Giulia Albanese / Roberta Pergher (eds.): In the Society of Fascists. Acclamation, Acquiescence, and Agency in Mussolini's Italy (= Italian and Italian American Studies), Basingstoke: Palgrave Macmillan 2012, IX + 252 S., ISBN 978-0-230-39292-2, GBP 63,00
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Im Gegensatz zur Diktatur Saddam Husseins im Irak, so Silvio Berlusconi in einem Interview mit dem Spectator im Jahr 2003, sei der italienische Faschismus eine "benign dictatorship" gewesen: "Mussolini did not murder anyone. Mussolini sent people on holiday to confine them [banishment to small islands such as Ponza and Maddalena which are now exclusive resorts]." [1] Berlusconis skandalöse Geschichtsklitterung, das verdeutlicht die Einleitung der Herausgeberinnen Giulia Albanese und Roberta Pergher, lässt sich in die seit den 1990er Jahren virulenten Bestrebungen der italienischen Rechten einreihen, die faschistische Diktatur der Jahre 1922 bis 1943/45 zu "normalisieren" und somit ein Fundament ihrer Politik jenseits des Resistenza-Mythos der Nachkriegszeit zu stiften. Berlusconis revisionistische Verharmlosung faschistischer Gewalttaten muss aber auch vor dem Hintergrund einer seit Ende der 1960er Jahre anhaltenden Debatte über den Konsens zwischen faschistischem Regime und den Massen, speziell den Mittelschichten gelesen werden. [2] Hieran knüpfen die Autoren ebenfalls an.
Das komplexe und sich im Laufe der faschistischen Diktatur stets wandelnde Verhältnis von Konsens und Repression, aktiver Zustimmung, passivem Erdulden oder Dissens, mobilisierender, regenerativer Gewalt und bedrohlichem Zwang sowie Propaganda von oben und grass roots-Enthusiasmus bestimmt das erkenntnisleitende Interesse der in diesem Band versammelten Beiträge. Die Vielfalt der behandelten Gegenstände reicht von der von Lorenzo Benadusi thematisierten Vermischung bürgerlicher Respektabilitäts- und Zivilitätsvorstellungen einerseits und faschistischer Militarisierung und Brutalisierung der Politik andererseits bis zu dem von Margherita Angelini untersuchten Beitrag der zeitgenössischen italienischen Historikerzunft zur Herausbildung eines "faschistischen 'Bewusstseins'" (212).
Jenseits der Einleitung widmet sich Giulia Albanese der mobilisierenden Wirkung der Gewalt. Letztere diente - so ließe sich in Anlehnung an Michael Wildts Studie zu Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung argumentieren - eben nicht nur der Repression der aus der Gemeinschaft zu Exkludierenden, sondern auch der Inklusion, und zwar indem die faschistischen "Volksgenossen" die vom Regime eröffneten Gewalträume wahrnahmen. [3] Tommaso Bari's allgemeiner gehaltener Beitrag ist der Mobilisierung der Mittelschichten durch den Partito Nazionale Fascista (PNF) gewidmet. Der von der faschistischen Partei ermöglichte soziale Aufstieg förderte die "aktive Partizipation" (80) insbesondere der wachsenden Anzahl an Angestellten und von deren Nachkommen.
In Analogie zur Volksgemeinschaftsforschung der vergangenen Jahre zeigt der Beitrag Matteo Pasettis zum Korporatismus in den Jahren 1925/26, dass derselbe nicht ausschließlich danach beurteilt werden sollte, inwieweit die hochtrabenden Pläne eines korporatistischen Staates tatsächlich verwirklicht wurden. Vielmehr gälte es, der Wirkung der Verheißung klassenübergreifender Solidarität, Disziplin, Ordnung und organischer Gemeinschaft nachzuspüren. Zeigt Alessio Gagliardi die "Teilidentität der Ziele" (Manfred Messerschmidt) zwischen den "Duce[s] der Fabrik[en]" (125), sprich dem industriellem Unternehmertum, und der faschistischen Führung auf, so nimmt Chiara Giorgi die italienische Sozialversicherungsanstalt INFP als sozial- und biopolitisches, aber eben auch als Gefälligkeitsinstrument der Faschisten in Augenschein. Valeria Galimi fragt nach der Zustimmung zu den vom Regime 1938 erlassenen antisemitischen Gesetzen und verdeutlicht, wie prominent die Vorstellung eines "jüdischen Krieges" ab 1940 auch in Italien werden sollte. Und während Eric Gobetti das Verhalten der militärischen Führung im besetzten Jugoslawien untersucht, kommen in Roberta Perghers Aufsatz die teils nostalgischen Erinnerungen von Siedlern zu Sprache, die das Regime im Zuge seines empire building nach Libyen sandte. Selbst unter denjenigen, die eindeutig vom Regime profitierten, sei die Zustimmung keineswegs eindeutig und der Alltag weiterhin von "covert resistance, evasion and resilience" (182) geprägt gewesen.
Bei dieser Vielzahl an Themen sind die Beiträge naturgemäß von unterschiedlicher Qualität. Zu kritisieren ist insbesondere der Widerspruch zwischen der im Titel avisierten "Gesellschaft der Faschisten" und den behandelten Akteuren. Mit Ausnahme von Perghers Beitrag und in Übereinstimmung mit De Felices Konsensthese, die der Band weiter zu differenzieren verspricht, stehen dann doch nur die Mittelschichten im Zentrum des Bandes. Nicht zuletzt in Verbund mit der Lektüre des ebenfalls 2012 erschienenen Buches Paul Corners zum "real existierenden" Faschismus in den Provinzen setzen die von Giulia Albanese und Roberta Pergher versammelten Beiträge indes einen wichtigen Impuls zur Überwindung der einstigen Dichotomien von Regime und Bevölkerung, von Konsens und Repression. [4] In der von den Aufsätzen geleisteten präziseren Aufgliederung der Trägerschichten einerseits und der Dynamiken von "Beifall, Zustimmung und Agency" andererseits deutet sich eine Komplexitätssteigerung an, die bei der künftigen Betrachtung der faschistischen Mobilisierungsdiktaturen vielversprechend sein dürfte.
Anmerkungen:
[1] Nicholas Farrell: Diary. Why being called mad by Berlusconi is not necessarily an insult, in: The Specator vom 13.9.2003.
[2] Zu den Auslösern der Debatte gehörten der zweite und dritte Band von Renzo De Felices Mussolini-Biographie sowie der postum veröffentlichte Corso sugli avversari von Palmiro Togliatti. Vgl. Renzo De Felice: Mussolini il fascista. Bd. 2: L'organizzazione dello Stato fascista, 1925-1929, Turin 1968, bzw. Mussolini il duce. Bd. I: Gli anni del consenso, 1929-1936, Turin 1974; Palmiro Togliatti: Corso sugli avversari. Le lezioni sul fascismo, hg. von Francesco M. Biscione, Turin 2010.
[3] Vgl. Michael Wildt: Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939, Hamburg 2007.
[4] Vgl. die Arbeiten von Paul Corner als Autor und Herausgeber: The Fascist Party and Popular Opinion in Mussolini's Italy, Oxford 2012; Popular Opinion in Totalitarian Regimes. Fascism, Nazism, Communism, Oxford 2009.
Fernando Esposito