James E. Cronin: Global Rules. America, Britain and a Disordered World, New Haven / London: Yale University Press 2014, 409 S., ISBN 978-0-300-15148-0, GBP 25,00
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"The United States does not rule the world". Mit dieser provokanten Aussage beginnt der US-Historiker James E. Cronin (Boston College) sein 2014 veröffentlichtes Buch. Der Autor vertritt darin die These, dass die USA und Großbritannien in den 1980er-Jahren gemeinsam die Regeln schufen, die sich in den 1990er-Jahren als Normen durchgesetzten haben und seitdem das Leben aller Menschen bestimmen. Freie Märkte und Menschenrechte sind laut Cronin die "Global Rules", welche die Beziehungen zwischen Staat, Wirtschaft und dem Individuum regeln (1). Damit präsentiert er eine neue und interessante Perspektive auf die internationalen Beziehungen des 20. und 21. Jahrhunderts.
Dem Autor gelingt es mit dieser großen These verschiedene aktuelle Debatten zu bedienen und so ein breites Publikum anzusprechen. Vor dem Hintergrund der Diskussion über den Aufstieg Chinas zur potentiellen Supermacht argumentiert Cronin gegen den angeblichen "American Decline" nach der Jahrtausendwende. [1] Zugleich stellt er mit seinem revisionistischen Standpunkt aktuelle geschichtswissenschaftliche Debatten über eine größere Bedeutung der Dekolonisierung und der Relativierung des Ost-West Konfliktes im 20. Jahrhundert in Frage. [2] Laut Cronin wurde das 20. Jahrhundert von dem Konflikt zwischen Kapitalismus und Sozialismus sowie dem Antagonismus zwischen Demokratie und Diktatur bestimmt (4).
Im Zentrum des Buches steht die Geschichte der angloamerikanischen Beziehungen von den 1970er-Jahren bis zur Jahrtausendwende. Dabei stützt sich Cronin sowohl auf vorhandene umfassende Forschungen zur "Special Relationship" zwischen den USA und Großbritannien, als auch auf Archivquellen und Zeitzeugeninterviews. [3] Die 319 Textseiten des Buches gliedern sich neben einem Epilog in neun Kapitel, von denen sich die ersten beiden mit den 1970er-Jahren beschäftigen, jeweils drei mit den 1980er- und 1990er-Jahren, auf denen der Schwerpunkt der Analyse liegt.
Zu Beginn der ersten beiden Kapitel zeichnet Cronin die Skizze einer langen Vorgeschichte des globalen Einflusses beider Staaten. Dreimal haben die USA und Großbritannien demnach im 20. Jahrhundert die Welt nach ihren Vorstellungen neu geordnet, 1918, 1945 und 1990. Ausgangspunkt der letzten Neuordnung waren die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen der 1970er-Jahre. Die Ölpreiskrise, Watergate, Stagflation und Arbeitslosigkeit schürten die Krisenperzeption der Menschen in Europa und den USA. Diese forderten von ihren Regierungen neue Konzepte zur Bewältigung der komplexen Herausforderungen. Das angloamerikanische Bündnis konsolidierte sich unterdessen in der Suche nach einer multilateralen Lösung der Probleme. Dabei war ihre gemeinsame Politik in den 1970er-Jahren geprägt von der "preference for the traditional, for patching up the system and making minor modifications" (54). Am Ende der 1970er-Jahre erhoben sowohl Großbritannien als auch die USA die Menschenrechte zu einem zentralen Prinzip ihrer Außenpolitik mit dessen Hilfe die "moralische Krise" im Inland überwunden werden sollte. Zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme trugen sie jedoch nicht bei. "By the end of the 1970s, a succession of failures had elicited a revulsion against those in power and against the shared assumptions by which they governed." (91)
Dies änderte sich mit Margret Thatcher und Ronald Reagan, deren Amtszeiten in den Kapiteln vier bis sechs ausführlich analysiert werden. In ihnen sieht Cronin zwei konservative Visionäre, welche die gleiche Weltanschauung teilten und in einem "joint crusade" für ihre Vorstellung einer neuen Weltordnung kämpften (96). Freie Märkte und der globale Kampf gegen den Kommunismus waren die politischen Ziele, mit denen die Krisen der 1970er-Jahre überwunden werden sollten. Die "Special Relation" erlebte in dieser Zeit einen Höhepunkt, zugleich verschärfte sich das Verhältnis zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Großbritannien. Thatcher und Reagan wollten die Rezession und die zu hohen Staatsausgaben reduzieren, ihre Mittel waren Privatisierung, Deregulierung der Finanzmärkte und die fiskalische Umverteilung von unten nach oben. Diese Politik produzierte Gewinner und Verlierer, wie Cronin betont, und schürte soziale Spannungen in den Gesellschaften. Zugleich arbeiten Thatcher und Reagan intensiv daran, ihre neoliberale Vision des "Good Governance" in internationalen Institutionen wie dem General Agreement on Tariffs and Trade oder der Europäischen Gemeinschaft zu verankern. Menschenrechte spielten zu Beginn ihrer Amtszeiten keine Rolle und wurden dem Kampf gegen den Kommunismus untergeordnet. Erst später erhielten sie Einzug in die Politiken beider. Vor allem Reagan erkannte Mitte der 1980er-Jahre deren praktischen Nutzen, um die Sowjetunion politisch unter Druck zu setzten. Das Ende der UdSSR 1991 wurde schließlich als nachträgliche Bestätigung der "Atlantic Rule" gewertet, als Beleg für die normative Kraft der freien Märkte und der Demokratie (181).
In den Kapiteln sieben bis neun untersucht Cronin, wie die von Thatcher und Reagan etablierten Normen durch die Europäische Union, die World Trade Organization, die NATO und die UN in den 1990er-Jahren institutionalisiert und verbreitet wurden. Überraschend ist dabei das hohe Maß an Kontinuität in der Politik ihrer Nachfolger. Egal, ob Labour oder Tories, ob Republikaner oder Demokrat, niemand stellte das Ideal der Symbiose von freier Marktwirtschaft und Demokratie in den 1990er-Jahren in Frage (250). Zugleich legt der Autor die katastrophalen Auswirkungen der neoliberalen Reformen für die Wirtschaft und die Menschen in Osteuropa offen. Die Förderung der Menschenrechte führte hingegen zu mehreren Humanitären Interventionen und im Zusammentreffen mit der Globalisierung schließlich zur "Responsibility to Protect" von 2001, so Cronin (280).
Dem Autor gelingt es, anhand der Analysekategorien Wirtschaft und Moral die komplexen Korrelationen zwischen Innen- und Außenpolitik offenzulegen und zu zeigen, wie sich politische Konzepte in einem Zeitraum von vierzig Jahren zu internationalen Normen durchsetzen konnten. Zugleich erklärt er, wie das Primat der staatlichen Souveränität durch das Ideal freier Märkte und der Menschenrechte in den 1990er-Jahren ausgehöhlt wurde. Dabei überzeugt Cronin vor allem mit Blick auf die Entwicklung des Neoliberalismus, mit Blick auf die Geschichte der Menschenrechte eher weniger. Zum einen ist die dafür gewählte Perspektive zu eng und eurozentrisch: Die Genese der Menschenrechte im 20. Jahrhundert war ein polyzentrischer Prozess, der von verschiedenen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren geformt wurde, und sich nicht auf die Politiken zweier Staatsoberhäupter zurückführen lässt. [4] Zum anderen ist Cronins Menschenrechtsbegriff zu weit gefasst. Begriffe wie Demokratie, Freiheit und "Good Governance" sind nicht synonym mit Menschenrechten. Menschenrechte implizieren einen universellen Rechtsanspruch und genau diesem verweigern sich die USA teilweise.
Trotz dieser Kritik birgt Cronins These viel Potenzial für die zeitgeschichtliche Forschung und die Analyse der politischen Gegenwart. Der erste Satz des Buches sollte somit nicht als Aussage, sondern als rhetorische Frage verstanden werden: The United States does not rule the World? Weitere empirische Studien werden zeigen, ob sich diese Sicht auf die 1980er- und 1990er-Jahre durchsetzen wird. Damit ist dieses Buch ein Muss für alle, die sich mit der Geschichte der internationalen Beziehungen auseinandersetzen, und für die, die nach den historischen Zusammenhängen der Finanzkrise von 2008, der späteren Eurokrise oder des wiederaufflammenden Ost-West Konfliktes in der Ukraine suchen.
Anmerkungen:
[1] Für eine intensive öffentliche Debatte sorgte unter anderem: Marin Jacques: When China Rules the World. The End of the Western World and the Birth of a New Global Order 2009; ansonsten auch Joseph S. Nye zu dem Thema: https://www.washingtonpost.com/opinions/american-power-in-the-21st-century-will-be-defined-by-the-rise-of-the-rest/2013/06/28/f5169668-dced-11e2-9218-bc2ac7cd44e2_story.html (09.09.2015).
[2] Akira Iriye: Global Interdependence. The World after 1945 (= A History of the World Series; Bd. 6), Cambridge 2013; Jost Dülffer / Wilfried Loth (Hgg.): Dimensionen internationaler Geschichte, München 2012; Madeleine Herren / Martin Rüesch / Christiane Sibille: Transcultural History. Theories, Methods, Sources, Heidelberg 2012.
[3] Für die 1950er-Jahre vor allem: Ursula Lehmkuhl: Pax Angloamericana. Machtstrukturelle Grundlagen angloamerikanischer Asien und Fernostpolitik in den 1950er Jahren, München 1999; Für die 1970er-Jahre zum Beispiel: Niklas Rossbach: Heath, Nixon and the Rebirth of the Special Relationship: Britain, the US and the EC, 1969-74, Basingstoke 2009[GTP1], vgl. die Rezension von Holger Klitzing in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 9 [15.09.2011], http://www.sehepunkte.de/2011/09/18733.html; Thomas Robb: A Strained Partnership? US-UK relations in the era of détente, 1969-77, Manchester 2013; Andrew Scott: Allies Apart: Heath, Nixon and the Anglo-American Relationship, Basingstoke 2011.
[4] Vgl. Jan Eckel: Die Ambivalenz des Guten. Menschenrechte in der internationalen Politik seit den 1940er Jahren, Göttingen 2014[GTP2], vgl. die Rezension von Jost Dülffer in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 1 [15.01.2015], http://www.sehepunkte.de/2015/01/26103.html.
Peter Ridder