Hans Georg Hiller von Gaertringen / Katrin Hiller von Gaertringen: Eine Geschichte der Berliner Museen in 227 Häusern, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2014, 472 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-422-07273-2, EUR 39,90
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Berlin vibriert. Die deutsche Hauptstadt ist offen, international und beständig im Wandel. Davon betroffen ist auch die vielfältige und weltweit bedeutende Museumslandschaft der Metropole, die insbesondere seit der Wiedervereinigung von Ost und West in einem umfassenden Prozess der Umstrukturierung und Neuorganisation begriffen ist.
Neben den fünfzehn Sammlungen der Staatlichen Museen und den fünf Einrichtungen der Stiftung Stadtmuseum konkurriert eine große Bandbreite weiterer landeseigener Häuser und Heimatmuseen um die über 10 Millionen Besucher im Jahr. Die teils öffentlich, teils privat betriebenen Einrichtungen bieten die ganze thematische Palette von Kunst und Kultur, über Naturwissenschaft, Berliner Heimat- und Landesgeschichte bis hin zu Gedenkstätten neuerer deutscher Geschichte. Wesentliche Zentren bilden die Museen in Dahlem und Charlottenburg, sowie das Kulturforum in der Nähe des Potsdamer Platzes. Allen voran lockt die in Mitte gelegene Museumsinsel, die mit dem 1830 eröffneten Alten Museum als erstem Neubau zur Präsentation kunst- und kulturgeschichtlicher Exponate als Ursprungsort der Berliner Museen gilt und 1999 auf die Liste des UNESCO Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Umfassende Baumaßnahmen haben die Kulturlandschaft der Stadt in den vergangenen Jahren maßgeblich verändert - weitere Vorhaben wie der Masterplan zur Instandsetzung und Weiterentwicklung der Museumsinsel dauern noch an.
So ist es nicht leicht einen Überblick über die Vielfalt der Sammlungen sowie ihrer Historie zu erlangen und in einer Publikation angemessen zusammen zu stellen. Angesichts der Bedeutung der Berliner Museen ist es dennoch erstaunlich, dass bisher wenig Literatur erschienen ist, die dies überhaupt versucht. Stattdessen existieren Guides zum aktuellen Bestand, wie der "Berliner Museumsführer" (Wolfgang Henkel, 1992) und eine Vielzahl an Einzeluntersuchungen zu den Häusern. Dazu zählen unter anderem die "Schriften zur Geschichte der Berliner Museen", die ausgewählte historische Abschnitte beleuchten - zum Beispiel die Königlichen Museen Berlins im Ersten Weltkrieg (Petra Winter / Jörn Grabowski: Zum Kriegsdienst einberufen, 2014). Der Deutsche Kunstverlag füllt diese Lücke nun mit einer 2014 herausgegebenen Anthologie, die auf über 450 Seiten eine umfangreiche Zusammenfassung über die Berliner Museen "in 227 Häusern" zu geben verspricht.
Katrin und Hans Georg Hiller von Gaertringen wagen hierin in acht Oberkapiteln eine chronologisch nach Gründungsjahren sortierte Aufstellung aller Museen von den ersten Anfängen im alten Preußen, über Kaiserzeit, Weimarer Republik sowie Drittes Reich bis hin zur Nachkriegszeit in Ost und West und schließlich bis in die Gegenwart. Ziel der Verfasser ist es, dabei nicht nur die Entwicklungslinien "von der barocken Kunstkammer bis zum Computerspielemuseum" aufzuzeigen, sondern auch die Zusammenhänge zwischen den Häusern und ihre jeweilige individuelle Bedeutung herauszustellen. Um Verknüpfungen deutlich zu machen, werden die Museen nicht nur chronologisch, sondern zusätzlich in Unterkapiteln nach räumlichen oder thematischen Einheiten gegliedert. Als Beispiele hierfür seien die getrennte Betrachtung von Staatlichen und Privatmuseen in Ost-Berlin (Kap. 5) oder das Unterkapitel "Anfänge der Museumsinsel" (Kap. 1) genannt. Die einleitenden Texte informieren jeweils über die Besonderheiten der Standorte, sowie die politischen und gesellschaftlichen Hintergründe, die die Entstehung der jeweiligen musealen Zentren oder neuer Themenschwerpunkte begünstigt haben. So stehen die Anfänge der Museumsinsel in engem Zusammenhang mit dem Sieg Preußens über Napoleon 1815 und der Rückführung geraubter Kunstwerke nach Berlin, die patriotisch gefeiert wurde. Das hiernach für die Werke von Karl Friedrich Schinkel 1922 konzipierte Alte Museum gesellte sich dem bereits vorhandenen Ensemble aus Schloss, Dom, Zeughaus und Börse bei, wodurch die Kultur eine bedeutende symbolische Aufwertung erfuhr und eine eigenständigere Stellung gegenüber dem Königtum signalisiert wurde. Das Neue Museum, das wenige Jahrzehnte später entstand, erweiterte das Spektrum von Antiken und Gemälden um ägyptische sowie vor- und frühgeschichtliche Exponate. Aus dem so beschriebenen Aufbau der Publikation, die nicht nur die bekannten und heute noch existenten Häuser aufnimmt, sondern auch die kleinen, teils skurrilen und vielen im Verlauf der Geschichte wieder geschlossenen Museen berücksichtigt, ergibt sich ein detailliertes Bild über die Entstehungsgeschichte der Berliner Museumslandschaft.
Die Beschreibungen der einzelnen Museen folgen einem konsequenten Schema, das einen schnellen Überblick erlaubt. Zu Beginn werden tabellarisch die wichtigsten Informationen gegeben. Dazu gehören Gründungs- und eventuell Schließungsjahr des Hauses, Adresse und Öffnungszeiten - auch jene nicht mehr existenter Museen - sowie wichtigste Daten der Baugeschichte und Namen der federführenden Architekten. Im anschließenden Text gehen die Autoren auf die Bedeutung des Hauses, die Sammlungsgeschichte sowie die Architekturgeschichte und deren jeweilige Entwicklung bis in die Gegenwart ein. Eine Auswahl von Fotografien mit Innen- und Außenansichten sowie Exponatbeispielen und teils ergänzende Grundrisse, Stiche oder alte Postkartenansichten machen dem Leser das Ganze anschaulich. Hilfreich sind auch die jeweils zum Abschluss angeführten Literaturverweise, die zur Selbstrecherche anregen.
Kritisch zu sehen ist die dagegen nicht in jedem Punkt nachvollziehbare Definition des Museumsbegriffs. Zwar ist es lobenswert und aufschlussreich, dass die Autoren auch periphere Themen und Häuser in den Katalog aufgenommen haben, doch ob beispielsweise das im Ost-Berlin der 1980er-Jahre entstandene "Hundemuseum", mit einer Privatsammlung von Nippes und Hundefotos den Statuten des Deutschen Museumsbundes gerecht wird, ist fraglich. Denen zufolge handelt es sich bei einem "Museum" um eine Einrichtung mit fachlicher Konzeption sowie einer Sammlung, die wissenschaftlich auswertbar ist und eine eindeutige Bildungsfunktion erfüllt.
Andere Häuser, die historisch bedeutend sind, wie zum Beispiel das Stasigefängnis Hohenschönhausen, werden dagegen leider ausgeklammert, da hier der Ort und nicht die museale Ausstellung im Vordergrund stehe. Konsequent ist dies nicht unbedingt, da wiederum in Kapitel 5 - dankenswerter Weise - literarische Gedenkstätten, die ähnlich fungieren, eben doch Beachtung finden.
Diese Kritikpunkte schmälern jedoch nicht den Wert dieser umfassenden und sehr informativen Gesamtdarstellung Berliner Museumsgeschichte, die eine wichtige Lücke in den Publikationen über die Museen der Hauptstadt schließt und in seiner ansprechenden Aufmachung und Handhabung schnell zur Lektüre einlädt.
Dorle Meyer