Rezension über:

Owen Wright: Music Theory in Mamluk Cairo. The ġayat al-maţlūb fī ‘ilm al-adwār wa-’l-ḍurūb by Ibn Kurr (= SOAS Musicology Series), Aldershot: Ashgate 2014, X + 361 S., ISBN 978-1-4094-6881-3, GBP 75,00
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Rezension von:
Mohammad Gharaibeh
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Conermann
Empfohlene Zitierweise:
Mohammad Gharaibeh: Rezension von: Owen Wright: Music Theory in Mamluk Cairo. The ġayat al-maţlūb fī ‘ilm al-adwār wa-’l-ḍurūb by Ibn Kurr , Aldershot: Ashgate 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 7/8 [15.07.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/07/26529.html


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Owen Wright: Music Theory in Mamluk Cairo

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Die Forschung zur Mamlukenzeit war und ist nach wie vor dominiert von Studien zur Geschichte und Historiographie der Zeit. Studien zur Gesellschaft und zur intellektuellen Landschaft erfreuen sich zwar seit den letzten zehn Jahren gestiegener Beliebtheit, jedoch sind sie noch lange nicht so zahlreich wie sie angesichts der reichen Quellenlage sein könnte. Das zu rezensierende Buch schließt eine Forschungslücke und bringt frischen Wind in die Mamlukenforschung. Es beschäftigt sich mit der Musikwissenschaft, legt einer kritische Edition eines musikwissenschaftlichen Text vor und eine ausführliche Darstellung dessen Inhalts.

Das Ġāyat al-maṭlūb fī ʿilm al-adwār wa-l-ḍurūb des Abū ʿAbd Allāh Šams ad-Dīn Muḥammad b. ʿīsā b. Ḥasan b. Kurr al-Baġdādī, der in Kairo 1282 geboren und dort 1357 gestorben ist, gilt als einzige theoretische Abhandlung, welche - wie Wright überzeugend darstellen kann - den musikwissenschaftlichen Diskurs Kairos in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts abbildet. Kein anderer Text sei aus der Zeit erhalten geblieben, noch verweisen spätere Abhandlungen zur Musiktheorie auf Schriften aus dieser Zeit und Region. Ganz anders stellt es sich nämlich mit Texten z.B. aus Bagdad dar. Dort ist die sehr einflussreiche Abhandlung von Ṣāfī d-Dīn b. Fāḫir al-Urmarī mit dem Titel "k. al-Adwār" etwa ein Jahrhundert früher entstanden und zu einer Art Standardtext aufgestiegen. Zahlreiche Kommentare wurden zu diesem verfasst, welche dessen Definitionen der Skalen, Tonarten und Taktarten übernahmen. Was die Abhandlung Ġāyat al-maṭlūb von Ibn Kurr darüber hinaus noch so besonders macht, ist die Tatsache, dass sie dem Inhalt und Aufbau nach dem k. al-Adwār zwar stark ähnelt, dieses aber weder zitiert noch darauf hinweist. Ibn Kurr gibt eine Reihe von alternativen Definitionen. Dass er sich dabei nicht auf die eher mathematisch berechneten Definitionen von Intervallen einlässt, stützt für Wright seine Annahme, dass es sich bei dem Autor nicht um einen Philosophen oder Theoretiker, sondern vielmehr um einen Praktiker handele, welcher für eine gut informierte Leserschaft schrieb, die mit Grundkenntnissen vertraut waren.

Das Studie ist in acht Kapitel eingeteilt, von denen sich Kapitel zwei bis sieben nach dem Inhalt des Ġāyat al-maṭlūb orientieren. In der Prelude (Kapitel 1) gibt Wright auf 15 Seiten eine knappe aber dichte Einführung in die Entwicklung der Musikwissenschaften. Sie dient dazu, die Besonderheiten Ibn Kurrs Werk hervorzuheben. Dafür teilt Wright die arabischen musiktheoretischen Werke in zwei Perioden ein, von denen sich die erste von der ersten Hälfte des 9. Jh. bis zur ersten Hälfte des 11. Jh. erstreckt und vom griechischen Denken beeinflusst war. Philosophen und Theoretiker wie al-Fārābī (gestorben 950), al-Kindī (gestorben c. 867) und Ibn Sīnā (gestorben 1037) sind hier an erste Stelle zu nennen. Die zweite Periode, welche Wright von der Mitte des 13. Jh. bis zum Ende des 15. Jh. absteckt, scheint hingegen geprägt von persischen, türkischen und arabischen Texten und Traditionen. Dies ist deshalb so vorsichtig formuliert, weil die Forschungsliteratur diese Periode bislang nur rudimentär erforscht hat und sich bislang auf Texte stützte, welche die Ausführungen al-Fārābīs und Ibn Sīnās weiterführten. Ein zentraler Text aus der zweiten Periode ist das bereits oben erwähnte k. al-Adwār des al-Urmawī (gestorben 1294). Ihm schenkt Wright etwas mehr Aufmerksamkeit und erläutert dessen Aufbau. Denn ihn sieht Wright stellvertretend für die Tradition der Systematiker, denen er Ibn Kurrs Werk gegenüber stellt.

Dies geschieht schließlich in den folgenden Kapiteln. In mühsamer Kleinarbeit geht Wright Absatz für Absatz des arabischen Text durch, stellt dessen Inhalt dar und klärt die Terminologien und Konzepte. Wo es sinnvoll und nötig ist, stellt Wright die Ausführungen Ibn Kurrs den Terminologien und Definitionen al-Urmawīs (und teilweise auch Širāzīs (gestorben 1311) gegenüber, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Das Kapitel 2 ist der Einleitung des Werkes gewidmet, während sich das dritte und vierte Kapitel mit der Rhythmik beschäftigt. Detailliert geht Wright auf jede von Ibn Kurr eingeführte Taktart ein, erläutert sie, stellt sie grafisch dar und zeigt anschließend die Abweichungen zu den Taktarten al-Urmawīs auf. Um Tonarten geht es im fünften und sechsten Kapitel. Wie bei den vorangegangen Kapiteln erläutert Wright entlang des Originals zunächst die Grundlagen und Terminologien, welche sich von denen anderer Werke unterscheiden. Dann folgt die Darstellung der verschiedenen Tonarten, welche sich teilweise im Bereich der Vierteltöne bewegen und sich so für den modernen Musikliebhaber kaum noch nachvollziehen lassen.

Im siebten Kapitel zieht Wright ein Fazit aus seiner Analyse, indem er das Gesamtwerk in den sozialen, kulturellen und intellektuellen Kontext seiner Zeit stellt und die Gegenüberstellung mit al-Urmawī auswertet. Feststeht für Wright, dass das Ġāyat al-maṭlūb den zeitgenössischen Musikdiskurs in Kairo einfängt (239). Durch die kleinteilige Analyse in den Kapiteln zwei bis sechs kann Wright darüber hinaus überzeugend aussagen, dass sich das Ġāyat al-maṭlūb nicht nur dem Entwurf der Systematiker wie al-Urmawīs etc. entzieht, sondern ein vollkommen anderes Alternativsystem nutzt und präsentiert (239). Darüber, ob es sich bei dem in dem Werk wiedergegebenen Musikdiskurs um eine Elitediskurs handelt, oder ob die breite Bevölkerung daran teilnahm, wie sich die Musik weiterentwickelte, und ob etwas typisch "mamlukisches" daran sei, kann jedoch auf Grund mangelnder Quellen nicht geklärt werden. Die Studie schließt mit der Edition des Textes ab, dem er eine kurze Einführung (Kapitel 8) voranstellt, in dem Wright die Handschrift beschreibt und auf Besonderheiten eingeht.

Mit dieser Studie hat Wright eine verdienstvolle Arbeit geleistet, welcher große Anerkennung gebührt. Zugegeben, die sehr detaillierte Beschreibung des Inhalts des Textes, welche über weite Strecken sehr deskriptiv ist, stellt eine gewisse Herausforderung auch für den interessierten Leser dar. Bei den zahlreichen arabischen und persischen Termini und den musikwissenschaftlichen Fachbegriffen verliert der Leser schnell den Überblick und man muss eine große Portion Interesse, Zeit und Willen mitbringen, um sich durch die Kapitel arbeiten zu können, erst Recht, wenn wenig musikwissenschaftliche Vorkenntnisse vorhanden sind. Auch der teilweise stark verschachtelte Schreibstil des Autors und die sogar für das Deutsche zu langen Sätze (der längste Satz geht über 13 Zeilen) machen es dem Leser nicht unbedingt leichter. Dennoch ist es eine hervorragende Studie, von der man sich wünscht, es gebe mehr ihrer Art auch auf anderen Gebieten der Wissenschaften. Denn nur durch seine detaillierte Analyse kann Wright überzeugend zu seinem Ergebnis kommen. Dabei zeigt er seine herausragende Kenntnis der Materie, sowie seine Fähigkeit, das schwierige und sehr theoretische Original zu dekodieren und dem Leser zugängig zu machen. Die grafischen Darstellungen der Taktarten und Rhythmen sowie die Notierung der Tonarten bringen den theoretischen Diskurs in praktisch verständliche Nähe, auch wenn man wohl einige musikwissenschaftliche Vorkenntnisse benötigt, um wirklich davon zu profitieren.

Dankenswert wird der Leser das Glossar und den Index finden. Wer des Arabischen mächtig ist, kann sich darüber hinaus durch die hervorragende Edition einen authentischen Eindruck vom Original verschaffen und findet erneut die Leistungen des Autors in dieser Studie bestätigt. In allem also eine hervorragende Grundlagenstudie, welche durch ihre Detailarbeit überzeugt und Einblicke in einen Themenbereich verschafft, der sonst nicht auf der wissenschaftlichen Agenda der Mamlukenforschung steht.

Mohammad Gharaibeh