Sebastian Conrad: Globalgeschichte. Eine Einführung (= Beck'sche Reihe; 6079), München: C.H.Beck 2013, 304 S., ISBN 978-3-406-64537-2, EUR 14,95
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Angesichts der zunehmenden Globalisierung interessiert sich seit einigen Jahrzehnten eine größere Gruppe von Historikern für Verflechtungszusammenhänge in der Vergangenheit. Die Debatten werden weltweit an verschiedenen Orten in unterschiedlicher Intensität geführt. Mittlerweile existieren auch schon sehr überzeugende Studien - man denke in Deutschland nur an Jürgen Osterhammels fulminante Arbeit "Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts" (München 2009). Der Berliner Historiker Sebastian Conrad, der sich schon häufig mit substantiellen Beiträgen in diese Diskussion eingebracht hat, legt nun eine monografische Einführung in die facettenreichen Ansätze vor. Und in der Tat gelingt dem Verfasser eine sehr übersichtlich strukturierte Darstellung der vielen Trends dieses spannenden Forschungsfeldes. In seiner Einleitung versucht Conrad seinen überaus uneinheitlichen Gegenstand zu definieren: "Im Mittelpunkt stehen grenzüberschreitende Prozesse, Austauschbeziehungen, aber auch Vergleiche im Rahmen globaler Zusammenhänge. Die Verflechtung der Welt ist dabei stetes der Ausgangspunkt, und die Zirkulation von und der Austausch zwischen Dingen, Menschen, Ideen und Institutionen gehören zu den wichtigsten Gegenständen dieses Zugriffs" (9). Globalgeschichte, die die postcolonial studies ebenso einbezieht wie den spatial turn, richte sich, so Conrad, sowohl gegen essentialistische Ansätze, die klar abgegrenzte Räume mit kulturellen, religiösen oder nationalen Inhalten füllen und aufladen wie auch gegen die Meistererzählungen der Modernisierung. Wichtig sei vor allem, stets zu berücksichtigen, dass es sich nur um eine gewisse Perspektive, einen heuristischen Ansatz und nicht um eine angeblich objektive Welterklärungstheorie oder die Beschreibung eines linearen sozialen Wandels handele.
Auf eine kurze "Geschichte der Weltgeschichte" folgt die Darstellung der rasanten Entwicklungen seit den 1990er-Jahren. Wichtig war hier vor allem die Institutionalisierung durch die Gründung der World History Association (1982) und des Journal of World History (1990). Als wichtige Themenfelder der Globalgeschichte identifiziert Conrad die Untersuchung transnationaler Verflechtungen, die Geschichte von Zivilisationen und Variationen der Welt- und Globalgeschichte im engeren Sinn (hier: Ostasien). Es ist eine Stärke des Buches, dass der Autor durchgehend entlang zentraler - wenn man möchte "globalgeschichtlich einflussreicher" - Werke argumentiert.
So innovativ viele Ansätze und Applikationen auch sind, so hat es aber auch an Kritik nicht gefehlt: (1) Verallgemeinerungen auf der Basis von Sekundärliteratur seien höchst problematisch. Eine Geschichtswissenschaft "light" drohe. (2) Es sei ziemlich unklar, wie man misst, wann Prozesse eigentlich als global wirksam angesehen werden können. (3) Man müsse sich davor hüten, eine Vernetzung der Welt als quasi-natürliche Entwicklung anzusehen. (4) Globalgeschichte neige dazu, regionale Bezüge herunterzuspielen und die Verflechtungen auf die Beziehung zu Europa zu reduzieren. Angesichts dieser Monita fordert Conrad zu Recht, dass globalgeschichtliche Untersuchungen immer auch von case studies auf der Meso- und Mikroebene flankiert und korrigiert werden müssen. Immerhin gehörten die "jeweilige 'Übersetzung' und Modifikation globaler Strukturen, Institutionen oder Ideen im Rahmen lokaler Idiome und institutioneller Zusammenhänge - und die damit einhergehende Rekonfiguration dieser Zusammenhänge - [...] zu den fruchtbarsten Gegenständen globalgeschichtlicher Analysen." (202) Gleichzeitig weist er auf fünf Fallen hin, in die Vertreter der global history seiner Meinung nach leicht hineinzutappen Gefahr liefen. Stichworte sind hier: Umkehrung des programmatischen Eurozentrismus, Überbetonung externer Einflüsse, Verflechtung als problematischer Eigenwert, Überbewertung der Mobilität, Marginalisierung anderer Zugriffe wie Geschlechtergeschichte oder kulturwissenschaftliche Fragestellungen.
Nachdem der Verfasser in einem Unterabschnitt "Ansätze, Theorien und Paradigmen" auf die Zugänge der Weltsystemtheorie, der postcolonial studies, der Netzwerkanalyse und der multiple modernities eingegangen ist, kommt er auf einige auch unter Globalhistorikern kontrovers diskutierte Herausforderungen zu sprechen. Es handelt sich um die zentralen Fragen: "Wie kann man eine Geschichte der Welt und ihrer Verflechtung schreiben, die nicht eurozentrisch ist und ihre narrative Logik nicht durch Verwendung westlicher Begriffe bereits vorstrukturiert? Seit wann kann man überhaupt von einem globalen Zusammenhang sprechen - und seit wann von einer Geschichte der Globalisierung? Lief die Weltgeschichte schon immer auf die Hegemonie des 'Westens' heraus, wie sie sich im 19. und 20. Jahrhundert manifestierte? Und was waren die Ursachen dieser Divergenz zwischen Europa und Asien? Gab es Modernisierungspotential auch außerhalb des 'Westens', und welche Bedeutung hatten die jeweiligen kulturellen Ressourcen vormoderner Gesellschaften für den Übergang in die moderne globalisierte Welt?" (136) Conrad versucht zwar nicht, hierauf klare Antworten zu finden, doch dreht und wendet er die Problematiken geschickt hin und her, sodass der Leser am Ende einen sehr guten Eindruck der mannigfaltigen Lösungsmöglichkeiten bekommt.
Sehr interessant sind auch seine Ausführungen zu den aktuellen Feldern und Themen der Globalgeschichte. Neben den transnationalen und globalen Kontexten der Transformation des Alltagslebens, der vergleichenden Geschichte von Klassen und Schichten und der Rekonstruktion der Entstehung genuin transnationaler Gruppen (etwa: Pan-Bewegungen) würden zurzeit von den Forschern und Forscherinnen insbesondere sechs Bereiche bearbeitet: globale Waren, die Geschichte der Ozeane, Migration, die Empire- und Nationalismusforschung sowie die Umweltgeschichte. Alle Themengebiete sind in der Tat sehr gut in der Globalgeschichte etabliert, sodass bereits viele exzellente Untersuchungen zu Einzelaspekten vorliegen. Einen hervorragenden Eindruck davon bietet der letzte Teil der Einführung. Conrad präsentiert dem Leser in Form von zehn Kurzrezensionen das gesamte Spektrum globalgeschichtlicher Analyseansätze. Neben sehr bekannten Werken von Janet L. Abu-Lughod, Christopher A. Bayly, John F. Richards, John Darwin und Jürgen Osterhammel finden sich auch (völlig zu Unrecht) weniger gut rezipierte Studien von Hamashita Takeshi, Jared Diamond, Rebecca E. Karl, Erez Manela und Volker Lieberman.
Insgesamt ist das Buch sehr gelungen und es erfüllt seinen Zweck als Überblickswerk über ein überaus aktuelles und innovatives Forschungsfeld bestens!
Stephan Conermann