenige Monate vor dem 9. November 2014, rechtzeitig zu dem voraussehbaren Interesse, die hier besprochene Arbeit der an der Universität Glasgow lehrenden Hispanistin Kathryn Crameri mit einem katalanischen Schwerpunkt. Wie sehr sie von dem Bemühen, an die Aktualität anzuknüpfen, bestimmt ist, macht das Vorwort des britischen Generalkonsuls in Barcelona der Jahre 2002 bis 2005 deutlich. Bei seinem Abschied 2005 habe die Frage der Unabhängigkeit keine größere Rolle gespielt. Innerhalb weniger Jahre änderte sich das drastisch, wie er an den verschiedenen Etappen skizziert, die die Herausbildung einer Massenbewegung markieren.
Doch wäre es falsch, hier nur einen mit dem Verstreichen des Ereignisses uninteressant gewordenen Schnellschuss zu vermuten. Mit dem Anspruch auf eine Analyse der Entwicklungen in den letzten Jahren knüpft Crameris Buch in einem gewissen Sinne an die Darstellung von Andrew Dowling "Catalonia since the Spanish Civil War" an. [1] Darin wurde aufgezeigt, wie sich in Katalonien, trotz der gewaltsamen Unterdrückungsbemühungen der frankistischen Sieger, das Bewusstsein einer eigenständigen Identität wieder entwickeln konnte. War das Engagement in den ersten Jahrzehnten nach dem Tod Francisco Francos 1975 noch auf eine möglichst weitgehende Autonomie gerichtet, so trat im Zusammenhang mit den von Madrid vorgenommenen Beschränkungen des neuen Autonomiestatuts von 2006 und dann als Folge der Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008/09 ein Wandel zutage. Es entwickelte sich eine breite Unabhängigkeitsbewegung auf der Straße.
Doch während Dowlings Interessen sich vor allem auf den Ablauf der Politik richteten, liegt Crameris Fokus auf den kulturellen Entwicklungen, die sie bereits in ihrer Dissertation über eine Reihe moderner katalanischer Schriftsteller und in einer Darstellung des Zusammenhangs von katalanischer Identitätsentwicklung und Kulturpolitik für das Vierteljahrhundert der Nach-Franco-Ära untersucht hat. [2] Doch auch bei ihr beginnt natürlich die Darstellung mit den politischen Verschiebungen, die nach 2000 zur Herausbildung einer in der Öffentlichkeit dominierenden Unabhängigkeitsstimmung, nachweisbar in zahlreichen Meinungsumfragen der letzten Jahre, führten. Sie untersucht die zugrunde liegenden Motive in der Mischung aus emotionalen "identitären" - als Reaktion auf das Madrider Verhalten - und rationalen ökonomischen - als Antwort auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Kataloniens - Beweggründen, die in der Verbindung mehrheitsfähig wurden und die Massenmobilisierung der letzten Jahre trugen, als in einem Land von heute etwa 7,5 Millionen Einwohnern an bestimmten Jahrestagen mehrere Millionen Menschen auf die Straße gingen.
Den Hauptteil von Crameris Arbeit machen Untersuchungen zu den kulturellen Manifestationen aus, etwa Erfolgsromane, die bestimmte Phasen der politischen Unterdrückung Kataloniens oder die Auseinandersetzung um die Verwendung der katalanischen Sprache thematisieren. Vor allem aber die Massenmedien und insbesondere das - im Rahmen der Autonomie eingerichtete - katalanische Fernsehen artikulierten und artikulieren diesen Meinungsumschwung, u.a. in einer Reihe populärer Dokumentationen oder einem satirischen Programm zum Zeitgeschehen, was dann auch heftiges Echo in Madrid hervorgerufen hat. Diese neue, auf Unabhängigkeit ausgerichtete Einstellung gipfelte in mehr oder weniger konkreten literarischen Vorstellungen einer zukünftigen katalanischen Unabhängigkeit, die sich als überaus populär erwiesen. Dabei haben sich als größte Herausforderungen, denen sich die Vertreter der Unabhängigkeit stellen mussten, vor allem zwei Probleme ergeben: das Bemühen um die Vermeidung einer ethnischen - und damit be- und ausgrenzenden - Definition des Katalanischen sowie die Herausforderungen durch die Ungewissheit der Folgen einer Unabhängigkeit.
Crameri verzichtet darauf, sich für oder gegen die Forderung nach Unabhängigkeit auszusprechen. Dazu müsste man auch noch stärker die ökonomische Seite berücksichtigen, die sie nur am Rande behandelt. Sie analysiert die Herausbildung der Hegemonie der Unabhängigkeitsforderung, wie sie sich in der kulturellen Sphäre niedergeschlagen hat, und die vielfältigen Motive, die sich dahinter verbargen. Hegemonie heißt aber durchaus nicht Geschlossenheit. So verweist die Autorin auch auf die Herausbildung einer Gegenbewegung, die sich bewusst als Anti-Unabhängigkeitsströmung definiert, ohne dabei aber ein bloßer Ableger der traditionellen spanischen Rechten sein zu wollen.
Nach dem Unabhängigkeitsreferendum vom 9. November 2014 hat sich die Situation in Spanien dramatisch verändert, und es ist schwierig abzuschätzen, welche Folgen das für die Wahlen zum katalanischen Parlament in diesem September haben wird, die nach Meinung der Unabhängigkeitsbefürworter ein Ersatzplebiszit darstellen sollen. Doch das Auftreten neuer politischer Kräfte auf gesamtspanischer Ebene - Podemos auf der Linken und die Partei Ciutadans/Ciudadanos ("Bürger") - hat auch in Katalonien neue Erwartungen erweckt, dass grundlegende Veränderungen in einem gesamtspanischen Rahmen erfolgen könnten. Damit ist zwar nicht die Unabhängigkeitsforderung verschwunden, wohl aber der scheinbar unaufhaltsame Zuspruch erst einmal zurückgegangen. Nach einer neuesten Umfrage liegt die Ablehnung der Unabhängigkeit nun sogar wieder knapp in Führung mit ca. 48 % gegen 44 % (laut der Tageszeitung La Vanguardia vom 4. Mai 2015). Ob das nur ein Tal ist, dem wieder ein Anstieg folgt, oder ob sich neue politische Kombinationen durch eine gesamtspanische Erneuerung herausbilden, wird sich erst noch zeigen. [3] Crameris Studie liefert jedenfalls wichtige Parameter zum Verständnis dieser Entwicklung.
Anmerkungen:
[1] Andrew Dowling: Catalonia since the Spanish Civil War. Reconstructing the Nation, Brighton 2013. Vgl. dazu meine Rezension, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 11 [15.11.2013], URL: http://www.sehepunkte.de/2013/11/23275.html. Beide Arbeiten sind übrigens mit Unterstützung des Cañada Blanch Center for Contemporary Spanish Studies und des Catalan Observatory, beides bedeutende, maßgeblich von Paul Preston bestimmte Forschungseinrichtungen an der London School of Economics, erschienen.
[2] Kathryn Crameri: Language, the Novelist and National Identity in Post-Franco Catalonia, Oxford 2000; dies.: Catalonia. National Identity and Cultural Policy, 1980-2003, Cardiff 2008.
[3] Vgl. die Artikel "El soberanismo en horas bajas" und "¿Es más fácil que Cataluña se independice o que España se reforme?", in: El País vom 15. bzw. 16. Februar 2015.
Reiner Tosstorff