Katherine Blouin: Triangular Landscapes. Environment, Society, and the State in the Nile Delta under Roman Rule (= Oxford Studies on the Romans Economy), Oxford: Oxford University Press 2014, XXVI + 429 S., 5 Abb., 5 Karten, 28 Tabellen, , ISBN 978-0-19-968872-2, GBP 80,00
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Im Zentrum vorliegender Studie steht der Mendesische Gau im Nordosten des ägyptischen Deltas. Dieser Gau soll aufgrund seiner vergleichsweise guten Quellenbasis gleichsam als Fallbeispiel für die übrigen, weniger gut dokumentierten Deltaregionen dienen. Denn neben literarischen Notizen und den drei ergrabenen Orten Mendes, Thmouis und Tell Tebilla liegt hier auch das sogenannte Thmouis-Archiv vor (CAT = Carbonized archives from Thmuis). Hierbei handelt es sich um eine Gruppe verkohlter, z.T. jedoch äußerst umfangreicher Papyri [1] aus einem öffentlichen Archiv, die sich aus Finanz- und Katasterberichten sowie Aufstellungen über Steuerrückstände aus der Zeit vom Ende des 2. bis zum Beginn des 3. Jahrhunderts zusammensetzen. Die Arbeit steht in der Tradition der "new environmental history", die die enge reziproke Verbindung zwischen dem Menschen und seiner natürlichen Umgebung betont. Erklärtes Ziel ist es, die römische Herrschaft in Ägypten - sozusagen durch die Mendesische Linse - in einen größeren chronologischen und ökologischen Kontext zu stellen, und zwar durch eine Analyse von Netzwerken lokaler Milieus, sozio-ökonomischen Dynamiken und agrofiskalischen Strategien (6f.).
Bevor es jedoch um die römische Zeit geht, wird eine äußerst ausführliche, rund 100-seitige Einleitung zur Hydrologie des Deltas (13-36), den Quellen zum Mendesischen Gau (37-70) und dem Gau in vorrömischer Zeit (71-103) geboten. Ist gegen eine solche Hinführung zum Thema grundsätzlich nichts einzuwenden, ist die Ausführlichkeit der Darstellung allerdings fraglich. Weshalb beispielsweise jeder Papyrus aus dem Thmouis-Archiv mit Erhaltungszustand und Inhaltsangabe referiert werden muss, wenn in den jeweiligen thematischen Kapiteln noch einmal ausführlich auf diese Quellen eingegangen wird, ist nicht ersichtlich.
Der Hauptteil wird eröffnet durch ein Kapitel zur Topographie und zur administrativen Geographie des Mendesischen Gaues in römischer Zeit. Hier kann die Autorin einige neue Lokalisierungen anbieten (107-125), die auch in Karten visualisiert werden (Maps 3-5). Im Hinblick auf die Verwaltung des Gaues und die im Bereich des Wassermanagements greifbare Terminologie unterscheidet sich der Gau grosso modo nicht von den übrigen Regionen Ägyptens (128-138). Dasselbe gilt für die einzelnen Landkategorien (139-169).
Auch bei der Bewirtschaftung und Besteuerung zeichnet sich ein Bild ab, das im Großen und Ganzen an das übrige Ägypten erinnert (173-207): Der Getreideanbau, insbesondere von Weizen, überwiegt gegenüber Obst und Gemüse. Auf semiariden und salzigen Böden ist Viehzucht weit verbreitet. Auf den feuchteren, für die Deltaregion typischen Böden werden Flachs und Papyrus angebaut sowie Jagd und Fischfang/-zucht betrieben. Besonders flexibel wurde die Bewirtschaftung der im Delta relativ großen Flächen von Grenzertragsböden gestaltet (209-239). Aride und semiaride Böden wurden häufig mit Gerste, Bohnen oder Wein in Polykultur bebaut, die einen höheren Ertrag als Weizen erzielten und gleichzeitig die Risiken minimierten. Hierbei handelte es sich vor allem um Privatland, für das der römische Staat durch niedrigere Steuern einen besonderen Anreiz zur Kultivierung schuf (209-220). Feucht- und Schwemmland, das der Jagd, Fischerei und Viehzucht sowie dem Anbau von Wasserpflanzen diente, verpachtete der Staat demgegenüber (220-239). All diese Nutzungsarten sind bis ins Mittelalter und teilweise sogar bis in die heutige Zeit nachweisbar.
Die letzten beiden Kapitel sind schließlich der sozio-ökonomischen Krise um die Mitte des 2. Jahrhunderts gewidmet, die ihren Ausdruck in einer massiven Anachorese (243-266) und schließlich im Aufstand der Boukoloi (267-297) fand. Hier zeichnet die Autorin im Detail die einzelnen Etappen und die Reaktion der römischen Autoritäten vor Ort nach. Sie kann überzeugend nachweisen, dass der Ausgangspunkt die Austrocknung des Landes durch die Versandung des Mendesischen Nilarmes darstellte. Der darauf folgende wirtschaftliche Ruin vieler Deltabewohner führte zu ihrer Anachorese und zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Damit bildeten letztlich umweltbedingte Dynamiken den Ausgangspunkt des Aufstandes der Boukoloi.
Das Buch wird beschlossen durch zwei Appendices (1: Corpus "Mendesischer" Papyri; 2. Besteuerung des Mendesites), ein Glossar (336-337) sowie eine Bibliographie (339-396) und einen Quellen- und Sachindex (397-429).
Positiv hervorzuheben ist, dass der Mendesische Gau als Fallbeispiel umfassend und diachron untersucht wurde, zum Teil von pharaonischer bis in heutige Zeit, sodass Konstanten im Bereich agrarischer Praktiken sichtbar werden. Durch die Kombination verschiedener historischer und ökonomischer Methoden und Theorien sowie Quellen ist es der Autorin gelungen, einen tieferen Einblick in das aufgrund der schlechten Quellenlage häufig wenig beachtete Delta zu bieten und so manche Stereotype zu entlarven. Dabei wird der Blick oftmals auch auf das übrige Ägypten und das übrige römische Reich gelenkt, sodass der Mendesische Gau kontextualisiert wird.
Allerdings fällt an einigen Stellen auf, dass neuere deutsche Publikationen nicht berücksichtigt wurden [2] oder auf deutsche, in der Bibliographie verzeichnete Literatur in den entsprechenden Kapiteln in den Fußnoten nicht verwiesen wurde, wie z.B. auf das Standardwerk von A. Jördens, Statthalterliche Verwaltung in der römischen Kaiserzeit. Studien zum praefectus Aegypti (Historia Einzelschriften 175), Stuttgart 2009, bei der Anachorese und den Boukoloi. Zudem lassen sich zahlreiche, auch auf die langen einleitenden Kapitel zurückzuführende Redundanzen ausmachen, die die Darstellung sehr langatmig machen. Des Weiteren werden die Quellen häufig rein deskriptiv wiedergegeben und aneinander gereiht, und zwar bisweilen so ausführlich, dass Fragestellung bzw. Argumentation verloren gehen. Gerade angesichts dessen, dass die Autorin der angelsächsischen Praxis entsprechend zahlreiche Ergebnisse bereits an anderer Stelle publiziert hat (zum Beispiel zur Toponymie oder den Boukoloi), hätte auf eine solche erschöpfende Darstellung verzichtet werden können. Und nicht zuletzt aus diesem Grund wäre am Ende der Untersuchung auch eine abschließende Synthese wünschenswert gewesen, die die eingangs gestellten Fragen noch einmal aufgreift und beantwortet. So endet die Darstellung etwas abrupt mit dem Aufstand der Boukoloi.
Anmerkungen:
[1] Von P.Thmouis 1 sind beispielsweise 177 Kolumnen erhalten.
[2] Wie z.B. D. Schäfer: Makedonische Pharaonen und hieroglyphische Stelen. Historische Untersuchungen zur Satrapenstele und verwandten Denkmälern (Studia Hellenistica; 50), Leuven u.a. 2011, 239-276, insbesondere 272-273 (u.ö.) zum auf der Mendesstele genannten Kanal (77-79).
Sandra Scheuble-Reiter