Marco Rainini: Corrado di Hirsau e il "Dialogus de cruce". Per la ricostruzione del profilo di un autore monastico del XII secolo (= Millennio Medievale; 101), Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2014, XXVI + 436 S., 10 Farbtafeln, ISBN 978-88-8450-540-8, EUR 70,00
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Die Handschrift aus der Münchner Staatsbibliothek Clm 14159 ist bisher vor allem wegen ihres reichen ikonographischen Apparats untersucht worden. Weniger bekannt ist, dass sie der einzige Zeuge des - um den Titelvorschlag von Unterkircher im Verfasserlexikon gleich anzunehmen - "Dialogus de cruce" ist. Um diesen Text aus dem 12. Jahrhundert und seine Zuschreibung an einen den Mittellateinern inzwischen wohlbekannten Autor, Konrad von Hirsau, geht es in dieser Arbeit, aber nicht nur: Rainini stellt sich die Aufgabe, die Inhalte des "Dialogus de cruce" im breiteren Kontext der Literaturproduktion Konrads einzubetten und anhand der Ergebnisse dieser Untersuchung die Rolle dieses Denkers in der theologischen Diskussion seiner Zeit zu beleuchten.
Rainini beschäftigt sich mit Konrad von Hirsau seit einiger Zeit: Dem vorliegenden Werk, das eine Überarbeitung und Vertiefung seiner Dissertation darstellt, liegen zwei frühere Artikel zugrunde (was er denn auch nicht unerwähnt lässt, X f. "Avvertenza"). [1] Seine Bibliographie vermerkt daneben weitere Titel, die sich mit Konrad auseinandersetzen. Und das ist gut, denn die Vertrautheit mit dem Autor und seinen - nicht immer in einer kritischen Ausgabe zugänglichen - Texten, verleiht Rainini Sicherheit und Überzeugungskraft in seinem Umgang mit den Inhalten der Schriften.
Konrad von Hirsau also, ein Mönch aus dem 12. Jahrhundert, der in einem Kloster im Schwarzwald zuerst Schüler und irgendwann Lehrer wurde und viele Schriften verfasste. Welche? Darüber herrscht noch kein abschließender Konsens: dies auch deshalb, weil derjenige, der am ausführlichsten über Konrad berichtet, ausgerechnet Abt Trithemius (Ende 15./Anfang 16. Jahrhundert) ist, der nicht gerade durch Zuverlässigkeit brillierte. [2]
Immerhin hat die Forschung der letzten fünfzig Jahre erkannt, dass viele der von Trithemius dem Konrad zugeschriebenen Werke vom gleichen Verfasser stammen müssen. Ich nenne hier nur das Speculum Virginum, den Dialogus super auctores, die Altercatio Synagogae et ecclesiae oder den Dialogus de mundi contemptu vel amore.
Zu diesen Titeln versucht Rainini im ersten, "L'opera e l'autore" überschriebenen Teil seines Buches, den Dialogus hinzuzufügen: Er ist nicht der erste, der sich diesem Unterfangen widmet. Er ist aber derjenige, der versucht, jede ablehnende Position argumentativ zu entkräften.
Um sein Ziel zu erreichen, muss sich Rainini in einem Wald aus oft unedierten Texten zurechtfinden, samt den Hypothesen bezüglich der Autorschaft, welche die sich damit beschäftigenden Forscher aufgestellt haben. Es ist nicht einfach, denn z. T. sind in der Forschung komplizierte und sich gegenseitig widersprechende Ansichten entstanden, die sich in dem recht absurden Fazit zusammenfassen lassen: Alle Werke stammen vom selben Autor, manche sind von Konrad, manche aber nicht (!).
Rainini behält den Überblick und vergleicht die o. g. Werke mit dem Dialogus. Besondere Aufmerksamkeit schenkt er dabei dem Speculum Virginum, einer in Dialogform verfassten Schrift, die neben der Form viele weitere Gemeinsamkeiten mit dem hier besprochenen Text aufweist. Darüber hinaus verfügen auch die Handschriften des Speculum über einen reichen Apparat an Bildern und Diagrammen, welche wiederum auffallend den Bildern und Diagrammen ähneln, die der codex unicus des Dialogus enthält. Diese spielen eine große Rolle in Raininis Untersuchung, für die er aufgrund seiner Auseinandersetzung mit Texten wie dem Liber figurarum des Joachim von Fiore bestens gewappnet scheint. Am Ende besteht kein Zweifel, dass die behandelten Werke dem gleichen Autor zuzuschreiben sind. Und Rainini ist fest davon überzeugt: Es muss sich dabei um Konrad handeln.
Seine Meinung begründet er, indem er zunächst die Aussagen eines Trithemius ausblendet und lieber Informationen aus z. T. zeitgenössischen Katalogen und Handschriften heranzieht, welche die für uns interessanten Werke auflisten und als Autorzuschreibung mit einem "Peregrinus" operieren, den neben Trithemius auch andere von ihm unabhängige Zeugen als Pseudonym von Konrad identifizierten. Neu ist das nicht. Die Neuigkeit ist die Gründlichkeit Raininis im Umgang mit seinen Quellen und wie er die Einwände von Teilen der Forschung präsentiert und entkräftet.
Im zweiten Teil "I temi teologici fondamentali del Dialogus de Cruce" widmet sich Rainini den Inhalten des Werkes. Obwohl er großzügig daraus und aus anderen Geschwisterwerken zitiert und am Ende der Publikation einige schöne Beispiele der Bilderkunst von Clm 14159 präsentiert (die Handschrift ist übrigens auf der Seite der Münchener Staatsbibliothek online zugänglich), empfiehlt es sich dennoch, als Begleitung und Orientierung zusätzlich die Transkription des Textes samt Bildern von Hartl [3] zur Hand zu haben. Themen sind u. a. die biblischen Schriften, ihre Interpretation, die Erlösung durch die Passion Christi, besonders durch das Kreuz und die zentrale Rolle des Kreuzes selbst nicht nur im Dialogus, sondern auch im Heilsplan. Solche Themen werden durch die Bilder illustriert - Bilder, die auf keinen Fall als reiner Schmuck angesehen werden sollten, weil sie einen fundamentalen Teil des Textes darstellen. Das wird besonders nachvollziehbar im Kapitel "Il diagramma dell'agnello". Rainini analysiert jede Einzelheit des Diagramms, in dessen Mitte das Christus-Symboltier, das Lamm, erscheint (Abbildung 3 am Ende des Buches). Ein ähnliches Diagramm ist auch im Speculum Virginum überliefert. Die Unterschiede zwischen beiden sind freilich keine "Überlieferungsfehler". Sie müssen im Gegenteil produktiv in die Interpretation des Textes einbezogen werden, denn sie passen sich den z. T. diversen Inhalten und Bedürfnissen beider Texte an.
Im dritten Teil "Per una fisionomia culturale dell'autore" schildert Rainini Konrads kulturelle Umgebung: Wir entdecken also einen Autoren, der fest verankert in seiner Zeit war, indem er z. B. den Kanon der antiken Autoren treu vertrat (unter anderem als Autor des Dialogus super auctores, eines Handbuchs der lateinischen Literatur für die Klosterschule) und sich durch die z. T. zeitgenössischen Schriften des (deutschen?) "theologischen Symbolismus" inspirieren ließ. Aber Konrad verschloss sich doch nicht ganz den Einflüssen, die aus einer anderen Welt als der der Klosterschulen stammten. Seine erkennbare Hochachtung für Hugo von St. Viktor, einen Gelehrten, der zwischen Deutschland und Paris und den von dort stammenden Bildungsidealen stand, spricht dafür.
Indices und eine umfangreiche Bibliographie vervollständigen eine Arbeit, deren Hauptverdienst im Fortschritt der Forschung über einen für seine Zeit so exemplarischen Autor wie Konrad liegt. Ein besonderes Lob verdient hierbei die Methode: Ohne die umfangreiche Bibliographie zu missachten, beginnt und endet die Forschung mit den Texten. Und natürlich mit den Bildern.
Anmerkungen:
[1] Marco Rainini: Oltre il velo delle immagini: il Dialogus de cruce (Clm 14159) e Corrado / Peregrinus di Hirsau, in: Rivista di storia del cristianesimo 6 (2009) 121-158; Id.: Claruit sub Conrado imperatore tertio. Corrado di Hirsau e le testimonianze di Johannes Trithemius. Una riconsiderazione, in: Medioevo. Rivista di storia della filosofia medievale 35 (2010), 37-39.
[2] Er soll zwei Texte samt Autoren völlig neu erfunden haben, um seine eigene historische, aber vor allem ideologische Aussage zu begründen.
[3] H. Wolfgang: Text und Miniaturen der Handschrift "Dialogus de laudibus sanctae crucis", Hamburg 2007.
Roberta Marchionni