Angela Vanhaelen: The Wake of Iconoclasm. Painting the Church in the Dutch Republic, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2012, X + 222 S., 27 Farb-, 29 s/w-Abb., ISBN 978-0-271-05061-4, USD 79,95
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Die vor allem in der englischsprachigen Forschung verbreitete essayistische Art, Kunst- und Kulturgeschichte zu schreiben, beeindruckt immer wieder. So manches Buch präsentiert sich rhetorisch brillant, die Kapitel werden durch poetische Überschriften und anregende Zitate eminenter Denker eingeleitet. The Wake of Iconoclasm der Kanadierin Angela Vanhaelen ist ein solches Beispiel, das allein schon der Form nach den Eindruck erweckt, einen kohärenten Überblick über ein Spezialgebiet holländischer Malerei des "Goldenen Jahrhunderts", das Kircheninterieur, zu geben.
Die Autorin situiert das Genre programmatisch im "Gefolge", oder besser im "Sog" oder "Wirbel" des Bildersturms. Mittelbare Folge des Ikonoklasmus calvinistischer Radikaler 1566 und des niederländischen Aufstands war die Aneignung der katholischen Kirchen durch die jeweilige Stadtregierung. Man kann, wenn man will, von einer "Verbürgerlichung" des Sakralraums, nicht aber von dessen vollständiger "Calvinisierung" sprechen. Denn die Reformierten erhielten zwar das alleinige religiöse Nutzungs-, nicht aber das Eigentumsrecht an den Kirchengebäuden. Vergegenwärtigt man sich zudem, dass die Calvinisten trotz ihrer herausgehobenen Position im Sinne der "Öffentlichkeitskirche" (publieke kerk) im 17. Jahrhundert eine Minderheit blieben, erhält dieser Unterschied eminente Bedeutung. Er begründet die Stadtkirchen stets als polyvalente Räume, an denen alle Mitglieder einer urbanen Gemeinschaft auch in religiöser Hinsicht und mit Blick auf ihre nicht ohne Religion zu denkenden rites de passage Anspruch erheben konnten (in den Kirchen konnte jeder, der es sich leisten konnte, begraben werden). In Anbetracht dieser historischen Fakten, derer sich Vanhaelen durchaus bewusst ist, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob es methodisch gerechtfertigt ist, dass sie stets nach der Darstellung "calvinistischer Kirchen" fragt. Denn während die Einleitung noch vorsichtig benennt, das Kircheninterieurgenre untersuche "die Vielschichtigkeit der veränderten Räume" ("the complexities of reformed space", 9), steht bei den im Folgenden auf ihre selbstreflexiven Qualitäten hin untersuchten Gemälden Pieter Saenredams und Emanuel de Wittes bereits a priori fest, dass sie "Calvinist churches" abbildeten (z.B. 39, 43, 44, 46). Die Weißung des Kirchenraums, welche trotz der Tatsache, dass sie auch in vorreformatorischer Zeit üblich war (25), als "agent in the repression of religious art" beschrieben wird, fungiere dabei als Ausgangspunkt für "new forms of art making" (33).
Vanhaelens Blick auf Saenredam entspricht der bereits im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts etablierten Sicht, die ihn als Mondrian des 17. Jahrhunderts und (deshalb) als Verkörperung des 'holländisch-calvinistischen Volkscharakters' versteht (P.T.A. Swillens). Die im ersten Teil eingeführten Thesen führen Gedanken von Victor Stoichita und Svetlana Alpers weiter, die die "weiße Wand" als Wendepunkt bzw. explizit auch die Wände auf Saenredams Londoner Interieur der Utrechter Buurkerk, das Vanhaelen als Einstieg dient, als Abbild und Oberfläche begreifen. [1] Als spezifisch für Vanhaelens Zugang erweist sich ihre Auffassung, Maler wie Saenredam und De Witte verhandelten mit ihren perspektivisch-illusionistischen Gemälden nicht nur die Frage, was Kunst in Anbetracht des calvinistischen Bilderverbots zu sein habe (z.B. 43, 59), sondern machten ihre Kircheninterieurs gleichsam zu Diskursräumen der Geschichte. Ein Epitaph mit Veronikatuch auf Emanuel de Wittes höchst bemerkenswertem Kircheninterieur aus der Stuttgarter Staatsgalerie kann sie deshalb nur als anachronistisches Element begreifen, das die verdrängte katholische Vergangenheit aufblitzen lasse (wollten die Betrachter in den Kirchen tatsächlich die "aftereffects of Refomation, iconoclasm, and revolts" kontemplieren?, 73). Dass allerdings aktuelle Auseinandersetzungen der Konfessionen den Hintergrund bildeten, vernachlässigt Vanhaelen an entsprechenden Stellen zugunsten ihres um den Bildersturm als historischen Bruch kreisenden Narrativs. Dies überrascht umso mehr, als sie selbst den bleibenden Streit in einem ausführlichen, wenn auch nur lose an das Thema der Kirchendarstellungen gebundenen Kapitel zu den Jahren 1672/73 analysiert. Zu dieser Zeit gewährte die französische Besatzung Utrechts den Katholiken kurzzeitig die Oberhand (130-158). Typisch für Vanhaelens auch auf die Konstruktion eines kollektiven Gedächtnisses aufbauende Vorstellung ist die Bemerkung, die Geschichte des Utrechter Doms "ever faded from the collective memory; it lay just beneath the surface of the visible church, an invisible power, biding its time." (133)
Die Legitimation, die die Besetzung des Kirchenraums für die jeweilige Konfession mit sich brachte, nahmen nicht nur die Katholiken in Utrecht in Anspruch. Vielmehr dürfte sie generell ein Grund für die Konstruktion konfessionell-reformierter Räume im Medium des Gemäldes gewesen sein. [2] In einer konzisen Beschreibung eines anonymen Interieurs der Amsterdamer Nieuwezijdskapel gelingt es Vanhaelen durchaus gut, für die bildnerischen Mittel zu sensibilisieren, die aus dem Ort eines mittelalterlichen Hostienwunders eine Kirche mit sozial geordneter reformierter Predigtgemeinde machen (70-74). Den anhaltenden Anspruch der Katholiken auf den Ort des Amsterdamer "Mirakels" erwähnt sie zwar (97-99), zieht aber nur den Schluss, die "traditional powers" solcher heiligen Räume seien "never completely defeated by the new order" (99). Dass ein Gemälde wie dieses nicht nur auf die Vergangenheit reagierte, sondern Zeugnis - wenn nicht gar Akteur - einer höchst aktuellen Auseinandersetzung sein könnte und fromme Einheit und Einheitlichkeit im reformierten Gottesdienst darstellte, wo es diese gerade nicht gab, bleibt jenseits ihrer auf die Schichtungen der Historie bezogenen Argumentation. Wenn Vanhaelen in der Einleitung die Vorstellung einer calvinistischen Gesellschaft aufbaut, die von der Kunst in Hegelschem Sinne gespiegelt werde (6-9, 159-160), genügt es in der Folge, auf die inszenierte konfessionelle Widersprüchlichkeit auf einigen Gemälden hinzuweisen, um dem Leser eine Überraschung zu präsentieren. Der Schlusssatz des dritten Kapitels, "The contradictions of these multifaceted spaces emerge in the works of the painters who undertook the artistic representations of the visible Calvinist church interior" (99), zeugt dann aber doch von der Übermacht der eigenen Rhetorik, in der, so scheint es, verschiedene theoretische Raumbegriffe bewusst überlagert werden: Während die soziale und konfessionelle Mehrdeutigkeit der Räume wie von selbst in den künstlerischen Darstellungen zutage trete, seien die "calvinistischen Kircheninterieurs" sichtbare Tatsachen. Doch war nicht gerade das, was wir als Faktum zu fassen scheinen, gesellschaftliche Inszenierung? Diese wurde bildnerisch formuliert und verfestigt, stellenweise aber auch - hier hat Vanhaelens Stoßrichtung ihren Punkt - bloßgelegt.
Das eigentliche Problem entsteht aus dem Anspruch der Autorin, allgemein gültige Thesen aufzustellen. Ihren stets lesenswerten, weil anregenden Argumentationen fallen Nuancierungen zum Opfer. Aus dem weiten Feld möglicher Gemälde greift sie nur wenige heraus, bespricht diese vergleichsweise kursorisch, aber so, als ob sie mit den Fallstudien das gesamte Genre erfassen könnte ("Any visual representation of the visible church consequently stimulates awareness of the fraught practice of interpreting the undecipherable world", 97); Gegenbeispiele werden ausgeblendet. Wenn sie reformierte Theologie einfließen lässt, zieht sie entweder Calvin zu Rate oder aber höchst unterschiedliche Theologen des 17. Jahrhunderts wie Coccejus, Voetius oder den unbekannteren Henricus Groenewegen, über deren Platz im breiten Spektrum des keineswegs uniformen Reformiertentums man kaum informiert wird. Die Tendenz zur Verallgemeinerung betrifft auch von Vanhaelen - zu Recht - als zentral eingeführte Begriffe: Rhetorisch verunklärt sie zum einen die theologische Kategorie der "sichtbaren Kirche" (visible church, 97), zum anderen die spezifische Definition der publieke kerk. Letztere vermischt sie mit den - allerdings erst im 18. bzw. gar 20. Jahrhundert geprägten - räumlichen Kategorien von wandelkerk und preekkerk, die das Kirchengebäude in seiner doppelten Funktion von öffentlichem Treffpunkt und Verkündigungsraum beschreiben (82-85). Dass das eigentliche Spannungsfeld für die reformierte Kirche nicht darin bestand, wie sich das Verhältnis ihrer öffentlichen Rolle in der Republik zur "Predigtkirche", sondern zu ihrem Selbstverständnis als bekenntnisgeleiteter Abendmahlsgemeinschaft definierte, scheint Vanhaelen nicht bewusst zu sein.
Dank Gewährsmännern und -frauen von Hegel über Fromentin bis hin zu Alpers und Westermann definiert sie die holländische Malerei als "worldly art" (159). Diese (säkulare?) Weltzugewandtheit anhand der Kircheninterieurs Saenredams oder De Wittes zu untersuchen und sie als Phänomen in der Folge des Bildersturms zu beschreiben, ist geschickt und anregend - blendet aber leider von vornherein die Frage aus, wie sich diese spektakuläre neue Kunst zu den für die Künstler aktuellen religiösen Diskursen verhalten hat.
Anmerkungen:
[1] Victor I. Stoichita: Das selbstbewußte Bild. Vom Ursprung der Metamalerei, München 1998, 110-114; Svetlana Alpers: Kunst als Beschreibung. Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts, 2. Aufl. Köln 1998, 118-122.
[2] So eine zentrale These meiner Dissertation: Kirchenbilder. Der Kirchenraum in der holländischen Malerei um 1650 (Leiden 2011), deren Veröffentlichung in Deutschland für 2016 geplant ist.
Almut Pollmer-Schmidt