Helen Bury: Eisenhower and the Cold War Arms Race. 'Open Skies' and the Military-Industrial Complex, London / New York: I.B.Tauris 2014, XIV + 285 S., ISBN 978-1-7807-6279-1, EUR 85,65
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Wohl kaum ein US-Präsident im 20. Jahrhundert war so versiert in militärstrategischen Fragen wie der Weltkriegsgeneral Dwight D. Eisenhower. Diesen Umstand hat sich Helen Bury zunutze gemacht, um die Bedeutung von Eisenhowers "Open Skies"-Initiative, mit der er am 10. Mai 1955 während des Genfer Viermächte-Gipfels die sowjetische Verhandlungsdelegation überraschte, für die Außen- und Sicherheitspolitik im "long context" der Präsidentschaft zu untersuchen. "Open Skies" sah vor, dass die beiden Supermächte gegenseitig ihre Verteidigungsstrukturen offenlegten und der Gegenseite die Luftaufklärung im eigenen Land ermöglichten. Eisenhower wollte mit diesem Vorschlag die Möglichkeit eines nuklearen Überraschungsschlages minimieren und ein kostspieliges Wettrüsten in der Zukunft unterbinden. Letztlich lehnte Moskau diesen Vorschlag ab, weil Nikita Chruschtschow sich zu diesem Zeitpunkt bereits einer Politik des nuklearen Bluffs verschrieben hatte und mittels eines vorgetäuschten Nuklearwaffenarsenals den Westen in Abrüstungsverhandlungen verstricken wollte. Eine umfassende Luftüberwachung durch die USA hätte diesen Rüstungsrückstand enttarnt. "Open Skies" war also bereits 1955 gescheitert. Helen Bury nutzt die Idee jedoch geschickt als Brennglas für ihre Dissertation, um damit zentrale Aspekte der Außen- und Sicherheitspolitik Eisenhowers auf der Grundlage von Akten aus amerikanischen und britischen Archiven zu erhellen.
Im ersten Kapitel geht Bury knapp der Entstehung des "militärisch-industriellen Komplexes" nach - ein Begriff, den Eisenhower in seiner Abschiedsrede 1961 geprägt hat. Dabei stützt sie sich recht einseitig auf die Ideen von Harold Lasswell und Aaron Friedberg, wonach so genannte "specialists on violence" aus Politik, Militär und Industrie Bedrohungen überzeichnen und damit aus unterschiedlichen Interessenlagen heraus zur Entstehung eines "garrison state", mit Blick auf die Gesellschaft, bzw. eines "contract state", mit Blick auf Wissenschaft und Industrie, beitragen. Die Autorin sieht in der Umsetzung des Strategiepapiers NSC 68 nach Ausbruch des Koreakriegs 1950, auf die eine beispiellose Aufrüstung im konventionellen und nuklearen Bereich folgte, jenen Wendepunkt, an dem die "specialists on violence" die Oberhand gewannen. Wichtige Studien zur Entstehung des amerikanischen "warfare state" von Michael Hogan und James Sparrow werden dabei allerdings ignoriert, wie auch insgesamt zu wenig Forschungsliteratur zur Kenntnis genommen wird. [1]
Im zweiten Kapitel zeigt die Autorin schlüssig auf, dass Eisenhowers sicherheitspolitische Strategie des "New Look" den letzten Versuch einer US-Regierung darstellte, sicherheitspolitische Exzesse einzudämmen. Eisenhower begriff den Kalten Krieg als langandauernden Konflikt. Im Nuklearzeitalter galt es daher, die Werte des "American Way of Life" zu schützen, ohne dabei die Nation in den Bankrott zu treiben. Die Sicherheit sollte einerseits durch die Abschreckungsdoktrin der "massiven Vergeltung" gewährleistet werden, die eine sofortige Vergeltung sowjetischer Angriffe mit massiven Nuklearschlägen vorsah, und andererseits der Vermeidung von Stellvertreterkriegen in der Dritten Welt. Im Kern waren beide Ansätze Kriegsvermeidungsstrategien, weil Eisenhower wusste, dass jedem direkt ausgetragenen militärischen Konflikt mit der UdSSR eine potentielle nukleare Eskalation innewohnte. Die damit verbundene Nuklearisierung der US-Streitkräfte ermöglichte zudem die Begrenzung der bis dahin ausufernden Verteidigungskosten. Für die Effizienz der Abschreckungsdoktrin war es jedoch notwendig, möglichst exakt die Stärke der konventionellen und nuklearen Streitkräfte der Sowjetunion zu kennen. Eine Umsetzung von "Open Skies" hätte es also beiden Seiten ermöglicht, ein minimales Abschreckungskonzept zu verwirklichen und damit ein kostspieliges Wettrüsten zu vermeiden.
Anschließend zeichnet Bury die Entstehung des "Open Skies"-Konzeptes nach und zeigt, dass Eisenhower und seine Berater unterschiedliche Hoffnungen damit verbanden. Verantwortlich für die konzeptionelle Ausarbeitung war das "Quantico Panel", einer von Eisenhower eingesetzten zivilen Beratergruppe, der mehrere Größen des außenpolitischen Establishments angehörten. Das einigende Bindeglied innerhalb dieser überparteilich zusammengesetzten Gruppe war ein tiefsitzender Antikommunismus. Die beiden wichtigsten Mitglieder waren der schwerreiche Industriespross Nelson Rockefeller und der Harvard-Ökonom Walt Rostow, der später unter Kennedy der kreative Kopf des Nationalen Sicherheitsrats werden sollte. Mit Blick auf die Genfer Gipfelkonferenz betrachtete die Quantico Gruppe "Open Skies" nicht als vertrauensbildende Maßnahme auf dem Weg zu einer Rüstungsbegrenzung wie Eisenhower, sondern als Möglichkeit, die USA in der Systemkonkurrenz wieder in die Offensive zu bringen.
Die folgenden Kapitel zeigen, wie Eisenhower während seiner Amtszeit zunehmend in Konflikt mit dem sicherheitspolitischen und militärischen Establishment geriet, das die Doktrin der "massiven Vergeltung" für unflexibel hielt und eine massive Aufrüstung konventioneller Waffen zur Führung begrenzter Kriege forderte. Die größten Qualitäten entfaltet die Dissertation bei der Beschreibung des weiteren Wirkens des "Quantico Panel", weil sie aufzeigt, wie sich die Gruppe um Rockefeller und Rostow nach dem Scheitern von "open skies" zunehmend verselbstständigte und schließlich öffentlich gegen den Präsidenten auf der Grundlage gefühlter Bedrohungen und geschätzter Zahlen Stellung bezog. Somit musste Eisenhower seine fiskalische Zurückhaltung in der Verteidigungspolitik und seine strategische Stringenz nicht nur gegen Skeptiker in seiner eigenen Regierung verteidigen, sondern auch gegen eine wachsende Zahl von einflussreichen Politikern, Industriellen und Wissenschaftlern, die ohne Kenntnis der Fakten behaupteten, es sei ein gefährlicher "missile gap" entstanden. Dank der seit 1956 operierenden U2-Spionageflugzeuge wusste Eisenhower jedoch, dass in Wirklichkeit eine Raketenlücke zugunsten der USA bestand. Da die Aufklärungsflüge über sowjetischem Territorium grundsätzlich heikel waren, konnte er sein stärkstes Argument jedoch nie gegen seine Kritiker außerhalb der Regierung in Stellung bringen. Rockefeller, Rostow und ihre Gefährten in den US-Elitezirkeln ergingen sich weiter in der Bekämpfung imaginierter Bedrohungen. Eisenhowers stoisches Veto gegen die Etablierung eines "militärisch-industriellen Komplexes" entfaltete somit nur aufschiebende Wirkung.
Obwohl die nachfolgenden Regierungen dank Eisenhower über Satellitenaufklärung verfügten, führte dies nicht zu verteidigungspolitischer Umsicht. Die imaginierten Bedrohungen trotzten den Fakten geheimdienstlicher Aufklärung. Diese Problematik hat bereits Sunzis Schrift über "Die Kunst des Krieges" auf den Punkt gebracht: "Wer den Gegner kennt und sich selbst, wird in hundert Schlachten nicht in Not geraten. Wer den Gegner nicht kennt, sondern nur sich selbst, wird das eine Mal siegen, das andere Mal unterliegen. Wer aber weder den Gegner kennt noch sich selbst, der wird in jeder Schlacht unweigerlich geschlagen werden." [2] So betrachtet ist die Nachkriegsgeschichte der USA keine Erfolgsgeschichte. Die ungebrochene Macht des militärisch-industriellen Komplexes und die Etablierung eines "warfare states" (Michael Hogan) zeugen gegenwärtig von einer Wertekrise des "American Way of Life". Es ist Helen Burys Verdienst, dem Leser jene Wendezeit vor Augen geführt zu haben, in der das außen- und sicherheitspolitische Establishment der USA begann, keinen Wert mehr darauf zu legen, sich selbst und seinen Gegner zu kennen.
Anmerkungen:
[1] Michael J. Hogan: A Cross of Iron. Harry S. Truman and the Origins of the National Security State 1945-1954, Cambridge 1998; James T. Sparrow: Warfare State. World War II Americans and the Age of Big Government, Oxford / New York 2011.
[2] Sunzi: Die Kunst des Krieges. Aus dem Chinesischen übertragen und mit einem Nachwort versehen von Volker Klöpsch, Frankfurt a.M. / Leipzig 2009, 20.
Thomas Freiberger