Aquinata Böckmann: Christus hören. Exegetischer Kommentar zur Regel Benedikts. Teil 1: Prolog bis Kapitel 7, St. Ottilien: EOS Verlag 2011, XIII + 495 S., ISBN 978-3-8306-7459-7, EUR 49,95
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Aquinata Böckmann: Geeint in Christus. Exegetischer Kommentar zur Regel Benedikts. Teil 2: Kapitel 8 bis 52, St. Ottilien: EOS Verlag 2013, XIII + 747 S., ISBN 978-3-8306-7492-4, EUR 69,95
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Aquinata Böckmann: Mit Christus zum Ziel. Exegetischer Kommentar zur Regel Benedikts. Teil 3: Kapitel 53 bis 73, St. Ottilien: EOS Verlag 2015, X + 489 S., ISBN 978-3-8306-7709-3, EUR 49,95
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Wolfgang Huschner / Ernst Münch / Cornelia Neustadt u.a. (Hgg.): Mecklenburgisches Klosterbuch. Handbuch der Klöster, Stifte, Kommenden und Prioreien, Rostock: Hinstorff 2016
Franz-Reiner Erkens: Sachwalter Gottes. Der Herrscher als christus Domini, vicarius Christi und sacra majestas. Gesammelte Aufsätze. Zum 65. Geburtstag herausgegeben von Martin Hille, Marc von Knorring, Hans-Christof Kraus. Unter Mitarbeit von Andreas Fohrer, Berlin: Duncker & Humblot 2017
Marina Benedetti / Luciano Cinelli (a cura di): Niccolò da Prato e i frati predicatori tra Roma e Avignone, Firenze: Edizioni Nerbini 2014
Die Benediktsregel gehört ohne Zweifel zu den "großen" Texten des lateinischen Mittelalters mit Langzeitfolgen bis in die Gegenwart hinein. Jedes Benediktinerkloster weltweit folgt nach wie vor beharrlich dieser Regel, in der nicht nur Verfügungen zum klösterlichen Alltag getroffen, sondern auch die Wege des Mönchs hin zu seinem eigentlichen Ziel, der wahrhaften Gotteserkenntnis, beschrieben und begleitet werden. Im klösterlichen Alltag ist die Regula Benedicti omnipräsent, ebenso spürbar ist ihr Einfluss aber auch bei Schriftstellern außerhalb der Klostermauern. Benediktinische Geisteshaltung ist nach wie vor en vogue - die Verkaufszahlen der Bücher aus der Feder des Münsterschwarzacher Benediktiners Anselm Grün sprechen ebenso für sich wie die explodierenden Belegungszahlen benediktinischer Gästehäuser. Man sollte dabei freilich nicht vergessen, dass die Benediktsregel ein Kind ihrer Zeit ist, auf einen historischen Moment und eine Region hin ausgerichtet: die Gegend um Monte Cassino im beginnenden 6. Jahrhundert. Bereits Benedikt räumt die Möglichkeit ein, Verfügungen der Regel in Hinblick auf andere Regionen zu ändern. Trotz aller verbindlichen Verfügungen ist die Regel deshalb ein offener Text, der eine Vielzahl von Lesarten zulässt. Dieser Herausforderung stellte sich eine Vielzahl von Regelkommentaren, die zumeist von Ordensangehörigen selbst verfasst worden sind. Der Herausgeber der derzeit maßgeblichen Textedition, Adalbert de Vogüé (1924-2011), legte beispielsweise einen Kommentar vor, der Maßstäbe sowohl in der historisch-kritischen als auch der philologischen Behandlung des Regeltextes setzte. (Ordens-)Historiker werden wohl immer noch zuallererst auf ihn zurückgreifen, obwohl an Konkurrenzunternehmungen wahrlich kein Mangel besteht.
Nun also ein neuer, über 1500 Seiten umfassender, dreibändiger, deutschsprachiger Kommentar, der innerhalb von nur fünf Jahren erscheinen konnte und dessen beschreibendes Adjektiv "exegetisch" bereits die inhaltliche Richtung weist. Aquinata Böckmann, ausgewiesene Regelspezialistin, die sich über Jahrzehnte an der römischen Hochschule von Sant'Anselmo unterrichtend und forschend in den Regeltext vertiefen konnte, richtet sich mit diesem opus magnum an die Gemeinschaft all derer, die "nach dieser Regel leben oder sich für sie interessieren" (III, vii) - das sind viele und beileibe nicht nur Historiker. Was ihren Kommentar von den beiden ebenfalls auf Deutsch erschienenen Kommentaren eines Georg Holzherr OSB (1980) [1] oder einer Michaela Puzicha OSB (2002) [2] unterscheidet, ist weniger der Umfang als die Methode. Böckmann setzt auf das, was man wohl "entschleunigtes Lesen" nennen könnte und profitiert dabei von den Erfahrungen der klösterlichen lectio divina mit ihrem Dreischritt von meditatio, oratio und actio. Ziel ist ein "existentieller Dialog mit dem Text" (III, vii). Diese Vorgehensweise ist für den Historiker gewöhnungsbedürftig und - zumindest was die Punkte oratio und actio angeht - auch nicht ganz unproblematisch, werden dadurch doch Persönlichkeits- und Gegenwartsbezüge hergestellt, die sich in wissenschaftlicher Literatur in dieser Dichte sonst nur selten finden. Und Wissenschaftlichkeit wird man Böckmanns Kommentar kaum absprechen können - auch wenn es nicht die Art fußnotengesättigter Wissenschaftlichkeit ist, die einen Adalbert de Vogüé auszeichnete. Böckmann zwingt den Leser zu einer bedächtigen, fast schon meditierenden Leseweise und setzt dabei stark auf die Bedeutung einzelner Worte und Begriffe. Sie pflegt dabei eine behutsame, gut eingängige Sprache, der man höchstens vorwerfen kann, dass einige der verwendeten Bilder mitunter seltsam schief anmuten: wenn beispielsweise im Vorwort zum ersten Band gesagt wird, Benedikts Regelprolog gleiche einem Notenschlüssel, der angibt, wie "das Musikstück zu spielen (zu interpretieren) ist" (v), dann kann man nur hoffen, dass dem nicht so ist. Würden Notenschlüssel die Interpretation angeben, könnte sich Deutschland die Milliardenausgaben für Orchester und Opern sparen - denn dann würde man ja allerorten dieselbe Interpretation von Musik hören. Und mehr als ein Regelkommentar wäre auch nicht nötig.
Geht es im ersten Band vor allem um das, was mit Prolog und Aussagen zur Rolle des Abtes (c. 2) und der Bedeutung zentraler Tugenden wie Gehorsam (c. 5), Schweigen (c. 6) und Demut (c. 7) unter dem Begriff "spirituelle Grundlegung der Regel" subsumiert werden könnte, richtet sich der Blick im zweiten Band auf die Kerninhalte zönobitischen Lebens mit seiner engen Verschränkung von Liturgie und Gemeinschaft. Im dritten Band sind es insbesondere die Außenkontakte des Klosters, die stärker hervortreten, von der Gastaufnahme (c. 53) über die Geschenke, die durch Gäste ins Kloster kommen (c. 54) bis hin zu den Reisen der Handwerker und anderer Mönche (cc. 55, 57). Darüber hinaus richtet Benedikt den Blick aber auch auf die Zukunft, macht sich Gedanken über die Erneuerung der Ämter (cc. 63-66) und liefert mit c. 72 eine Art Testament. Das allerletzte Kapitel, c. 73, bezeichnenderweise mit "Darüber, dass in dieser Regel nicht alles enthalten ist, was zur vollen Beobachtung der Gerechtigkeit gehört" überschrieben, erläutert, wie die Regel insgesamt aufzufassen ist. Die Kapitelzuweisung zu den einzelnen Bänden ist inhaltlich gut begründet.
Das Verständnis des Lesers wird dadurch erleichtert, dass für die Erschließung jedes Regelkapitels in den allermeisten Fällen die gleiche Vorgehensweise gewählt wird. An einem konkreten Bespiel soll dies demonstriert werden: dem 31. Kapitel, das der Rolle des Cellerars im Kloster gewidmet ist (II, 227-269). Der nahezu 40 Seiten umfassende Abschnitt, in dem 17 Regelverse kommentiert werden, beginnt mit einer knappen, auf die unmittelbare Gegenwart bezogenen Kontextualisierung der Art: "Was kann uns dieser Abschnitt der Benediktsregel heute sagen?" - und dabei ist das "uns" doch recht deutlich auf benediktinische Gemeinschaften hin ausgerichtet. Mitunter gemahnen hier die vielen Stichworte an den berühmten Spickzettel, von dem aus man seine Gedanken - z.B. anlässlich von Textmeditationen - weiter entfaltet. Der folgende Abschnitt widmet sich folgerichtig der historischen Kontextualisierung. In allen Bänden wird zur Erläuterung der historischen Zeitumstände (allzu) häufig pauschal auf die "Gotenkriege" verwiesen - der Erkenntniswert bleibt entsprechend gering. Doch sollte man stets bedenken, dass es auch nicht Böckmanns Absicht war, einen historischen, sondern einen exegetischen Kommentar zu verfassen. Und genau auf diesem Gebiet hat die Autorin einiges zu sagen. Auf einen Kapitelüberblick (häufiger ist die Versabfolge grafisch so dargestellt, dass die inneren Bezüge unmittelbar ins Auge springen) folgt die Behandlung jedes einzelnen Verses, der zunächst stets in seiner deutschen und lateinischen Gestalt zitiert wird. Das Ganze wird mit Liebe zum Detail und sehr großer Sorgfalt durchgeführt. Böckmann hat - auch wenn sie den Einzelvers eines bestimmten Kapitels kommentiert - stets das große Ganze der Regel insgesamt vor Augen. Sie ist so in der Lage, Bezüge herzustellen, die überzeugen. Wie stark beispielsweise die Person des Cellerars spirituell mit derjenigen des Abtes verbunden ist, wird durch die akribische Analyse der dem Cellerar zugeschriebenen Charaktereigenschaften erhellt. Und auch über die Abhängigkeit der Regel von anderen (Regel-)Texten wird der Leser nicht im Unklaren gelassen: Die Benediktsregel schöpft aus einer Vielzahl von Quellen, von denen die Magisterregel die prominenteste ist. Böckmann erliegt an keiner Stelle der Gefahr, die Regula Benedicti zum Solitär, zum einzigartigen Geniestreich einer begnadeten Persönlichkeit zu verklären. Im Gegenteil: Abhängigkeiten werden klar aufgezeigt - hier hätte allerdings die eher asketische Gestalt des Fußnotenapparats getrost etwas opulenter ausfallen dürfen. Der Rezensent gesteht, dass er immer wieder über eingeschobene Bemerkungen der Art "Heute betrifft diese Weisung [d.h. die Verfügung, der Cellerar möge nicht essgierig (edax) sein] vielleicht nicht so sehr das Viel-Essen, sondern das Aussuchen von bestimmten Speisen" (II, 236) gestolpert ist. Denn immerhin eröffnet Böckmann jedes Kapitel mit einer zeitgenössischen Kontextualisierung und schließt mit "aktuellen Leitlinien", die ebenfalls dasselbe Ziel verfolgen: den Sitz der Regel und jedes einzelnen Kapitels im monastischen Leben des 21. Jahrhunderts aufzuzeigen. Warum das Gleiche noch einmal an zentraler Stelle? Hier wäre weniger mehr gewesen. Aber noch einmal: diese Kritikpunkte werden von einem Mediävisten geäußert, der sich am Ende einer überaus anregenden und lehrreichen Lektüre gefragt hat, ob er als Historiker wirklich Teil der mit den drei Kommentarbänden avisierten Zielgruppe ist.
Der belgische Benediktiner Jacques Dupont hat einst das aufmerksame, bedächtige Lesen mit dem sanften Blasen auf die Asche verglichen, das so lange wiederholt wird, bis schlussendlich die Flamme herauszüngelt. Der Rezensent muss zugeben, dass sein entschleunigtes Lesen nicht in allen Fällen in ein Erscheinen der Flamme mündete. Gleichwohl versteht er jetzt einiges von den theologischen Tiefenschichten, die die Regula Benedicti auszeichnen, besser als zuvor. Mit anderen Worten: man liest Böckmanns exegetischen Kommentar durchaus mit Gewinn. Diese Lektüre enthebt (zumindest den Historiker) freilich nicht des Blicks in den Kommentar de Vogüés.
Anmerkungen:
[1] Georg Holzherr: Die Benediktsregel, Freiburg/Schweiz 72007.
[2] Michaela Puzicha: Kommentar zur Benediktusregel, St. Ottilien 2002.
Ralf Lützelschwab