Rezension über:

Bastian Hein: Die SS. Geschichte und Verbrechen (= C.H. Beck Wissen; 2841), München: C.H.Beck 2015, 127 S., 10 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-67513-3, EUR 8,95
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Rezension von:
Heiner Möllers
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Heiner Möllers: Rezension von: Bastian Hein: Die SS. Geschichte und Verbrechen, München: C.H.Beck 2015, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 6 [15.06.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/06/26915.html


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Bastian Hein: Die SS

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Kann man die Geschichte der SS auf 126 Seiten so komprimieren, dass ihre Rolle in der deutschen Terrorherrschaft über nahezu Gesamteuropa erfahrbar und nachvollziehbar wird? Ja, man kann!

Der Verfasser, Bastian Hein, bekannt durch eine hervorragende Studie zur "Allgemeinen SS" [1], die das personelle Reservoir der "Schutzstaffel" begründete, fasst im vorliegenden Bändchen unter Verzicht auf Fußnoten und unter Hinweis auf die einschlägige Literatur in fünf Kapiteln die Geschichte der SS zusammen. Von den "Bescheidenen Anfängen" über die "Ablösung von der SA", den "Schwarzen Orden" und das "Staatsschutzkorps des Dritten Reiches" kommt er zur "Schutzstaffel im Zweiten Weltkrieg", der die Nachkriegszeit folgt. In dieser nahm die SS durchaus die Rolle eines "Alibi[s] einer Nation" wahr - für alles Böse in den Jahren von 1933 bis 1945 schien allein sie verantwortlich zu sein.

Alle Kapitel zeichnen sich durch eine in sich stimmige Beschreibung aus. Die untrennbare Verbindung von SS und Massenmord (1) an den europäischen Juden ist dabei integraler Inhalt des ganzen Buches. Der damit einher gehende "Wesenskern der SS", in ihrem Handeln der NS-Weltanschauung vorzuarbeiten, nicht immer erst auf Befehle zu warten sondern "durch die radikale Auslegung" den Vorgesetzten - bis hin zu Himmler und Hitler - "entgegenzuarbeiten", wird unübersehbar (17 unter Bezugnahme auf Ian Kershaw).

Die herausragende Bedeutung Heinrich Himmlers als "Reichsführer SS" [2] bündelt Hein auf einer Seite. Er charakterisiert damit gleichzeitig die Sozialstrukturen des SS-Führerkorps (17), das in besonders enger Beziehung zu ihm stand. Himmler gelang es, Personen um sich zu sammeln, die 1. nicht immer auf schriftliche Befehle warteten, die 2. in enger persönlicher Beziehung (inklusive Treue und Gehorsam) zu ihm standen und mitunter seine Fürsorge zu spüren bekamen, die 3. die "kongeniale Mischung aus ideologischer Verbohrtheit und politischem Instinkt" zwischen Hitler und Himmler antizipierten und 4. davon profitieren konnten, dass Himmler von seinen politischen Gegnern - u.a. Göring und Goebbels - immer wieder eklatant unterschätzt wurde.

In der SS sorgte Himmler für eine nach kruden Vorstellungen definierte 'Bestenauslese', die mit einer Mindestgröße von 1,70 Metern Körpergröße einen "nordischen Neuadel" anstrebte, der später als neue "Rasse" das "Großgermanische Reich" führen sollte. Die dahinter stehenden Ideen - inklusive Ahnenerbe, Lebensborn und der Suche nach Anknüpfungspunkten in der mittelalterlichen Geschichte - wie auch die sozialdarwinistischen Vorstellungen setzten sich neben der Rekrutierung vor allem in beinahe inzestösen Abstammungslehren ausrichtenden Versuchen durch, Nachwuchs für das "Schwarze Korps" zu gewinnen. Dass nur zehn Prozent der SS-Bewerber diese Kriterien erfüllten und die SS zum Kriegsende beinahe jeden nahm, den sie kriegen konnte, offenbart die Widersprüchlichkeit solcher Vorstellungen (33).

Maßgeblich für die deutsche Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts war die Organisation des Unterdrückungs- und Mordapparates, für den die SS das Synonym schlechthin ist (58-75). Von der Übernahme des deutschen Polizeiapparates in wenigen Jahren und der Übernahme und Neuorganisation des KZ-Systems war es nur ein kleiner Schritt zu den Einsatzgruppen, die im Krieg gegen Polen und die Sowjetunion zu den schlimmsten Mörderhorden zählen, die die Geschichte kennt. Alle diejenigen, die nicht in die Ideologie des Nationalsozialismus passten, waren fortan Opfer dieser Willkür: Neben dem industrialisierten Mord an den europäischen Juden und Sinti und Roma waren es auch die Zivilisten in den besetzten Gebieten in Ost- und Mitteleuropa. Millionen von Toten waren das Ergebnis einer von Staatswegen erfolgten Menschenjagd. Dass Himmler und die SS dabei auf die Zustimmung Hitlers sowie vieler Deutscher rechnen konnten und der weit verbreitete Antisemitismus dem Vorschub leistete, steht außer Frage.

Die Rolle der Waffen-SS beschreibt Hein pointiert: Es waren keine "Soldaten, wie andere auch". Sie waren wie alle Übrigen in der SS nicht weniger weltanschaulich durchdrungen und infiziert vom "Herrenmenschendenken" und "ihre Einsatzgeschichte [ist] eine ununterbrochene Kette von Gewaltverbrechen (Jens Westemeier)" (84). Ebenso treffend skizziert Hein den Charakter des Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg, den die Wehrmacht im Sinne Hitlers führte und den die SS zu ethnische Säuberungen ungeahnten Ausmaßes nutzte. Beides gehört zusammen: man kann den Einsatz der Wehrmacht und Waffen-SS niemals vom Völkermord in Osteuropa trennen (86-102).

Die deutsche Gesellschaft machte nach 1945 für alle schlechten Seiten des Nationalsozialismus die SS verantwortlich. Sie bot das "Alibi einer Nation", wie sich schon beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess herausstellte. Bemerkenswert ist dennoch, dass schon 1945/46 Zeugenaussagen von Otto Ohlendorf oder Rudolf Höß erkennen ließen, was die SS getan hatte und dass dies nicht ohne Zustimmung, Billigung, Unterstützung und Mitwisserschaft maßgeblicher Teile der politischen und militärischen Führung wie auch der Billigung und Duldung weiter Bevölkerungsteile erfolgt war (103-110).

Erschreckend ist vielmehr, wie sich eine ganze Nation hinter der SS zu verstecken schien. Selbst Prozesse, wie die in Ulm oder Frankfurt, waren kaum dazu geeignet, einen Bedeutungswandel über die SS in der westdeutschen Nachkriegsbevölkerung zu erzielen. Noch unerträglicher ist, dass viele der Täter nach verkürzten Haftstrafen exponierte Stellungen in Wirtschaft und Gesellschaft erlangen konnten. Hier zieht sich die Blutspur der SS von Stadelheim 1934 über Landsberg 1951 weiter in renommierte Unternehmen. Jüngere Forschungen haben nachgewiesen, dass es sich bei den Angehörigen der SS zumeist um "überzeugte, hochgradig motivierte Weltanschauungstäter" handelte, die den "nationalsozialistischen Kampf um Lebensraum und gegen die Juden [und viele andere Minderheiten !] mit ebensolcher Sachlichkeit wie Unbedingtheit führten." (117)

Das gut lesbare Buch eignet sich zur Pflichtlektüre für Alle, die sich mit der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 befassen.


Anmerkungen:

[1] Bastian Hein: Elite für Volk und Führer? Die Allgemeine SS und ihre Mitglieder 1925-1945 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; Bd. 92), München 2012, VIII + 356 S., 16 s/w-Abb., ISBN 978-3-486-70936-0, EUR 39,80. Rezension in: sehepunkte 14 (2014), 7/8, URL: http://www.sehepunkte.de/2014/07/24869.html.

[2] Reichsführer! Briefe an und von Himmler, hrsg. v. Helmut Heiber, Stuttgart 1968.

Heiner Möllers