Sergio Tognetti: I Gondi di Lione. Una banca d'affari fiorentina nella Francia del primo Cinquecento, Florenz: Leo S. Olschki 2013, 145 S., ISBN 978-88-222-6285-1, EUR 18,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Eric R. Dursteler: Venetians in Constantinople. Nation, identity, and coexistence in the early modern Mediterranean, Baltimore / London: The Johns Hopkins University Press 2006
Herfried Münkler / Marina Münkler: Lexikon der Renaissance, München: C.H.Beck 2000
Peter Burke: Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen, Berlin: Wagenbach 2003
In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bildete die französische Messestadt Lyon das Gravitationszentrum der französisch-italienischen Wirtschaftswelt und zugleich mit Antwerpen und Lissabon ein Finanzierungsnetzwerk für die portugiesischen Überseeunternehmungen. Die Kaufmannbankiers aus der Toskana, aber auch süddeutsch-reichsstädtische Merchant bankers nutzten den Gateway am Zusammenfluss von Rhône und Saône als Redistributionsplattform ihres Warenhandels, als Eckpunkt ihres Wechselbriefverkehrs sowie als Clearingstelle. Die vorrangige Position der Florentiner Handels- und Bankgesellschaften an diesem Standort sowie die entscheidende Rolle Lyons in den europäischen Wirtschaftsbeziehungen sind zwar bekannt, aber ein Desiderat besteht in der Auswertung der vorwiegend in toskanischen Archiven einsehbaren Unternehmens- und Familienunterlagen.
Der profilierte italienische Wirtschaftshistoriker Sergio Tognetti wertet im vorliegenden Band die drei im Florentiner Staatsarchiv überlieferten Schuldbücher (1516-1523) der Handels- und Bankgesellschaft Antonio Gondis in Lyon aus. Die Familie der Gondi hatte sich durch ihre Aktivitäten im Goldschmiedegewerbe im Laufe des 15. Jahrhunderts in die Spitzengruppe der Kaufmannbankiers von Florenz vorgeschoben. Antonio selbst absolvierte seine Lernzeit bei Giovanni Vecchietti in Lyon, wo sie beide von 1506 an eine gemeinsame Firma leiteten. Die im Jahr 1516 gegründete Lyoner Gesellschaft Antonios mit seinem Neffen Pierantonio war Teil enger Kapital- und Personenverflechtungen zwischen Florenz und auswärtigen Niederlassungen. Damit erscheint sie zugleich als ein exemplarisches Fallbeispiel des Florentiner Fernhandels.
In Anlehnung an die von Federigo Melis entwickelte Firmengeschichte, die storia interna, rekonstruiert Tognetti die Tätigkeit der Gondi in Lyon, den geschäftlichen Verlauf sowie die verschiedengradige Intensität wirtschaftlichen Handelns auf den wichtigen ökonomische Feldern, die den Warenhandel, die Bankgeschäfte und die Herrscherfinanzen umfassten. Dabei lassen sich aus der Perspektive der Unternehmensgeschichte die Annahmen, welche Richard Gascon bei seiner riesigen Studie zu Lyon im 16. Jahrhundert auf der Grundlage von Notariatsarchiven und städtischer Überlieferung bereits gemacht hatte, bestätigen und vor allem verfeinern.
Wenig überraschend ist die Bedeutung des Exports von Seidentuch aus Italien nach Lyon. In den nur sieben Jahren, welche die drei Rechnungsbücher abdecken, erzielten die Gondi die höchsten Umsätze mit Pfeffer. Der Autor kann allerdings erklären, wie der über Lissabon und Antwerpen eingeführte indische Pfeffer in Lyon abgerechnet wurde. Die bedeutendsten Abnehmer waren in beiden Fällen französische Patrizier-Kaufleute, die die zahlungskräftige städtische, kirchliche und adelige Kundschaft versorgten. Wechselgeschäfte wickelten die Gondi in Kooperation mit anderen Florentiner Bankiers, Genuesen und portugiesischen Neu-Christen im Dreieck von Lyon, Antwerpen und den kastilischen Messen ab. Die Herrscherfinanzen gewannen für die Gondi von Lyon binnen weniger Jahre an Volumen und Bedeutung, indem sie Steuerpachten übernahmen und hohe Krondarlehen bedienten, aber auch Serviceleistungen für aristokratische Haushalte und kirchliche Funktionsträger erbrachten.
Der Autor kann die Erfolgsgeschichte einer Florentiner Handels- und Bankgesellschaft ebenso anschaulich nachzeichnen wie, für die Forschung noch interessanter, die komplexen Strukturen der Beteiligungsgeschäfte beim Warenfernhandel, dem Banking sowie dem herrschaftlichen Zahlungs- und Kreditverkehr. Besonders spannend dabei ist die Beobachtung, wie Antonio Gondi, der im Jahr 1516 durch die Ehe mit Marion de Pierrevive in das Lyoner Patriziat einheiratete, die geschäftlichen Netzwerke seines Schwiegervaters zu nutzen verstand. Sowohl beim Vertrieb von luxuriösen Waren, beim Verkauf von Rohstoffen, als auch bei der Finanzierung von kreditgestützten Darlehen und königlichen Zwangsabgaben standen die Partner von Charles de Pierrevive in Lyon, Tours und im höfischen Umfeld für Gondis Geschäfte bereit.
Antonio Gondi zog sich in den 1540er Jahren aus dem operativen Geschäft zunehmend zurück und entwickelte sich zu einem Funktionsträger des französischen Königreiches. Seine Söhne erwarben aristokratische Titel und Besitztümer. Tognetti wertet diesen Wandel im Lebensstil weniger als einen für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts symptomatischen Fall des Nobilitierungsstrebens von Merchant bankers dies- und jenseits der Alpen. Vielmehr stehen Antonio Gondi und seine Nachfahren, so der Autor, beispielhaft für diejenigen Florentiner Kaufmannbankiers, die ihrer toskanischen Heimat - anders als noch im 15. Jahrhundert - nunmehr den Rücken kehrten und sich an der Nahtstelle zwischen Patriziertum und Amtsadel in elitäre Kreise des französischen Königreiches einschrieben.
Die große Stärke der vorliegenden Studie besteht in der profunden Kenntnis der toskanischen Buchführung und in der sorgfältigen Interpretation der buchhalterischen Datenmassen. Dabei hätte der Autor die Geschichte der Gondi noch stärker in der inzwischen zu diesem Themenfeld angewachsenen Forschung verankern können. Dessen ungeachtet ist Tognettis Buch ein exzellent gelungener Baustein für die europäische Wirtschaftsgeschichte, die die Verdichtung des innerkontinentalen Raumes als Rückgrat für die überseeische Expansion schildert. Es belegt überdies anschaulich, wieviel in der vermeintlich bekannten Wirtschaftsgeschichte des 16. Jahrhundert noch zu entdecken ist.
Heinrich Lang