Bernard Andenmatten / Agostino Paravicini Bagliani / Eva Pibiri: Le cheval dans la culture médiévale (= Micrologus Library; 69), Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2015, XI + 386 S., ISBN 978-88-8450-655-9, EUR 60,00
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Die hier zu besprechende Aufsatzsammlung nimmt die Verwendung, den soziokulturellen Einfluss und die Perzeption des Pferdes im Rahmen sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Fragestellungen in den Blick. Der Sammelband beinhaltet 15 Artikel zu den Themen "Le cheval dans la tradition occidentale" (drei Artikel), "Les usages sociaux" (fünf Artikel), "Discours, représentations, manifestations" (drei Artikel) und "Images et imaginaire" (fünf Artikel). Indices der Personennamen, Orte und Manuskripte runden den Band ab.
Die ersten drei Artikel im Kapitel "Das Pferd in der westlichen Tradition" spannen den Bogen von Pferdeopfern in Mythologie und Geschichte, über die Kavalkadedarstellung des Parthenonfrieses bis hin zur Rolle des Pferdes in der Gesellschaft (Spätmittelalter bis 1914). Die Autorin des ersten Beitrags schildert sowohl die mythologisch-historische, als auch die geschichtswissenschaftliche Perzeption berühmter Pferdeopfer. Die Emphase beim zweiten Beitrag über den Parthenonfries liegt aber nicht wie vermutet auf der Repräsentation der Reiter, sondern es wird auf den Umstand hingewiesen, dass die fehlende Kennzeichnung der Reiter als Aristokraten sinnvoll und gewollt war, um der steigenden Demokratiebewegung Rechnung zu tragen. Abschließend werden Stellenwert und Rolle der Pferde bis unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges diskutiert, wobei interessante Punkte hinsichtlich der Arbeitsleistung der Pferde und deren Verbreitung in der westlichen Hemisphäre aufgezeigt werden. Neben der militärischen und sozioökonomischen Rolle kommt nun in Verbindung mit der militärischen Tradition neu die Erziehung der Pferde an Reitschulen hinzu. Leider wird nicht auf die Arbeitsleistung der Pferde im militärischen Dienst während des Ersten und Zweiten Weltkriegs eingegangen und deren Verdrängung nur am Rande erwähnt.
Die fünf Artikel des Kapitels "Gesellschaftlicher Brauch" konzentrieren sich auf verschiedene gesellschaftliche Aufgaben und Werte, welche den Pferden in den beschriebenen Gesellschaften zugeschrieben werden, wobei der Schwerpunkt auf der militärischen Verwendung als Streitross liegt. Der erste Artikel untersucht deren Rolle in den burgundischen Armeen des 14. und 15. Jahrhunderts. Neben Funktionalität, Wert- und Preisänderungen wird ebenso ihre medizinische Betreuung diskutiert. Zusätzlich zeigt der Autor auf, wie die schwere Kavallerie zunehmend an Bedeutung gewinnt - der Höhepunkt wird um 1450-1460 und das Ende mit den Burgunderkriegen erreicht. Durch den englischen Einfluss kämpften jedoch vermehrt wieder Soldaten zu Fuß und die Kavallerie kam nur sporadisch zum Einsatz, entweder um die Armeen strategisch zu umgehen, die Feinde zu verfolgen oder zu fliehen. Ökonomischen Fragestellungen im Raum Savoyen vom 13. bis 15. Jahrhundert werden im folgenden Beitrag nachgegangen. Der Verfasser zeigt eindrücklich eine sich gegenseitig bedingende Wechselbeziehung zwischen Reiter und Reifpferd: Bei einer militärischen Rangerhöhung, der sich vor allem über den Sold nachweisen lässt, wird der gesellschaftliche Aufstieg durch die Anschaffung eines wertvolleren Pferdes ausgedrückt. Gut aufgearbeitete Quellen, eine klare Formulierung und Fragestellung und ein zusätzlicher Auszug des Finanzberichts von Nicod François runden diesen gelungenen Artikel ab.
Pferdehandel und -transport in der Spätantike bilden das Thema des nächsten Artikels. Obwohl die Autorin keine neuen Erkenntnisse über die Verhältnisse des Pferdetransports aufzeigen kann, stellt sie dennoch Hypothesen über die Verwendung und Beschaffenheit der dafür verwendeten Schiffe auf. Pferdekrankheiten wurden nach dem klassischen Schema Symptome, Diagnose, Differentialdiagnose, Pathogenese, Therapie und Prognose beschrieben und unterlagen ebenfalls der Humorallehre.
Reiterstandbilder des Spätmittelalters und der Renaissance, so die weit verbreitete Lehrmeinung, gehen auf antike Vorbilder, v.a. auf das Reiterstandbild Marc Aurels zurück. Der Autor äußert hier Kritik und vertritt die These, dass die Standbilder nicht nur ritterliche Rechtschaffenheit und Status repräsentierten, sondern diesen ganz bewusst in Szene setzten, wie dies auch auf mittelalterlichen Siegeln erkennbar sei.
Im Kapitel "Diskurs, Repräsentation und Demonstration" wird die Rolle der Pferde in einer Abhandlung aus dem 14. Jahrhundert aus der Feder Geoffrois de Charny mittels der Repräsentationen Johannas von Orléans und der Symbolhaftigkeit des päpstlichen Pferdes diskutiert. Interessant hierbei ist, dass bereits die ersten bildlichen Darstellungen Johanna auf dem Pferd sitzend und in voller Rüstung zeigen. Der Autor versucht nicht nur den dabei zugrunde liegenden Bildmotiven nachzuspüren, sondern verfolgt dabei in erster Linie zwei Deutungs- bzw. Erklärungsmuster: zum einen ihre bäuerliche Herkunft mit der damit verbundenen Vertrautheit mit Pferden, zum anderen ihre ritterlichen Fähigkeiten ex nihilo, als Wunderzeichen Gottes zu begründen.
Der Papst zu Pferd, Ausdruck seines gewachsenen Status als Stellvertreter Gottes, seiner Herrschaft über Rom und seiner Überlegenheit gegenüber dem Kaiser ist das Thema des nächsten Beitrags. Dabei nehmen die Farben rot und weiß eine besondere Stellung ein. Die Farbe Weiß verweist nicht allein auf die Kostbarkeit des Pferdes, sondern direkt auf Christus und unterstreicht so die Rolle des Papstes als Stellvertreter Christi.
Im letzten Kapitel werden die Bildhaftigkeit und Vorstellungswelt der Pferde untersucht. Der erste Artikel untersucht die Mnemotechniken in der Hippiatrik der Spätantike und in Byzanz. Dabei wird dem Bild besondere Bedeutung zugemessen, erstens als Mnemotechnik bei der Ausbildung und zweitens als direktes Vergleichsmoment in der Praxis. Im Breviari d'Amor, einer Handschrift aus Béziers aus dem 13. Jahrhundert, wird der Textebene die Bildebene gegenübergestellt.
Kentauren als Hüter der Grenzen zwischen Land/Stadt (urbs und rus) und Zivilisation/Wildnis bilden den Schwerpunkt des nächsten Beitrages. Besonders interessiert die Autorin wie der kultivierte Zentaur der Antike in die Hagiographie der Spätantike und von dort in das mittelalterliche Legendenkorpus diffundiert ist.
Den Abschluss bildet die Rolle und Symbolhaftigkeit des Pferdes in arabischen bzw. persischen Texten. Im persischen Versdrama, zu Beginn des 9. Jahrhunderts verfasst, nimmt das Pferd eine Sonderrolle ein. Nicht nur dient es dem König als Reittier, sondern erscheint zugleich als Freund und Begleiter der Könige und Helden. Das Pferd nimmt in diesen Erzählungen eine ungemein aktive Rolle ein, indem es seinem Herrn hilft und ihn beschützt.
Ungeachtet eines interessanten Ansatzes schmälern der Mangel an Analyse und die wenig differenzierende Darstellung einzelner Beiträge den Erkenntniswert dieses Bandes. Besonders die Anordnung der einzelnen Aufsätze und ihre Kohärenz untereinander sind nicht immer klar ersichtlich, ein Umstand, der durch das Vorwort des Herausgebers zusätzlich verstärkt wird. Eine erneute kritische Durchsicht der Texte und Bilder, deren Aussagekraft bisweilen durch die schlechte Qualität stark eingeschränkt ist, wäre wünschenswert gewesen. Dies trifft auch auf die die Abstracts zu.
Alles in allem handelt es sich bei dieser Aufsatzsammlung um den Versuch, dem Phänomen "Pferd" kulturell, sozio-politisch und ökonomisch auf die Spur zu kommen. Trotz aller Mängel bietet sie einen reichhaltigen Fundus für weiterführende Untersuchungen und Fragestellungen.
Patrick Stohler