Michael Maset: Bilingualer Geschichtsunterricht. Didaktik und Praxis (= Geschichte im Unterricht; Bd. 9), Stuttgart: W. Kohlhammer 2015, 214 S., ISBN 978-3-17-029254-3, EUR 26,99
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Der Titel von Michael Masets Buch 'Bilingualer Geschichtsunterricht. Didaktik und Praxis' weckt instinktiv die Erwartung eines umfassend ansetzenden und eher deskriptiven Werks, das sowohl theoretische Konzepte als auch praktische Herangehensweisen einführt und erläutert. Diese Erwartung wird bei der Lektüre des Buches zweifellos erfüllt, da der Autor auf gut 200 inhaltlich und sprachlich dicht formulierten Textseiten den aktuellen Forschungsstand aller relevanten Aspekte der bilingualen Theoriedebatte gelungen mit praxisbezogenen Anwendungsbeispielen und -hinweisen verbindet, sodass der Leser in der Tat eine Fundgrube an aufschlussreicher Basisinformation, produktiven Diskussionsanstößen und praktischen Anregungen vorfindet. Dabei kombiniert Michael Maset - selbst bilingual unterrichtender Gymnasiallehrer und ehemaliger Regionalkoordinator der Lehrerfortbildung in Nordhessen - diesen informativ-deskriptiven Ansatz von Beginn an mit einer bewertenden Dimension, in welcher der Autor eine grundsätzlich kritische Haltung gegenüber der aktuellen Praxis bilingualen Geschichtsunterrichts offenbart. So betont Maset schon in der Einleitung, dass für ihn die "Beschäftigung mit der Theorie, Empirie und Unterrichtspraxis des bilingualen Geschichtsunterrichts [...] bis heute mehr Fragen aufgeworfen [hat] als sie beantworten konnte" (18) und dass er im mehrsprachigen Geschichtsunterricht "in seiner gegenwärtig praktizierten Form [...] eher eine Gefahr als eine Chance für das historische Lernen" (22) sieht. Zum zentralen Ausgangspunkt der weiterführenden Überlegungen wird insbesondere die Kritik, dass das derzeitige bilinguale Theoriedesign vorwiegend auf bildungs- und sprachpolitischen Vorstellungen sowie auf Konzepten der Fremdsprachendidaktik beruhe, die aus geschichtsdidaktischer Sicht allerdings "eher fragwürdig" (18) seien.
Vor diesem Hintergrund entwickelt Michael Maset ein fachspezifisches Unterrichtsmodell für den bilingualen Geschichtsunterricht, das auf der Auseinandersetzung mit fremdsprachen- und geschichtsdidaktischer Literatur und der persönlichen Unterrichtserfahrung des Autors fußt. Zunächst diskutiert er in einem umfassenden Kapitel die Eigenschaften guten (bilingualen) Geschichtsunterrichts. Hier wird die verfügbare bilinguale Wissenschaftsliteratur zu Konzeptbildung, Scaffolding und akademischen Diskursfunktionen ebenso in die Argumentation einbezogen wie die Forschungen Peter Gautschis und Kollegen [1] zu Gütekriterien/Prinzipien im Geschichtsunterricht oder die Befunde der in Großbritannien aktiven Wissenschaftler Rosalyn Ashby, Peter Lee und Denis Shemilt [2] zu Schülervorstellungen von Geschichte. In diesem Zusammenhang sei bemerkt, dass eine der großen Stärken des vorliegenden Buches in einem internationalen Blick auf die aktuelle Forschungslage besteht, der immer wieder auch britische, amerikanische und australische Abhandlungen einschließt. Maset kommt in diesem Kapitel zu dem Schluss, dass sich "guter bilingualer Geschichtsunterricht, der Lernenden ein qualitativ hochwertiges historisches Lernen ermöglicht" (78), im Spannungsfeld von historischem Lesen, Schreiben und Denken abspielen müsse.
Es folgen entsprechend Abschnitte mit den Schwerpunkten des historischen Lesens und Schreibens sowie zum Kernelement des Lernmodells, dem historischen Denken. Der Autor präsentiert wie schon im vorhergehenden Kapitel jeweils den aktuellen Stand der Forschung, stellt in teils sehr direkter Form kritische wie provokante Fragen und liefert anschließend eine erfreuliche Fülle an praktischen Vorschlägen aus vorhandener Literatur, Online-Sammlungen oder aus seinem eigenen Fundus, z.B. konkrete Vorgehensweisen, Postervordrucke, methodische Schrittfolgen, Themenbeispiele etc. Die mannigfachen kritischen Diskussionsanstöße, die hier immer wieder formuliert werden, dürfen als eine wichtige Leistung des Buches angesehen werden, da sie zweifellos weiterführende Forschung inspirieren und anbahnen können.
Im abschließenden zweiseitigen Fazit (200-201) unterstreicht Michal Maset zunächst noch einmal, dass er sowohl eine fächerübergreifende bilinguale Didaktik als auch eine spezifisch bilinguale Geschichtsdidaktik aufgrund seiner Argumentation ablehnt. Stattdessen sieht der Autor bilingualen Geschichtsunterricht in Anlehnung an eine Formulierung Wolfgang Hasbergs als Unterrichtsprinzip. Er kommt letztlich zu dem Ergebnis, dass die Förderung historischen Lernens in der Praxis "durchaus ein erreichbares Ziel" (201) sei, dem man näher käme, wenn "die bestehenden Denkgebäude von Fremdsprachen- und Geschichtsdidaktik" (201) um seine zuvor ausgeführten Überlegungen und Praxisbeispiele erweitert würden. Insbesondere die vielen praktischen Empfehlungen im zweiten Teil des Buches, die Michael Masets konkreten Lösungsansatz zur Verbesserung des bilingual-geschichtlichen Unterrichtsalltags darstellen, sind selbstredend in vielerlei Hinsicht wertvoll und ertragreich. Doch muss an dieser Stelle auch angemerkt werden, dass es sich hier oftmals um in Einzelfällen erprobte Beispiele handelt, für die häufig noch auszustehen scheint, was der Autor bezüglich der bilingualen Praxis mehrfach im Laufe seines Buches zurecht selbst moniert und einfordert: eine empirische Überprüfung ihrer Wirkungsmacht in der Fläche.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass Michael Maset ein sehr fundiertes und informatives Buch vorlegt, das sich nicht nur für den bilingualen Kontext auf akademischer wie praktischer Ebene als aufschlussreich erweist, sondern auch im Rahmen allgemeiner geschichtsdidaktischer Fragestellungen von Interesse ist. Beispielhaft seien hier die Unterkapitel zu Schülervorstellungen im Geschichtsunterricht (49ff.) oder zu Operatoren und Untersuchungen der Performanz von Schülern hinsichtlich der drei Anforderungsbereiche im Abitur (60ff.) genannt. Michael Masets lesenswertes Werk facht die bilinguale Theoriediskussion aus geschichtsdidaktischer Sicht weiter an und eröffnet eine Reihe stimulierender Diskussionen, derer sich die (interdisziplinäre) bilinguale Forschung zukünftig sicherlich nicht wird entziehen können. Denn trotz offener Fragen und bisweilen fehlender Antworten wird in der tagtäglichen bundesdeutschen Praxis des Geschichtsunterrichts der Satz weitergelten, mit dem der Autor sein Buch beginnt: "Es gibt ihn, den bilingualen Unterricht" (1).
Anmerkungen:
[1] Peter Gautschi / Markus Bernhadt / Ulrich Mayer: Guter Geschichtsunterricht - Prinzipien, in: Michele Barricelli / Martin Lücke (Hgg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts, Band 1, Schwalbach/Ts. 2012, 326-348.
[2] Rosalyn Ashby / Peter J. Lee / Denis Shemilt: Putting Principles into Practice: Teaching and Planning, in: M. Suzanne Donovan / John D. Bransford (eds.): How Students Learn. History in the Classroom, Washington, DC 2005, 79-178.
Alexander Heimes