Rezension über:

Tanja Skambraks: Das Kinderbischofsfest im Mittelalter (= Micrologus Library; 62), Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2014, XI + 405 S., ISBN 978-88-8450-570-5, EUR 68,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Katrin Rösler
Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte, Technische Universität, Dresden
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Katrin Rösler: Rezension von: Tanja Skambraks: Das Kinderbischofsfest im Mittelalter, Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2014, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 1 [15.01.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/01/26344.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Tanja Skambraks: Das Kinderbischofsfest im Mittelalter

Textgröße: A A A

Das Fest des Kinderbischofs ist ein faszinierendes kulturelles Phänomen des europäischen Mittelalters. Erstmals sicher belegt im 11. Jahrhundert, hielt es sich trotz massiver Kritik in reformatorischer Zeit in einigen Regionen bis in das 18. Jahrhundert hinein. Seine Blüte erlebte es im späten Mittelalter im gesamten westlichen Europa.

Das an Kathedralen, in Klöstern und Schulen bezeugte Kinderbischofsfest hat in der Forschung bereits einige Aufmerksamkeit gefunden. [1] Allerdings, so betont die Verfasserin der Studie (11), sei es bislang nicht angemessen interpretiert worden, obgleich so verschiedene Disziplinen wie die Theologie, die Ritualforschung, aber auch die Festforschung und die Theatergeschichte sich des Themas angenommen haben. Zudem gebe es bislang keine adäquate geschichtswissenschaftliche Untersuchung hierzu (7). Auch die aus Sicht der Autorin notwendige Unterscheidung von Kinderbischofsfest und Narrenfest habe die Forschung bisher nicht geleistet (9). Die vorliegende Untersuchung soll das Fest des Kinderbischofs zwischen Liturgie und Frömmigkeitskultur einerseits sowie liturgischem Drama und geistlichem Spiel andererseits verorten helfen. [2] Mithin soll ein Beitrag zur Entschlüsselung mittelalterlicher Frömmigkeitskultur geleistet werden.

Um diesen Anliegen gerecht zu werden, wählt Tanja Skambraks in der vorliegenden Studie, welche eine überarbeitete Fassung ihrer 2012 verteidigten Dissertation darstellt, einen breiten Forschungsansatz. Hierzu greift sie einerseits auf ein gegenüber früheren Forschungen stark erweitertes Quellenkorpus zurück, welches nicht nur normative - zumeist Verbotsschreiben und Konzilsbeschlüsse -, sondern auch liturgische Texte, Verwaltungsschriftgut sowie vereinzelt auch bildliche Zeugnisse in die Analyse mit einbezieht. Andererseits greift sie die verschiedenen Ansätze aus den erwähnten wissenschaftlichen Disziplinen auf und verbindet diese mit einer geschichtswissenschaftlichen Betrachtungsweise, die insbesondere nach den Traditionslinien des Festes fragt. Drei Untersuchungsräume stehen hierbei besonders im Fokus: England, Frankreich sowie der deutschsprachige Raum, wobei gelegentlich ebenso auf Quellen aus Italien und Spanien zurückgegriffen wird.

Vier größere Abschnitte gliedern die Thematik. Der erste beschäftigt sich mit den Grundlagen und Rahmenbedingungen des Festes. Hierbei wird besonders auf die Voraussetzungen und Qualifikationen der Kandidaten eingegangen. Die Autorin legt überzeugend dar, dass ein Kinderbischof zumeist aus den Reihen der Chorknaben stammte und oftmals durch diese selbst erwählt wurde. Eine reine, engelsgleiche Stimme war hierbei ein bedeutsames Auswahlkriterium, galt eine solche doch in besonderem Maße prädestiniert, 'durch die Wolken zu dringen' (3) und so heilsrelevante Wirksamkeit zu entfalten.

Der Predigttätigkeit des Kinderbischofs, dem Verhältnis von Ritual und Spiel - in der mittelalterlichen Liturgie allgemein wie der Liturgie des Kinderbischofsfestes im Speziellen - ist das zweite große Kapitel der Arbeit gewidmet. Tanja Skambraks wertet hierfür vornehmlich mittelalterliche Libri ordinarii aus und kann anschaulich zeigen, dass das liturgische Wirken eines Kinderbischofs eine bewusste Imitation des Wirkens eines 'echten' Bischofs darstellte. Er nahm, ausgestattet mit bischöflichen Insignien, auf dem Bischofsstuhl Platz, er sprach Gebete und predigte. Einzig die Spendung der Sakramente blieb dem Kinderbischof verwehrt.

Im dritten größeren Abschnitt der Arbeit werden 'Subtexte und Kontexte' des Kinderbischofsfestes untersucht und dargelegt. Hier gelingt es der Autorin, den Zusammenhang des Festes mit der Verehrung der Unschuldigen Kinder aufzuzeigen. Das Fest des Kinderbischofs, das zwischen dem Nikolaustag, also dem 6. Dezember, und eben jenem Fest der Unschuldigen Kinder am 28. Dezember begangen wurde, diente dabei offenbar auch dem Gedenken an diejenigen Kinder, die das Martyrium im Betlehemitischen Kindermord erlitten hatten. Auch ein weiterer bedeutsamer Traditionsstrang, derjenige des Nikolauskultes, findet ausführliche Betrachtung. Insbesondere die Funktion des Nikolaus als Identifikationsfigur der Schüler wird hier thematisiert.

Eine klare Abgrenzung des Kinderbischofsfestes von dem zeitlich benachbarten Narrenfest mittels detaillierter Quellenstudien vor allem zeitgenössischer liturgischer Texte beschließt diesen dritten Abschnitt der Studie.

Im vierten und letzten großen Kapitel 'Regulierung' wird der Wahrnehmung und der normativen Einhegung des Kinderbischofsfestes nachgegangen. Aufgrund der Untersuchung zahlreicher Regulierungsschreiben auf regionaler und überregionaler Ebene von kirchlicher wie von weltlicher Seite zeigt die Autorin, dass es während des gesamten Untersuchungszeitraumes Bestrebungen zur normativen Regulierung des Festes gegeben hat, denen jedoch offenbar kein großer Erfolg beschieden war. Das Fest wurde, trotz aller Verbote, bis in die Frühe Neuzeit hinein gefeiert.

Eine interpretierende Zusammenfassung, ein Quellenverzeichnis und eine Auswahlbibliographie sowie ein hilfreiches Register runden die Studie ab.

Tanja Skambraks ist durch die Einbeziehung bislang kaum ausgewerteter Quellen vor allem liturgischen Charakters sowie die kritische Auseinandersetzung mit Forschungstraditionen, die auch dank der vorliegenden Studie nunmehr als überkommen gelten dürfen, ein wertvoller und anregender Beitrag zur mittelalterlichen Frömmigkeitsgeschichte gelungen. Der flüssig und gut verständlich geschriebenen Studie ist eine breite Rezeption zu wünschen.


Anmerkungen:

[1] Shulamit Shahar: The Boy Bishop's Feast. A Case Study in Church Attitudes towards Children in the High and Late Middle Ages, in: Studies in Church History 31 (1994), 243-260.

[2] Ein jüngst erschienener, interdisziplinär ausgerichteter Sammelband widmet sich unter anderem dem Zusammenhang von Liturgie und Spiel im mittelalterlichen Religiosentum, vgl. Jörg Sonntag (Hg.): Religiosus ludens. Das Spiel als kulturelles Phänomen in mittelalterlichen Klöstern und Orden (= Arbeiten zur Kirchengeschichte; 122), Berlin 2013.

[3] Hubertus Lutterbach: "Kindergebet dringt durch die Wolken." Zum Zusammenhang von Askese, kindlichen Stimmen, kirchlicher Liturgie und karitativer Wirkung, in: Werner Röcke/ Julia Weitbrecht (Hgg.): Askese und Identität in Spätantike, Mittelalter und Früher Neuzeit (= Transformationen der Antike; 14), Berlin/ New York 2010, 81-104.

Katrin Rösler