Philippe Lafargue: Cléon. Le guerrier d'Athéna (= Ausonius-Éditions - Scripta Antiqua; 52), Pessac: Ausonius Editions 2013, 354 S., ISBN 978-2-35613-084-6, EUR 25,00
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Robin Osborne (ed.): Debating the Athenian Cultural Revolution. Art, Literature, Philosophy, and Politics 430-380 BC, Cambridge: Cambridge University Press 2007
Simon Goldhill / Robin Osborne (eds.): Rethinking Revolutions through Ancient Greece, Cambridge: Cambridge University Press 2006
Craig Cooper (ed.): Epigraphy and the Greek Historian, Toronto: University of Toronto Press 2008
Die Kernfrage des aus einer Thése de doctorat (2009) in Bordeaux erwachsenen Buches Philipp Lafargues lautet, ob das Negativbild, das vor allem Thukydides (s. nur 2,65) und Aristophanes vom athenischen Politiker Kleon zeichneten, zutreffend war oder nicht. Beide Autoren haben ihn als Demagogen vorgestellt, der dem Volk schmeichelte, statt es zu führen, bestechlich und brutal war, als militärischer Führer versagte usw. Damit hob er sich nach Thukydides' bis in die Moderne einflussreichem Urteil als dessen mediokrer Nachfolger scharf ab von Perikles.
Lafargues Analyse dieser und ähnlicher Sichtweisen dienen intensive Erkundungen von Quellen und moderner Forschung. Die Anmerkungen umfassen die Seiten 157 bis 312, was nicht verwundert, sind doch zahlreiche Kriegsstrategie, Seebund, Demokratie usw. betreffende Fragen anzuschneiden, will man Kleon gerecht werden.
Die Darstellungstendenzen besonders des Aristophanes und des Thukydides sowie deren prägende Ausstrahlung auf die gesamte spätere Rezeption Kleons - überwiegend als eine "figure noire" - werden in der Einleitung und im ersten Kapitel aus ihren politischen und kulturellen Grundlagen hergeleitet.
Lafargue versucht in Auseinandersetzung damit in seinem ersten Hauptteil stattdessen Kontinuitäten aufzuzeigen, in die Kleons Außen- und Innenpolitik sich einfügten. Er setzt ein mit dem "Krieg als Erbe", das Kleon als bedeutendster Vertrauensmann des Volkes anzutreten hatte, schreitet fort über die Mytilene-Debatte und die Erfolge der Pyloskampagne bis zu Niederlage und Tod vor Amphipolis: Entgegen der gängigen Kontrastierung des 'Olympiers' mit dem Demagogen ging es beiden um die Erhaltung der Thalassokratie Athens, ohne während des Krieges deren Ausdehnung anzustreben, und die Stärkung der damit verzahnten Demokratie ohne Radikalisierung. Perikles' Kriegstrategie wurde fortgesetzt und Kleon agierte mit ähnlicher Härte wie sein Vorgänger, um Athens Herrschaft bzw. 'Tyrannis' zu behaupten. Große Unterschiede sind zumal dann nicht auszumachen, bedenkt man, dass erst in den Jahren seiner Prominenz der Krieg und die 'Pest' die Athener deutlich radikalisiert hatten. In Lafargues Sicht war Kleon somit ein getreuer "Krieger" der Schutzgöttin Athens, folgte vorgezeichneten Wegen und fiel schließlich im patriotischen Dienst für seine Polis.
Problematisch erscheint jedoch der Schluss, dass Kleons Position während der Mytilene-Debatte, d.h. sein Antrag, die Mytilenaier zu töten bzw. zu versklaven, mit dem Kurs des Perikles in Einklang gestanden habe. Überzeugender ist der Gedanke, dass die "Brückenkopfbildung" bei Pylos, die zu Kleons größtem militärischen Erfolg führen sollte, mit Perikles' epiteichismós-Plänen übereinstimmte. Dasselbe kann aber entgegen Lafargue kaum für Kleons Forderung an Sparta (425) gelten, Teile der 446/5 verlorenen Positionen und Einflussgebiete Athens zu restituieren. Thukydides hat mit Einfügung der spartanischen Gesandtenrede (4,17-20; vgl. 4,41), die ohne Gegenrede bleibt (!), seine Auffassung signalisiert, dass Kleon mit seinen für Sparta unerfüllbaren Forderungen ab Sommer 425 Chancen vertan hatte, zu einem Friedensvertrag zu gelangen, der Athens Kriegsziel (das von Lafargue nicht diskutiert wird) erreichte. Diese Betonung der spartanischen Friedensbemühungen indiziert einen politischer Dissens, der die Ablehnung Kleons miterklärt: Der hatte nach Thukydides gute Gelegenheiten zur Beilegung des Krieges verpasst (5,14) und daher Rückschläge mitzuverantworten, die bis 422/1 folgten. Nach Lafargue war Kleon jedoch nicht grundlos überzeugt, dass durch Preisgabe von Pylos und der gefangenen Spartaner nur ein prekärer Frieden zu erreichen wäre. Wie stabil ein solcher Vertrag gewesen wäre, ist natürlich diskutabel. Aber kein Frieden konnte Athen gegen die erneute Durchsetzung einer 'Kriegspartei' in Sparta sichern. 425-424 durfte man aber durchaus kalkulieren, dass die Chancen überwogen, und ein Abschluss bescheinigte, dass Athens arché und der ihr eigene Grad herrschaftlicher Dynamik feste Größen griechischer Politik geworden waren. Es ist daher fraglich, ob die Zurückweisung der Friedensersuchen unter Kleons Ägide Athens Interessen entsprach.
Wie Lafargue darlegt, hatte Kleon nach dem Sphakteria-Erfolg zunächst weitgehend freie Hand bei Gestaltung der Politik Athens, das er anscheinend bereits als Sieger sah. Daher wurde die Erhöhung der Tribute in der sogenannten Kleonschatzung und die der Tagesdiäten für die Geschworenenrichter ergänzt durch die Entscheidung, den Tempel der Athena Nike auf der Akropolis zu errichten. Zu diskutieren gewesen wäre, inwieweit die Veranlagung aller Poleis und Dynasten, die jemals zum Seebund gehört hatten, nicht auf eine expansive Zielsetzung Kleons hinauslief, und ob es in der Ära Kleons generell zu einer Verschärfung der Herrschaft Athens gekommen ist. Bei der Erhöhung des Dikastensoldes und somit beim weiteren Ausbau der Demokratie bewies Kleon nach Lafargues Einschätzung Augenmaß, zumal er keine eigennützigen demagogischen Ziele verfolgte. Lafargue hält Kleon zugute, dass er als erfolgreicher Führer eigentlich den Archidamischen Krieg beendet hat, da die Gefangennahme der Spartaner auf Sphakteria weitere Einfälle nach Attika verhinderte und damit einen der wichtigsten Antriebe für 'Pest' und Hunger abstellte. Allerdings fällt bei solcher Wertung dann doch stärker, als Lafargue zugesteht, ins Gewicht, dass ein Teil des Erreichten durch das Scheitern des Thrakienfeldzuges und den Verlust von Amphipolis - laut Lafargue mehr durch Brasidas' Brillanz als Kleons Versagen verursacht - wieder zunichte gemacht worden ist.
Lafargue führt Thukydides' Urteil über Kleon zurück auf dessen Mitwirkung an seiner Verbannung und auf einen regelrechten Hass auf den Parvenü. Dass solche Faktoren Thukydides stark selektives Kleonbild mitbestimmt haben, ist nicht unwahrscheinlich. Doch waren eben politische Kriterien für die Einschätzung des Historikers ebenso, wenn nicht mehr, relevant, da er Kleons Führungsqualitäten in Thrakien, seine Ablehnung der spartanischen Friedensangebote und die Haltung gegenüber Mytilene negativ bewertete.
Bei Hinweisen der Komödie auf Aktivitäten Kleons ist Lafargue generell skeptisch. Er rechnet eher mit der Phantasie der Dichter als mit realen Grundlagen für ihre Scherze. Folge ist, dass z.B. die Bedeutung von Prozessen und damit Aspekte der innenpolitischen Auseinandersetzungen in den Hindergrund treten, die während der Ära Kleons das Klima beeinflusst haben, und Anspielungen der Komödie und späterer Historiker auf Bestechlichkeit Kleons zu einseitig als bloße Erfindungen klassifiziert werden.
Im zweiten Teil der Arbeit geht es um Kleon als "Archetyp des Demagogen". Lafargue untersucht minutiös alle Vorbehalte und Vorwürfe, herabsetzenden Vergleiche etc., die gegen Kleon gerichtet wurden und ihn als eine Art neuen Thersites und Gegenteil eines kalòs kagathós in der Volksversammlung erscheinen ließen. Er kritisiert die Zeichnung Kleons als Angehöriger des Pöbels, Volksverführer und ebenso korrupten wie brutalen Politikers: Solche Charakterisierungen, bes. in der Komödie, waren Ergebnis vorurteilsbehafteter Stereotypisierung. Stattdessen akzeptiert Lafargue eine genealogisch-familiale Einordnung Kleons als Spross einer vermögenden Familie, welche dank der Prosperität Athens bereits in der Pentekontaetie aufgestiegen und gut mit der Oberschicht verbunden war. Die Realitätsnähe der Komödien-Topoi zur Kennzeichnung Kleons als skrupelloser, mit Traditionen brechender Demagoge erscheint Lafargue insgesamt fraglich, zumal Thukydides Art und Weise seines Auftretens gar nicht kommentierte und die Kraft der Rhetorik Kleons bezeugte.
Lafargue zweifelt an einem älteren Konflikt zwischen ihm und Aristophanes und führt den angeblichen Streit Kleons mit den Rittern zurück auf eine Fehlinterpretation einschlägiger Komödienpassagen im 4. Jahrhundert. Gestützt auf Aristot. Ath.pol. 28,2-3, wo er fugenlos unter die Führer des Demos eingereiht ist, kritisiert Lafargue W.R. Connors Einordnung Kleons als Vertreter eines neuen Politikertyps und einer "neuen Generation" von Politikern, die nach Perikles' Tod in Erscheinung getreten wären und einen sozialen Umbruch markiert hätten. Tatsächlich droht die ungleiche Verteilung der Quellen für innenpolitische Entwicklungen vor und nach 432/1 Phänomene, die erst danach greifbar werden, als neu erscheinen zu lassen, weil Kontinuitäten verdeckt bleiben. Demgemäß ist nach Lafargue eine wirkliche Zäsur bei Ephialtes anzusetzen und die folgende Entwicklung einschließlich Kleons ein Kontinuum. Da er auch keine Veränderung der politischen Spielregeln herbeiführte, bestand der Unterschied zu Perikles lediglich im Stil.
Auch Lafargue kann sich nicht von dem bereits in der Antike angelegten 'perikleischen Maßstab' der Beurteilung Kleons lösen, hellt dessen Bild gegen die allzu dunkle Überlieferung aber deutlich auf. Nicht all seine Ergebnisse werden ungeteilte Zustimmung finden. Zu unterstreichen ist aber, dass Lafargue eine tragfähige, in sich kohärente Synthese vorgelegt hat, die es verdient, bei allen weiteren Debatten über die kleonischen Ära herangezogen zu werden.
Nützliche Verzeichnisse und Indices, Karten und Abbildungen sowie eine detaillierte Gliederung runden den sorgfältig produzierten Band ab.
Bernhard Smarczyk